Eigentlich beschert der Sommer dem Gastgewerbe nach dem Corona-Tief ein lang ersehntes Hoch. Trotzdem schließt Christian List zwei seiner drei Restaurants. Der Lindenhof macht dagegen jetzt wieder auf.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Der Rote Hirsch und das Kitz in Fellbach leiden im übertragenen Sinne unter Long Covid: „Man macht drei oder vier Mal auf und zu, und dann fehlen das Personal und die Gäste“, fasst Christian List die Symptome zusammen, an denen seine beiden Betriebe kranken. Der Gastronom hat den Schlussstrich gezogen, im Roten Hirsch ist der Ofen bereits aus, das Kitz läuft noch bis zum Jahresende. Dabei meldete das Institut für Wirtschaftsforschung Ende Juli, dass das Gastgewerbe einen guten Sommer erlebe. Und laut der jüngsten Statistik erzielte die Branche dieses Frühjahr die besten Umsätze seit Pandemiebeginn. Zinad Cavkunovic öffnet jetzt im August in Möhringen wieder hoffnungsfroh sein Restaurant Lindenhof. Trotzdem ist die Stimmung in der Branche überwiegend skeptisch.

 

Konzentration auf das Kerngeschäft

„Es handelt sich tatsächlich um Corona-Nachwirkungen“, ordnet List das Aus für seine Fellbacher Lokale ein. Er konzentriert sich nun auf seinen verbleibenden Roten Hirsch in Bad Cannstatt, den Mittagstisch im Haus des Sports und Catering. Die letzten beiden Geschäftsbereiche seien viel berechenbarer als ein À-la-carte-Angebot, „bei dem man darauf angewiesen ist, dass Kunden kommen“. Wenn Gäste seinen Fellbacher Hirsch besuchten, stießen sie zuletzt auf eine kalte Küche, weil der Koch lange an Covid erkrankt war. Zwischendurch hat sich das Arbeiten für List fast wieder wie vor der Pandemie angefühlt, doch es kamen neue Probleme hinzu: Neben dem Personalmangel sind es die gestiegenen Kosten für Lebensmittel und Energie sowie die unsichere Aussicht auf den Herbst. Er rechnet mit Einschränkungen wie Maskenpflicht und Zugangsregeln, was die Gästezahlen drücken wird. Zurzeit stehe sein Unternehmen solide da, und diesen Zustand wolle er bewahren. „Es ist total schade für uns“, sagt er über die beiden Schließungen, „ich bedauere es von Herzen.“

Jede zehnte Kneipe hat geschlossen

Auf den ersten Blick scheint in Baden-Württemberg von 2019 auf 2020 mehr als jede zehnte Kneipe geschlossen zu haben. Die Zahl der Gaststätten ging in der Zeit von 24 548 auf 21 505 zurück. Aber die Berechnungsgrundlage für die Statistik wurde 2020 verändert, Betriebe mit einem Jahresumsatz von weniger als 22 000 Euro fallen seither weg. Für 2021 liegen bisher nur die Gastgewerbean- und abmeldungen vor: Den rund 3500 Betriebsaufgaben im Land stehen fast 3000 Gründungen gegenüber. Für Stuttgart meldet die Gaststättenbehörde „keine erheblichen (coronabedingten) Abweichungen zu den Vorjahren“. Es sei nicht erkennbar, dass eine Vielzahl an Betrieben schließen musste. Die Zahl der erteilten gaststättenrechtliche Erlaubnisse ging zwar von 327 im Jahr 2019 auf 201 in 2020 und 228 im Jahr 2021 zurück. Dies schreibt die Verwaltung aber nur „einer gewissen Zurückhaltung bei Neueröffnungen“ zu und wertet es als „ein Zeichen, dass weniger Betreiberwechsel stattgefunden haben“, weil der Staat Überbrückungshilfen geleistet habe.

Gegenüber dem Lockdown hat sich der Umsatz verdoppelt

Immerhin hat sich der Umsatz im Gastgewerbe in diesem Frühjahr verdoppelt gegenüber dem Vorjahreszeitraum, als noch Lockdown herrschte. Der Rückgang bei den Einnahmen von 35 Prozent im Jahr 2020 gegenüber 2019 und von nochmals 7,5 Prozent im Jahr 2021 gegenüber dem Vorjahr lässt sich damit aber natürlich nicht ausgleichen. Im Juli benoteten die Mitgliedsbetriebe des Hotel- und Gaststättenverbandes im Land die Nachfragesituation nur noch mit gut bis befriedigend.

Familienbetriebe haben es leichter

„Wir haben Sommer, wir haben einen großen Garten, da läuft es“, bestätigt Henning Stein. Den Herbst will er wie die Politiker auf sich zukommen lassen und dann entsprechend reagieren. Gegenüber den Kollegen hat er einen großen Vorteil: Das Restaurant „Bei den Steins“ in Gablenberg ist ein Familienbetrieb ohne Angestellte. Er und seine Frau reduzierten das Programm schon vor der Pandemie von 250 auf 40 Sitzplätze im Freien und von sechs auf null Mitarbeiter. „Das bedeutet weniger Ärger, mehr Urlaub und mehr Verdienst“, sagt er. Unter den Kostensteigerungen, Stornierungen wegen Corona-Erkrankungen oder unerwartetem Gästeansturm hat aber auch er zu leiden.

Mitarbeiter wechselte in einen Baumarkt

„Corona hat uns allen echt zugesetzt“; findet Zinhad Cavkunovic und meint damit die Gemütslage der Gesellschaft. Er wundert sich darüber, dass „gefühlt niemand mehr arbeiten möchte“. Sein Hotel und Restaurant Lindenhof in Möhringen hatte er vor drei Monaten mangels Personal schließen müssen. Ein langjähriger Mitarbeiter wechselte im Lockdown zu einem Baumarkt, eine Mitarbeiterin ging in ihr Heimatland, beide wollen aus Angst vor der drohenden Kurzarbeit im Herbst nicht mehr zurück. In seinem Restaurant gibt es außerdem Mittag- und Abendessen und damit zwei Schichten, was kaum noch einer übernehmen will.

Sein Pachtvertrag für den Lindenhof läuft bis Ende Juni 2023, und obwohl die Umsätze bis vor Corona wegen den Messebesuchern „spitze“ waren, überlegt Cavkunovic, ob er weitermachen soll. Er setzt jetzt auf eine schwäbische Karte und hausgemachte Speisen. „Ich hoffe nur, dass es langsam wieder funktioniert“, sagt der 33-Jährige über die Wiedereröffnung von seinem Lokal am 1. August. „Denn ich kann nicht mehr normal denken und schlafen.“