Dass Gegensätze sich anziehen, weiß Paartherapeutin Marion Stelter nur zu gut. Dass viele Paare früher oder später dennoch in ihrer Praxis landen, wundert sie allerdings nicht – doch für die meisten gibt es einen Ausweg.

Stuttgart - In Hollywood enden Liebesgeschichten mit dem ersten Kuss. Davor hat das auserkorene Paar 90 Minuten lang Hürden, Grenzen und Unterschiede überwunden, um jetzt in Slow Motion auf das alles bereinigende „Wir sind endlich zusammen“ zuzulaufen. Ein klassisches Happy End. Nur: Was danach kommt, sprengt oft den Rahmen klassischer Komödien. Vor allem, wenn beide Partner sehr unterschiedlich sind.

 

Denn für viele Paare, die im Sturm der ersten Schmetterlinge noch über die niedliche Marotte ihres Liebsten schmunzeln, folgen die wahren Stolpersteine erst später. Was zu Beginn nämlich noch spannend war, wird irgendwann zum Problem – und das kann der Beziehung gefährlich werden.

Ziehen sich Gegensätze wirklich an?

Um das zu erkennen, müsste man die Hollywoodstreifen nur mal etwas weiter spinnen: Als zum Beispiel Richard Gere als reicher Geschäftsmann in „Pretty Woman“ der schnodderigen Prostituierten Vivian begegnet, ist er zunächst begeistert von ihrer Unangepasstheit. Eine Liebesgeschichte zwischen verschiedenen Welten entwickelt sich – aber funktioniert sie auch langfristig?

Fragwürdig. Wahrscheinlich hätte die rebellische Vivian spätestens nach einem Jahr genug von den andauernden Galaauftritten, Besuchen bei der Schwiegermutter und Abenden, an denen sie nett lächelnd neben dem Gatten beim Geschäftsessen sitzen muss. Ihr Traumprinz hingegen wäre ziemlich wahrscheinlich genervt von der ständigen Nörgelei seiner Auserwählten.

Spätestens dann müssten beide sich die Frage stellen: Ziehen Gegensätze sich langfristig denn wirklich an?

Kopf vs. Körper

Wie die Antwort ausfällt, kommt darauf an, welchen Teil von uns selbst wir fragen: Denn rational gesehen suchen die meisten Menschen nach einem Partner, der möglichst gut zu ihnen passt. Gemeinsamkeiten, Lebensvorstellungen und Harmonie stehen im Vordergrund. Klingt ja auch ganz vernünftig, oder?

Schon, wäre da nicht die Biologie: Instinktiv findet man nämlich meist gerade das am anderen spannend, was man selbst nicht hat und springt deshalb nicht nur auf fremde Gerüche, sondern auch auf unbekannte Verhaltensweisen an. Aus evolutionsbiologischer Sicht steckt dahinter das Streben, den eigenen Genpool zu vergrößern. Doch im Alltag stellt diese Unterschiedlichkeit Paare langfristig vor Herausforderungen.

Gefährlich wird es, wenn die Persönlichkeitsstruktur auseinanderdriftet

Dabei gibt es Dinge, die leicht überwunden werden können. Wenn Vivian ihrem reichen Ehemann im Dialog erklären könnte, wie eingeengt sie sich fühlt, wenn er von ihrer Abenteuerlust nichts wissen will, hätten die beiden gute Chancen, heil aus dem Missverständnis heraus zu kommen. Schwieriger wird es, wenn die Persönlichkeitsstruktur der Partner auseinanderdriftet.

Das passiert zum Beispiel, wenn beide auf empathischer Ebene jeweils unterschiedlich ticken. Der eine fühlt sich dann oft schon durch kleine Aussagen verletzt, die dem anderen nicht auffallen. Wenn dann nicht direkt darüber gesprochen wird, stauen sich die Gefühle auf und entladen sich an scheinbar banalen Alltagsauslösern.

Alltagsaufhänger vernebeln die Sicht auf das Problem

So kommt es auch, dass viele Paare erst mal mit einem konkreten Problem in der Therapie auftauchen: Sie streiten sich zum Beispiel darüber, dass der eine dem gemeinsamen Kind etwas erlaubt, was der andere ihm eigentlich verboten hatte. Eine Kleinigkeit – doch, dass dahinter etwas steckt, das langfristig ihr Beziehungsglück bedroht, merken die Betroffenen oft erst später. Denn wenn der eine nicht merkt, dass er den anderen ständig verletzt, ist ein gemeinsamer Weg schwer zu sehen.

Ausweglos ist die Perspektive für gegensätzliche Partner aber nicht. Meistens brauchen sie vor allem ein Gefühl dafür, dass sie unterschiedlich ticken und eine neue Streitkultur. Sätze wie „Du machst doch immer…“ oder „Schon wieder hast du…“ führen selten dazu, dass der andere auf wundersame Weise den Rückzug antritt und einem Recht gibt. Vielmehr sollte man sich offen die Frage stellen, wie man selbst – und wie der Partner – eigentlich funktioniert.

Dissonanzen aushalten

Wenn man an diesem Punkt angekommen ist, steht wiederum die Frage im Raum, was man an sich selbst verändern könnte – und auch, wo die eigene Grenze ist, ab der man sich nicht mehr wohlfühlt.

Wer so offen mit sich und dem anderen umgeht, Dissonanzen aushält und bestimmte Verhaltensmuster akzeptiert, hat gute Chancen, dass die Gegensätze eine Beziehung nicht kaputt machen. Nur von einer Vorstellung sollte man sich lieber gleich verabschieden: Seinen Partner wird man nicht ändern können – egal, wie gut man seinen Standpunkt auch verkauft. Und das ist in den meisten Fällen auch gut so.

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