Dafür, dass Sex bei vielen so einen hohen Stellenwert einnimmt, erinnern wir uns sehr wenig konkret an Akte. Warum das so ist und warum erinnerungswürdiger Sex wichtig sein kann, erklärt unsere Kolumnistin Claudia Huber.

Stuttgart - Erzählen Sie mir, wie es war, als Sie vor vier Wochen am Dienstag Sex hatten. Sie erinnern sich nicht? Keine Angst, so geht es den meisten. Und es gibt Gründe. Sex funktioniert nämlich ein bisschen wie Musik. Es gibt einen Anfang, einen Höhepunkt und ein Ende. Während wir Musikstücke aber so oft hören, bis wir sie in- und auswendig kennen. Experimentellere Musik muss man erst mal verstehen. Dagegen gilt auch: Kennst Du einen Popsong, kennst Du alle.

 

Ungefähr so ist es auch beim Sex. Im Fall von Pop: Ungefähr so fängt es an, geht es weiter, am Ende Bewährtes. Das fühlt sich gut an, bleibt aber selten denkwürdig und damit in Erinnerung. Anders ist es, wenn man experimentiert: Hat man beispielsweise in einer Therme Sex, wird man sich später eher dran erinnern.

Wenn der Sex auch zuhause im Bett für beide gut und erfüllend ist, dann spricht natürlich nichts dagegen, das immer wieder genauso zu machen. Oft sind aber beide doch nicht hundertprozentig damit zufrieden, wenn der Sex zu gleichförmig ist und denken irgendwann: immer wieder die gleiche Leier.

Grottige Intimmassage? Unvergesslich

Warum einige von uns so denken, hat etwas mit dem Prinzip „Seek for Sensation“ zu tun. Unterschiedliche Menschen brauchen mehr oder weniger Stimulanz. Denn viele können den einen Akt im Nachhinein nicht vom anderen unterscheiden. In der Fachwelt nennen wir das orgastische Amnesie.

Wer mehr Anregung braucht, neigt auch oft mehr zu Partnerwechseln: Die Hoffnung besteht, dass sich etwas zum Positiven ändert, wenn sich die Person ändert, mit der man es macht – was aber nicht unbedingt stimmen muss.

Denn wie bei anderen Dingen im Leben auch, erinnern wir uns häufig an das, was nicht so toll gelaufen ist. Eine grottige Intimmassage? Unvergesslich.

Flow-Forschung und Reproduktion

Darum ist es ratsam, sich nicht nur an Orte, Stellungen oder Praktiken zu hängen, um uns an unsere sexuellen Erlebnisse zu erinnern. Oft ist es besser, sich zu fragen: Wie hat es sich denn angefühlt? Und auch wenn man keine markanten Details mehr aus der Erinnerung kramen kann, bleibt immerhin die Erinnerung an ein schönes Gefühl. Eine oft bessere Idee, Bewusstseinslücken zu schließen, als immer etwas ganz besonders machen zu wollen.

Denn wenn uns die Flow-Forschung eins gelehrt hat, dann: Reproduktion klappt nicht. Sportlich betrachtet ist das mit dem Runners High vergleichbar, das sich auch nicht so einfach reproduzieren lässt; an manchen Tagen bist Du gut drauf und schaffst fünf Kilometer mehr als sonst, an einem anderen geht gar nix. Das sind Dinge, die nicht auf Knopfdruck funktionieren.

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Bezogen auf Sex bedeutet das: Abwechslungsreich ist ungleich befriedigend. Ein anderer Punkt ist, dass wir Sex realistischer betrachten, je näher wir zeitlich dran sind. Je länger der Sex oder der Sex mit einem bestimmten Menschen her ist, desto mehr verzerrt sich die Erinnerung und wir beurteilen ihn besser oder schlechter als das tatsächlich Erlebte.

Erinnerung an Sex sehr emotional

Beispiel: Unser Ex hat uns schlecht behandelt, Schluss gemacht – also war der Sex auch scheiße. Dabei muss es gar nicht so gewesen sein. Andersrum gilt natürlich auch, wenn wir noch an der Person hängen, wird in den Sex mit dem Ex sehr viel Positives hineininterpretiert – dabei war er vielleicht gar nicht so toll.

Das spricht alles dafür, dass unsere Erinnerung an Sex sehr, sehr emotional ist und das Urteil davon abhängt, wie verknallt wir waren, wie wir hormonell drauf waren. Außerdem durchleben wir auch unterschiedliche Phasen, auch, was eigene Bedürfnisse betrifft. War der Sex mit jener Person vor fünf Jahren besser als mit jener vor drei Monaten? Schwer zu sagen, wenn wir heute vielleicht einfach auf andere Dinge stehen.

Auch wenn mich der Sex heute vielleicht nicht mehr umhauen würde, damals war er so, wie er war, genau richtig. Und auch wenn wir jetzt nicht ständig erinnerungswürdigen Sex haben, sind wir gut beraten, ihn so zu sehen, wie er hoffentlich ist: Befriedigend.

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