Auf der Messe Eurobike in Friedrichshafen sind sie ein heimlicher Star: Lastenfahrräder für Kuriere, Handwerker und Eltern. Sind sie mit einem Elektromotor ausgestattet, meistert man auch zehnprozentige Steigungen mühelos.

Friedrichshafen - Das bunte Treiben auf der Teststrecke der Fahrradmesse Eurobike macht deutlich, welchen enormen Fahrspaß das Radeln mit Elektrounterstützung mittlerweile bedeutet. Tourenrad, Tiefeinsteiger, Mountainbike und Rennrad – alle Varianten gibt es mittlerweile mit Elektromotor: als Pedelec, das bei 25 Stundenkilometern abregelt, oder als sogenanntes S-Pedelec bis Tempo 45. Aber auch mit einem der heimlichen Stars lässt sich Fahrspaß erleben: mit einem Lastenrad. Die Marke Riese und Müller aus Weiterstadt bei Darmstadt spielt hier keine Rolle. Es geht ums Prinzip: mit dem Elektroantrieb erhält auch das Lastenrad einen kleinen Schups aus seiner Nische heraus. Der Fahrtest macht das deutlich.

 

Mit dem Lastenrad kann man locker mithalten und auch mal zur Überholung ansetzen. Auf das neue Gefährt hat man sich schnell umgestellt. „Immer mit dem Lenker lenken“, rät Michael Schönstedt, Geschäftsführer von Pedalpower aus Berlin, der vor 13 Jahren anfing, Lastenräder zu bauen. Das hört sich zunächst kurios an, meint aber, dass sich der Blick nicht am 20-Zoll-Vorderrad orientieren soll. Das befindet sich nämlich nicht unter dem Lenker, sondern deutlich nach vorne versetzt. Um die Spitzkehre auf dem Parcours zu fahren, bedarf es nur dreier Versuche, dann funktioniert es auch ohne unsicheres seitliches Abstützen mit dem Fuß. Und dann die Steigung. Zehn Prozent hat die Teststrecke anzubieten. Kein Problem. Auch hier fällt das Lastenrad hinter kein Tourenrad zurück.

Anschließend geht’s in die Ebene: So mühelos mit Muskelkraft in den Fahrtwind bei 40 Stundenkilometern zu fahren, ist faszinierend. Das S-Pedelec hat einen Bosch-Motor der neuen Generation. Der Gedanke kommt auf: bei den hohen Pedelec-Geschwindigkeiten tut ein Fahrradhelm Not – die meisten auf dem Testparcours fahren oben ohne.

Ein Lastenrad rechne sich, sagen die Experten

Das Bediendisplay für das Pedelec ist übersichtlich, hat alle Tachofunktionen und lässt das Rad in den Betriebsmodi Speed, Tour, Eco und E-Motor-Aus betreiben. Wenn man bei der Zehn-Prozent-Steigung die Option Aus ausprobiert, fühlt man sich in die velomobile Steinzeit zurück katapultiert – eine Strafe der Kategorie „Einmal die Weinsteige hoch strampeln“. Mit Elektroantrieb wäre hingegen jede moderate Steigung an den Hängen des Talkessels gut zu bewältigen. „Ein Lastenrad ist in Stuttgart sinnlos“, hatte ein Radkurier gesagt. Sein Unternehmen „Die Radler“ liefert größere Sendungen daher mit dem Auto aus. Die Aussage klingt zwar plausibel, stimmt aber nicht ganz.

Die Elektrifizierung des Rads beschert dem Lastesel eine Renaissance. Viele Hersteller legten in den vergangenen Jahren erstmals Modelle auf. „Für uns funktioniert das Konzept Lastenrad nur mit E-Motor“, sagt beispielsweise Tobias Spindler von Riese und Müller. Deren Modell Load hybrid gibt es erst seit zwei Jahren. Auch der österreichische Hersteller KTM, eher bekannt für sportliche Mountainbikes und gemütliche Tourenräder, führt seit kurzem ein Modell im Programm. Die Hersteller wollen nicht nur diese Nische ausfüllen. Sie haben auch erkannt: mit attraktiven Modellen lässt sich pro Rad viel verdienen.

„Wir wollen das Lastenrad aus seiner Nische herausholen“, sagt Manfred Neun vom europäischen Radverband ECF in Brüssel. Sein Verband schätzt, dass immerhin 50 Prozent des innerstädtischen Warenverkehrs, geschäftlich wie privat, mit dem Zweirad gelingen könnte. Als er vor Jahren seine Vision vor Unternehmern kund tat, erntete er Kopfschütteln. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass das Lastenrad nicht nur eine ökologische Träumerei ist, sondern auch einer wirtschaftlichen Betrachtung stand halten kann. So kostet der Kilometer mit einem Kleinwagen rund 39 Cent, mit dem Roller 18 Cent und mit dem Lastenrad drei bis neun Cent, rechnet Thomas Baumgartner vom Radhersteller Gobax in Mössingen vor. Das Lastenrad amortisiert sich schneller und das gebundene Kapital ist geringer. Viele Lieferdienste schwenken nach Baumgartners Feststellung daher auf Räder um – vom Pizza- bis zum Kurierdienst.

„Es sind wirtschaftliche Gründe, wieso Expressdienste zunehmen auf das Lastenrad setzen“, sagt auch Randy Rzewnicki, der für den ECF in Brüssel die Logistikszene beobachtet. Der Expressdienst DHL stellt beispielsweise in 15 holländischen Städten Lastenräder testweise in Dienst.

Viele Kommunen planen, den Radverkehr auszuweiten

Mit dem Plan der Bundesregierung und vieler Kommunen, der Verkehrsanteil von Fahrrädern von derzeit rund sieben Prozent auf 20 zu steigern, werde sich langfristig die gesamte Verkehrsinfrastruktur und das Verhalten der Menschen ändern, hofft Manfred Neun. Lastenräder hätten dann einen gesicherten Anteil am Verkehrsgeschehen. Vorreiter sind Holland und Dänemark. In Kopenhagen haben beispielsweise mehr als 50 Prozent der Familien ein Lastenrad, etwa die bekannten Bakfiets oder Christiana-Räder. Die haben meist einen klobigen Kasten für Einkäufe oder auch den Kindertransport vor dem Lenker.

Viele Menschen scheinen auch die hohen Anschaffungskosten nicht zu scheuen, die leicht 2000 Euro übersteigen. Mit Elektroantrieb kommen meist 1000 Euro hinzu. „Es gibt Leute, die haben kein Auto, nutzen Car-Sharing, schaffen sich aber trotzdem ein Lastenrad an“, sagt Michael Schönstedt von Pedalpower in Berlin. Schönstedt packte beispielsweise bei einer Radreise entlang der Ostsee sämtliche Reiseutensilien der Familie in die Kiste. Andere wie Stephan Hauser aus Freiburg kutschieren damit die Kinder und erledigen Einkäufe. „Meine Kinder hatten einen Riesenspaß vorn auf der Sitzfläche“, berichtet Hauser. Ihm ist wichtig, die Kinder vorn im Blick zu haben und nicht hinten in einem Anhänger mitzuziehen. Letzteres ist mit der Ungewissheit verbunden, nicht komplett auf der Verkehrsinsel zu stehen oder an einem Pfosten hängen zu bleiben. Hauser fährt ein Lastenrad des belgischen Designers Thomas Coultbeaut. Der Designer ist mit seiner Marke Douze Cycles erst seit einem Jahr im Geschäft. Seine Lastenräder sind noch ohne E-Motor, zeigen aber, dass der Name Lastenrad zwar altmodisch klingt, die Modelle aber schick sein können.