Nikolai Kronenwett hat zwar keine acht Beine, ist aber gerade dabei, sich sein eigenes Spinnennetz aufzubauen. Ein ziemlich großes sogar. Er hat es sich zum Ziel gesetzt, mit Hilfe einer Handy-App alle Feld- und Waldwege im näheren Umkreis mindestens einmal entlang zu joggen. Und weil die immerhin zwei Füße, die er vorweisen kann, ziemlich flink unterwegs sind, schreitet er gut damit voran. Doch nicht nur das – seine Schnelligkeit hat ihm im vergangenen Jahr zudem den Gesamtsieg im Schönbuch-Cup beschert. Und das macht ihn zu einem der Mitfavoriten beim Böblinger Stadtlauf an diesem Sonntag.
Es ist ein Heimspiel für Nikolai Kronenwett, schließlich lebt dieser seit inzwischen drei Jahren hier. Nach dem Umzug aus dem badischen Raum war vorrangig das Naturgebiet zwischen Zimmerschlag, Hulb, Ehningen und Holzgerlingen seine Rennstrecke. „Als es ambitionierter wurde, bin ich auch ins Stadion am Silberweg gegangen“, erzählt er. „Es ist cool, dass da immer geöffnet ist und man auch hobbymäßig die Tartanbahn nutzen kann“, findet der Doktor-Ingenieur der Informationstechnik, der via Home Office bei einem Start-up-Unternehmen in der Schweiz arbeitet, das Anker-Monitoring-Systeme für Schiffe entwirft.
Zum Laufsport kam der heute 35-Jährige im Teenageralter. Die Grundausdauer hatte er sich schon durch Fußball („da muss wohl jedes kleine Kind mal durch, das auf dem Dorf wohnt“), Handball und Basketball („die haben mir deutlich mehr Spaß gemacht“) angeeignet. Als er dann zum ersten Mal erfolgreich eine Ziellinie überquert hatte, war sein Hunger nach mehr geweckt. Oder wie er es ausdrückt: „Ich hatte Blut geleckt.“
Nachdem er aus seinem Heimatörtchen Ittersbach ausgezogen war und nun der Uni wegen in Karlsruhe lebte, wo er später auch promovierte, intensivierte er die Übungseinheiten. „Ich brauchte aber immer ein größeres Ziel, auf das ich hin trainiere“, nickt er. Zehn Kilometer schaffte er dank seiner Fitness aus dem Stand. Auch ein Halbmarathon gelang ihm schon bald problemlos. Also visierte er 2009 das ganz große Ding an, einen kompletten Marathon. „Finishen kann man immer irgendwie. Mein Plan war es aber, das unter drei Stunden zu schaffen“, scheint in diesen Worten wieder sein Ehrgeiz durch.
Seine angedachte Zeit konnte er nicht ganz in die Tat umsetzen. Das war, so versichert er, nicht der Grund dafür, dass er nun in ein kleines Loch fiel und nur noch zwei-, dreimal im Monat die Laufschuhe schnürte. Sein Fokus verschob sich. „Ich bin ins Studileben eingetaucht“, schmunzelt er und meint damit nicht nur Vorlesungen oder Seminare. „Es gibt da ja eine große Menge an Aktivitäten, die einen anderweitig beschäftigen können.“ Zudem ging er weiterhin im Verein der Korbjagd mit dem orangenen Leder nach.
Das änderte sich, als er nach Böblingen kam. „Da habe ich bei einem 60-Kilometer-Marsch in Stuttgart, zu dem mich Freunde überredet hatten, das Laufen wieder für mich entdeckt“, erzählt der zweifache Papa. Außerdem stand da ja noch etwas auf seiner To-do-Liste, das er beim ersten Versuch nicht abhaken konnte: der Marathon in unter drei Stunden. 2023 klappte es. 2:59:48 – eine Punktlandung. „Da war die Erleichterung groß. Vor allem bei meiner Frau, weil ich gute Laune hatte“, lacht Nikolai Kronenwett, dem dieses Kunststück 2024 in 2:51:47 noch deutlicher gelang.
Am Schönbuch-Cup nahm er zunächst teil, „um Spaß zu haben, Leute zu treffen und gemeinsam Sport zu treiben“, sagt er. Der Gedanke, die Laufserie zu gewinnen, kam ihm erst ein Jahr später, als er den Merklinger Riedlauf als Erster mit persönlichem Zehn-Kilometer-Rekord abschloss. „Ich dachte mir, da könnte wirklich was gehen“, nickt er. Seine Vorgehensweise? „Ich konzentriere mich auf mich selbst und meine Zeit. Das ist das Einzige, was ich beeinflussen kann“, antwortet er. „Welche Platzierung dabei rauskommt, hängt von anderen Faktoren ab. Hauptsächlich davon, wer sonst noch mitmacht“, ist ihm bewusst, dass es durchaus schnellere Männer in hiesigen Gefilden gibt.
Am Ende bestritt Nikolai Kronenwett tatsächlich alle sechs Schönbuch-Cup Läufe. Er siegte auch beim Holzgerlinger Waldtrail und beim Dagersheimer Speedrace, wurde Dritter beim Sindelfinger WerkStadtLauf, Vierter beim Böblinger Stadtlauf und schließlich Achter beim Kuppinger Mondfängerlauf, bei dem er nicht hundertprozentig fit an den Start ging.
Die Vorbereitung auf die 2025er-Auflage des Schönbuch-Cup fiel ihm dann etwas schwerer. „Mit einem Kind in der Kita ist man eben häufiger krank, und auch im Beruf ist es derzeit etwas stressiger“, erläutert er, warum er seltener trainieren konnte. „Außerdem ist es zwar ein sehr nettes Hobby, aber das Privatleben sollte nicht darunter leiden“, betont er. „Es gibt Sachen, die wichtiger sind.“
Beim Merklinger Riedlauf fehlte Nikolai Kronenwett erkältet, beim Sindelfinger WerkStadtLauf belegte er gesundheitlich angeschlagen Rang vier und finishte den Holzgerlinger Waldtrail auf Platz zwei. Nun wartet also das Heimspiel beim Böblinger Stadtlauf – vielleicht ja eine gute Gelegenheit für den Mann mit dem großen Spinnennetz, sich an der Spitze zurückzumelden.