Der leise Tod der Kulturvielfalt droht! Pablo Zibes, ein Künstler der Stille, hat Stuttgarter Bühnen besucht und laut in die Leere geschrien – sein Weckruf, um auf eine Branche in Not hinzuweisen.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Stille ist mehr als das Fehlen von Geräuschen. Stille kann Einkehr in sich selbst sein und angenehm erholsam. Doch es gibt auch die Stille, die Angst macht und schmerzt.

 

„Ohne Kunst und Kultur wird’s still!“ So lautet das schmerzhafte Statement auf Flyern, Plakaten, T- Shirts und Hoodies. Die Notlage der Veranstaltungsbranche wird nach 13 Monaten Lockdown von Tag zu Tag immer noch größer. Wer wird übrig bleiben, wenn die Corona-Krise irgendwann mal vorbei ist? Wer muss für immer aufgeben?

Pablo Zibes ist mit der Stille am Ende

Die Kunst des 1971 in Buenos Aires geborenen Pablo Zibes, der vor 25 Jahren der Liebe wegen nach Stuttgart kam, ist die Stille. Seine Berufsbezeichnung stammt vom altgriechischen Pantomimos ab. Wörtlich übersetzt heißt das: alles nachahmend.

Kann ein Pantomime die Pandemie nachahmen? Nur mit Mimik und Gestik drückt sich der Weißgeschminkte normalerweise aus. Doch jetzt, da nichts mehr normal scheint, ist Zibes mit der Stille am Ende.

Deshalb bricht der Pantomime sein Schweigen – auf den Bühnen von Stuttgarter Kulturstätten. Mit der Fotografin Karin Mertens war er unterwegs, hat sich Häuser wie die Komödie im Marquardt, das Renitenz-Theater, das Gloria-Kino und die Wagenhallen aufschließen lassen, um vor leeren Stuhlreihen laut zu schreien. „Aaaaaah!“ hallte es in stillgelegten Sälen.

Die staatlichen Hilfen reichen bei weitem nicht aus

Das fotografische Ergebnis wird, unterstützt von der Initiative „Ohne Kultur wird’s still“, in den sozialen Medien verbreitet sowie auf www.kame-foto.de und www.pablo-zibes.de und soll ein Aufruf an die Politik sein, mehr für die Kreativbranche zu tun, die in der Öffentlichkeit zu wenig beachtet werde. „Ohne Kunst und Kultur sind unsere Sinne teilweise sinnlos“, sagt der 50-Jährige und wird philosophisch: „Wir brauchen Kunst und Kultur zu mehr als nur zur Navigation durch die Welt. Wir brauchen sie, um eines unserer menschlichsten Bedürfnisse zu befriedigen: den Willen, Neues zu erleben, sich selbst in etwas hineinzuversetzen, die eigene Weltanschauung zu erweitern, sich weiterzuentwickeln.“

Die staatlichen Hilfen reichen bei weitem nicht aus, wie der Argentinier von Kolleginnen und Kollegen weiß. „Es ist alles auch so kompliziert“, sagt er, „um den ersten Antrag für die Überbrückungshilfe zu stellen, musstest du zum Steuerberater“. Im bürokratischen Dschungel sei für die Kulturschaffenden noch weniger geblieben, weil der Steuerberater bezahlt werden müsse.

Auf einer Weltreise lernte er seine Frau kennen, mit der er nun in Stuttgart lebt

Auf Messen, Firmenfeiern, Stadtfesten, Festivals, Galas und in Varietés ist der gelernte Schauspieler aufgetreten, etwa als silberfarbener Roboter oder als Blechmann aus dem „Zauberer von Oz“. „Als ich 1995 nach Stuttgart gezogen bin, habe ich als Pantomime angefangen, mich für eine wortlose Kunst entschieden, weil ich die deutsche Sprache nicht beherrscht habe“, sagt er. Die Körpersprache ist international und wird überall verstanden.

Nach dem Besuch der Schauspielschule in seiner Heimatstadt Buenos Aires war Pablo ein Jahr lang durch Europa und Asien gezogen und hatte sein Geld als Straßenkünstler verdient, mit dem Hut vor sich. Auf seiner Weltreise lernte er in Malaga eine Geografin aus Amberg kennen, mit der er heute in Stuttgart lebt. Deutschland ist sein Zuhause geworden. Die kulturelle Vielfalt seiner Wahlheimat hat ihm immer gut gefallen, zumal sie von Jahr zu Jahr noch größer geworden ist. Und jetzt ist es ohne Kunst und Kultur bedrohlich still.

„Ein Leben nach der Pandemie könnte eine Kunstkrise bedeuten“

„Man spricht zu wenig über uns“, klagt der Pantomime. Die finanzielle Unterstützung für Kulturschaffende sei „nicht ausreichend“. Viele hätten Angst um ihre Existenz. „Ein Leben nach der Pandemie könnte eine Kunstkrise bedeuten“, fürchtet er. Denn die Kunstlandschaft werde lange brauchen, um sich regenerieren zu können. „Diese Regenerationsphase kann nur durch ausreichende finanzielle Unterstützung jetzt gewährleistet werden“, findet Pablo Zibes.

„Auch wenn es still bleibt, können wir hoffentlich bald wieder gemeinsam lachen“, wünscht sich der Argentinier. Immer nur tatenlos daheim sitzen kann er nicht. In Stuttgart ist er aufgebrochen, um sich etwa mit Fliege und einer Pan-Tau-Melone ganz allein ins Gloria-Kino zu setzen. Dabei hat er Popcorn geknabbert ganz ohne Popcorn.

Das Virus hat die Welt gestoppt. Die Stille schmerzt und mahnt: Rettet die Kulturvielfalt! Der Aufschrei, wie ihn der Pantomime vormacht, kann nicht stark genug sein!