Der Privatdetektiv Joe soll einen Groschenautor suchen, der Romane über einen gewissen Osama schreibt. In Joes Welt gibt es keinen Terror. Ist das ein glückliches Paralleluniversum, oder steckt Joe in einem anderen Wahn fest?

Stuttgart - Als Privatdetektiv arbeitet Joe mit der Mindestausstattung: „Ein Telefon stand nicht auf dem Schreibtisch. In der obersten Schublade lag ein billiges thailändisches Imitat einer Smith & Wesson, Kaliber 38, ohne Lizenz, und eine Flasche Johnny Walker Red Label, halb leer oder halb voll, wie man wollte.“ Aber wir sind nicht im Los Angeles der 40er Jahre, und draußen warten keine von Neonreklamen schäbiger Bars durchflackerten Nachtstraßen. Joe kommt zu Beginn von Lavie Tidhars Roman „Osama“ aus dem hellen Sonnenschein eines schönen Tages in Vientiane zurück in sein Büro.

 

Groschenromane und die übliche Schöne

Allerdings ahnen wir da schon, dass er dem gewöhnlichen Detektivkrimi nicht nur räumlich nach Laos entrückt ist. Er hat einen Groschenroman über Terroranschläge gelesen, einen aus einer ganzen Serie über die Machenschaften des Vigilanten Osama, aber weder dieser Name noch das Konzept des Terrors scheint Assoziationen auszulösen, beides scheint in Joes Welt nur Teil bizarr eskapistischer Fantasiewelt zu sein.

Zwar wird Joe von der genreüblichen geheimnisvollen Schönen geheuert, den öffentlich nie auftretenden Autor der Osama-Bücher zu finden, einen gewissen Mike Longshott, aber das genügt nicht, um uns festen Krimiboden unter die Füße zu bauen. Wir befinden uns in einer seltsamen Parallelwelt mit eigenen Regeln.

Ganz stabil ist Joes Welt nicht

Ist dies ein Stück alternativer Historie, ein Science-Fiction-Roman der Kategorie „Was wäre, wenn damals die Weltgeschichte nicht diese, sondern jene Abzweigung genommen hätte?“ Daran streut Tidhar früh Zweifel. Etwas Substanzarmes, Flackerndes gerät Joe immer wieder in den Blickwinkel, Figuren und Orte scheinen kurz durchsichtig zu werden, Blut und Leichen verschwinden nach Auseinandersetzungen spurlos. Das scheinen eher Hinweise darauf, dass Joe sich in einer nicht ganz stabilen virtuellen Realität aufhält.

Egal, ob Parallelwelt oder Simulation, das Konzept einer Welt ohne Terror, in der Schundleser fasziniert werden von faktentrocken an den Anschlägen unserer Realität entlangerzählten Terrormärchen, ist interessant. So interessant, dass Tidhars „Osama“ sowohl den World Fantasy Award gewonnen hat als auch auf der KrimiZeit-Bestenliste gelandet ist.

Munkeln und Raunen

Leider setzt der in Israel geborene, in Großbritannien und Südafrika lebende Autor dieses Konzept nur ungenügend um. Er bleibt direkt dran an Joe, schildert uns dessen Wahrnehmungen und Grübeleien, vor allem aber dessen Ratlosigkeit – was schnell redundant wird. Joe und der Roman verharren lange in einem unklaren Auflisten der Seltsamkeiten einer Welt, in der nicht alle Menschen dauerhaft stofflich zu sein scheinen. Die Verweigerung des bohrenden Nachdenkens, des nahe Herangehens wird erzählerisch zunehmend zum Munkeln und Raunen.

Dass Joe kein Telefon auf dem Tisch stehen hat, ist symbolisch. In seiner modernen Welt fehlt es an moderner Kommunikation und Vernetzung, es gibt weder PCs noch Handys noch das Internet. Tidhar weigert sich aber lange, uns mehr über Struktur und Wesen dieser (Schein-)Wirklichkeit zu verraten, weder in Handlung aufgelöst noch in den bei SF-Autoren eher verpönten Erklärbär-Passagen. Die Verrätselung sorgt auf Dauer nicht für Spannung, sondern für Beliebigkeit.

Zitier’s noch einmal, Sam

Was Tidhar als Strukturelemente einzieht, sind Popkulturelemente, als sie Joes Welt in einem kalten Fiebertraum als Mosaik aus Scherben alter Filmerinnerungen entstanden. Prominent vertreten ist von Beginn an „Casablanca“ als Baustofflieferant, aber auch andere Filme kommen neben den Detektivklassikern zum Zuge, Todd Brownings „Freaks“ etwa. Auch das wird auf Dauer eher Tändeln und Kokettieren als sinnvolle Neuverwendung vertrauten Materials. Rick’s Café und das Lied „As Time Goes by“tauchen auf: Zitier’s noch einmal, Sam.

Tidhar hat zwar bislang als SF-Autor gearbeitet, aber „Osama“ wirkt wie der sehr bewusste Versuch, Leser außerhalb des Genres zu erreichen. Das ist ganz und gar nicht verächtlich, aber hier nimmt es die Form an, mit Genrekonventionen nicht vertraute Leser mit Ideenbruchstücken und Musterauszügen so zu beeindrucken, als seien die ungeheuerlich neu – obwohl auch sie nur aus der Wühlkiste stammen und erst einmal spannender, straffer und pfiffiger kombiniert werden müsste, als Tidhar das fertigbringt. „Osama“ ist ein Kartenspielertrick – je weniger ähnliche Vorführungen man erlebt hat, desto beeindruckter ist man wohl.

Lavie Tidhar: „Osama“. Roman. Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller. Rogner & Bernhard. Berlin, 2013. 303 Seiten, 22,95 Euro. Im Kaufpreis enthakten ist ein Code zum Download der E-Book-Version. Auch als reine E-Book-Fassung erhältlich, 16,99 Euro.