Der Beschluss des Gemeinderats vom vergangenen Donnerstag, der LBBW die Veräußerung von Schrott-Wertpapieren von 4,7 Milliarden Euro zu erlauben, sorgt für Ärger. Stadträte fühlen sich von der Rathausspitze überrumpelt.

Stuttgart - Der seit 2009 agierende Stuttgarter Gemeinderat musste am vergangenen Donnerstag, wenige Stunden vor der Vereidigung des neuen Gremiums, zu einer Sondersitzung einrücken. Dabei hat er dem mit „Landesbank Baden-Württemberg – Änderung des Garantievertrags“ überschriebenen Beschlussantrag der Verwaltung mehrheitlich zugestimmt. Auf gerade einmal zweieinhalb Seiten hatte Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) die Punkte dargelegt, die die ehrenamtlichen Stadträte in die Lage versetzen sollten, binnen weniger Sitzungsminuten die Tragweite des Verkaufs eines Verbriefungsportfolios – also von Wertpapierpaketen – von 4,7 Milliarden Euro zu überblicken.

 

Das vorgegebene Tempo hat im Gemeinderat für Verdruss gesorgt. Viele fühlen sich von OB Fritz Kuhn, seinem Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) und der LBBW überrumpelt. Während die Verwaltung bei vielen Themen bremse, prüfe und Beschlüsse hinauszögere, müsse bei Entscheidungen von großer Tragweite im Milliardenbereich quasi im Vorbeigehen entschieden werden, so die Kritik. Dabei sei nicht gesagt, dass die Entscheidung nicht sinnvoll sei. Man habe nur keine Zeit zum Nachdenken gehabt, so wird moniert, und die Verpflichtung zu besonderer Geheimhaltung habe verhindert, externen Sachverstand zurate zu ziehen.

Die Zeiten könnten bald schlechter werden

Den Politikern war mitgeteilt worden, der Verkauf müsse sehr kurzfristig erfolgen, womöglich innerhalb einer Woche nach der Anbahnung und wohl noch im August. Jetzt sei der Markt noch positiv gestimmt, das könne sich aber schnell ändern. Als negative Einflussfaktoren wurden etwa die Zinswende sowie die Staatsschulden- und Bankensituation in Südeuropa sowie die „geopolitische Lage“ in der Ukraine genannt. Zudem könnten die Stresstestergebnisse durch die Europäische Zentralbank im Oktober weitere Marktunsicherheiten hervorrufen.

Am Tag vor der Beschlussfassung war der 17-köpfige Verwaltungsausschuss informiert worden. Den Vorwurf mehrerer Stadträte, Kuhn habe den Verkauf der Schrottpapiere als „alternativlos“ dargestellt und er verhalte sich in LBBW-Angelegenheiten wie sein Amtsvorgänger Wolfgang Schuster (CDU), hat Kuhns Sprecher Andreas Scharf entrüstet zurückgewiesen. Gerade der OB diskutiere nie unter dieser Überschrift. Kritiker betonen, dass die Vorzüge der Alternative, nämlich die teils bis in die 2090-er Jahre laufenden Wertpapiere vorerst in den Büchern zu belassen und auf bessere Zeiten zu hoffen, nicht näher erläutert, ja überhaupt erst auf Nachfrage thematisiert worden sei. Auch hätte die Rathausspitze nicht von sich aus über die Zusammensetzung der Pakete informiert.

In dieser Verwaltungsausschusssitzung war LBBW-Chef Hans-Jörg Vetter anwesend. Er hatte wohl früher als geplant mit seinem Vortrag beginnen können. „Interessierte, die später kamen, haben nicht alles mitbekommen“, heißt es. Außerdem ärgern sich Stadträte, dass es die Verwaltung nicht für nötig erachtete, am Folgetag die übrigen 43 Stadträte, die einen Milliarden-Verkauf mit ihrem Namen verbinden, von Vetter informieren zu lassen. Eine Folge: Anders als von der Stadt behauptet soll es neben acht Enthaltungen auch Gegenstimmen gegeben haben. Mittlerweile herrscht Unklarheit über das, was beschlossen wurde. In einer kurzen Mitteilung hatte Kuhn am Donnerstag verkündet, die Träger hätten sich verständigt, einen Verkauf von Wertpapieren zu „prüfen“. So formulierte es auch Peter Schneider für den baden-württembergischen Sparkassenverband.

Gemeinderat hat der Veräußerung zugestimmt

Laut dem Beschlussantrag in der Drucksache 557/2014 hat der Gemeinderat „der Veräußerung des Verbriefungsportfolios durch die LBBW und den Ausgleich eines gegebenenfalls eintretenden Veräußerungsverlustes aus der angesparten Garantieprovision der GPBW GmbH & Co. KG“ zugestimmt. Nach Aussage von Räten, die in der geheimen Sitzung anwesend waren, hat die Stadt also den Verkauf gebilligt. Was aber behauptete die Stadt gestern in einer Pressemitteilung als Replik auf einen StZ-Artikel? Der Gemeinderat habe mitnichten „die Veräußerung des Portfolios beschlossen“; er habe „lediglich die Voraussetzung geschaffen, dass eine Veräußerung stattfinden kann, sofern die Prüfung von Angeboten zu einem guten Ergebnis“ komme. Kämmerer Föll bezieht sich damit auf den zweiten Teil des Beschlussantrags, in dem die Formulierung „Wahrung der städtischen Interessen“ einschränkend wirken solle. Alle Träger hätten also die selbe Grundlage. „Interessant“, sagt ein Stadtrat, „warum haben wir dann nicht einfach nur einer Prüfung des Geschäfts zugestimmt?“

Stadtrat fragt: Verlust von Millionen oder Milliarden?

Der Gemeinderat wurde in der Sitzung auch auf einen möglichen Verlust hingewiesen, falls der Veräußerungspreis unter dem Nenn- oder Buchwert der Papiere liegen sollte. Die genaue Höhe könne aber erst beziffert werden, wenn die Angebote vorliegen. „Ich weiß nicht, ob ich durch diesen Beschluss Millionen oder Milliarden als Verlust akzeptiere“, räumte am Mittwoch ein Fraktionschef ein.

Ist für diesen Verlustfall vorgesorgt? Die Stadt sagt ja, ein durch Provisionseinnahmen gemeinsam gebildeter Risikopuffer aller Träger der LBBW sei vorhanden. Eine etwaige Differenz aus Verkaufspreis und Buchwert der „Schrottpapiere“ würde aus der angesparten Garantieprovision beglichen. Kämmerer Föll hat aber nach eigener Aussage 2010 und 2011 die Provision aus der Garantie direkt in den städtischen Haushalt fließen lassen. Andernfalls wäre das Engagement der Stadt Stuttgart von rund zwei Milliarden Euro in der LBBW in dieser Zeit gar nicht verzinst gewesen. Bei der Präsentation der Eckdaten für den Doppelhaushalt 2014/2015 im vergangenen Sommer hatte Föll in einer Pressekonferenz auf StZ-Anfrage erklärt, die Provisionen der Jahre 2012 und folgende würden jetzt angespart, damit im (nun wohl eintretenden) Ernstfall darauf zurückgegriffen werden könne. Der städtische Anteil an dieser Provision betrug anfänglich rund 60 Millionen Euro. Wie viel Geld angespart wurde, wollte Föll nicht nennen.

Allergische Reaktionen gegen solche für Laien undurchschaubare „Risikoimmunisierungen“ plagen den Gemeinderat schon seit fünf Jahren: 2009 geriet die Landesbank in die Krise, stand vor der Pleite, als die Träger zur Rettung einer Kapitalerhöhung um fünf Milliarden Euro zustimmten. Die Stadt ist mit 946 Millionen Euro dabei, OB Schuster versprach damals, der Spuk sei bald vorbei, die Kommune könne von der Krise sogar profitieren, weil sie mit einer (nie eingetretenen) zehnprozentigen Verzinsung rechnen dürfe. Eine Ratsmehrheit stellte ihre Zustimmung unter den Vorbehalt, dass für die in die „Bad Bank“ auszulagernden faulen Wertpapiere nicht die Stadt haften müsse.

OB Schuster wollte von Bürgschaft nichts wissen

OB Schuster gab damals zu Protokoll, eine Beteiligung an der „Risikoimmunisierung“ genannten Bürgschaft sei „nicht vorgesehen und wird von mir auch nicht befürwortet“. Wenige Wochen später segnete eine Mehrheit aber genau diese Risikobeteiligung mit der Vorlage 318/2009 ab. Stadträte stolperten damals über Sätze wie: „Der erwartete Verlust (,expected loss‘) des abzusichernden ABS-Portfolios (ohne Cluster 4 in Höhe von 1,9 Mrd. Euro, dessen Ausfälle die LBBW alleine tragen wird, vgl. 3.1) beläuft sich nach Berechnungen von Prytania auf 385 Mio. Euro, davon bis Ende 2014 139 Mio. Euro.“

ABS? Mancher Stadtrat dürfte eher an seine Autobremsen gedacht haben, als er zustimmte, dass Verluste bei der Veräußerung der „Asset Backed Securities“, einer spezifischen Form der Verbriefung von Zahlungsansprüchen in handelbaren Wertpapieren gegenüber einer Finanzierungsgesellschaft, durch die Bürgschaft abgedeckt würden. Wenige Tage später war einigen Stadträten klar geworden, dass die Stadt damit ins Risiko-Boot gestiegen war – als 18,9-prozentiger Anteilseigener an der LBBW haftet der Stuttgarter Steuerzahler natürlich für deren Verluste. Und nicht zu knapp: 2009 wären das bei einem Schrottpapier-Volumen von 12,7 Milliarden rund 2,4 Milliarden Euro gewesen. Schuster und Föll wiesen damals den Vorwurf der „Täuschung“ zurück: Die Stadträte hätten eben das Kleingedruckte lesen müssen.