Konzentriert in der Gangart, aber sympathisch lässig und allürenfrei entführt die Band Le Millipede auf eine kurzweilige Reise ins Reich der tausend Töne, auf der keinerlei akademische Strenge lastet, sondern die Lust auf eine spielfreudige Neuorganisation von Klang und Rhythmus dominiert.

Schorndorf - Der knallorangene Synthesizer von Nicolas Schierig (ein alter Moog?) sieht mit seinen schwarzen Kabeln ein bisschen aus wie eine jener Zündmaschinen, mit denen Sprengmeister früher die Detonationen in Steinbrüchen auslösten. Rechts gegenüber bedient Manuela Rytzki zwei ebenfalls ziemlich urtümliche Analog-Viecher ähnlicher Bauart, während im Zentrum der Posaunist Mathias Götz, tätig für allerlei Ensembles von Kunstpop (die dänische Band Efterklang) über Elektro-Jazz (Tied + Tickle Trio) bis zu neuer Volksmusik (Unterbiberger Hofmusik) ein Xylofon, ein Stylofon und allerlei Gerätschaften wie Fingercymbals, Rasseln, Glockenspiel und eine Muschelkette bedient. Vom angekündigten Muligebiss war – schade – allerdings nichts zu sehen.

 

Die prominentesten Musiker haben sich in der Schorndorfer Manufaktur in den Hintergrund verzogen: Markus und Micha Acher von der deutschen Independent-Institution The Notwist. Alle zusammen sind Le Millipede und spielen . . . – ja, was eigentlich? Eine tausendfüßlergleich enorm bewegliche, frei mäandernde Mischung aus Ethno-Jazz, Elektropop und neuer Blasmusik, die dort anfängt, wo derlei Begrifflichkeiten an ihre Grenzen stoßen – nennen wir es: Instrumentelles mit Posaune und Sousafon.

Dass zwischen all diesen Musikern und Gerätschaften jegliche Saiteninstrumente fehlen, bemerkt das knapp dreistellige, angenehm luftig um ein paar Stehtische verteile Publikum in der Manufaktur eher beiläufig – und vermisst sie auch nicht weiter. Denn zu ereignisreich ist das, was dieses Ensemble auch ohne Gitarre oder Bass anstellt. Was Markus Acher am Schlagzeug zusammenklöppelt, hat zwar nur selten einen richtigen Beat, aber stets verdammt viel Rhythmus, zieht mal straight und linear seine Bahn, groovt verschachtelt und kurvenreich voran oder wechselt wendig die Taktung.

Die Bläser pusten jegliche intellektuelle Schwere aus den Arrangements.

Die tonalen Keyboard-Merkwürdigkeiten? Klingen mal nach Morsezeichen, herübergefunkt aus Galaxien früherer Jahrzehnte, als der US-Komponistenkauz Moondog zu kultigen Grenzgängen zwischen E- und U-Musik aufbrach, oder greifen den kinderklaviergeprägten Minimalismus des französischen Neutöners Pascal Comelade auf. Mittendrin spielt Götz, Absolvent des Münchner Richard-Strauss-Konservatoriums, seine Posaune mit Wucht und beiläufiger Virtuosität und pustet dem Sound mit Micha Achers Sousafon jegliche intellektuelle Schwere aus den Arrangements.

Stets konzentriert in der Gangart, aber sympathisch lässig und allürenfrei entführen Le Millipede auf eine gut siebzigminütige, kurzweilige Reise ins Reich der tausend Töne, auf der keinerlei akademische Strenge lastet, sondern die Lust auf eine spielfreudige Neuorganisation von Klang und Rhythmus dominiert. Und kommen bei aller historischen Referenzialität stets in der Gegenwart an und in höchst orginellen, individuellen Soundwelten.