„Am liebsten würde ich wieder im Camper schlafen.“
Volker und Lailah Heimes haben jahrelang nach einer neuen Bleibe mit bezahlbarer Miete Ausschau gehalten. In ihrer Wohnung fühlen sie sich schon lange nicht mehr wohl. Hinter dem Sofa gedeiht der Schimmel. Die Nachbarschaft gehört zur argwöhnischen Sorte. Und nachts rauben ihnen die Sirenen der Polizei den Schlaf, wenn sie wieder eine Straße weiter für Ordnung sorgen muss. Als sie vor drei Jahren aus einem ausgedehnten Campingurlaub nach Hause kamen, blieb Lailah Heimes in der Eingangstür stehen: „Das ist irgendwie nicht mehr meins. Am liebsten würde ich wieder im Camper schlafen.“
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Volker Heimes nahm sie beim Wort. Er ist ein Mann der Tat. Was er sich einmal in den Kopf setzt, macht er wahr. Das Katzenparadies ist nur ein Projekt von vielen. Die Diskusfische schwimmen in einem Aquariumpalast mit zwei Meter hohem Kunststofffelsen. Den Computer mit Wasserkühlung hat er in einer gläsernen Schreibtischplatte untergebracht. Und weil der Tüftler ein anspruchsvoller E-Zigaretten-Raucher ist, hat er eine Maschine entwickelt, mit der er seine Liquids selbst mischen kann. Auch das Wohnmobil hätte Volker Heimes am liebsten selbst gezimmert. Schließlich hat er bereits einen Wohnwagen gebaut: einen 400 Kilogramm schweren Anhänger für sein Fahrrad, in dem zwei Personen schlafen können. „Ich dachte zunächst daran, einen Kühllaster umzubauen. Der wäre schon isoliert gewesen“, erklärt er. Ein Jahr hätte er dafür gebraucht, doch er hätte eine Halle anmieten müssen. Die Miete allein hätte 100 000 Euro verschlungen.
Wohnwagen mit elektrischen Rollläden
Nun steht seit knapp drei Monatenein gebrauchter Niesmann + Bischoff Flair 8000i vor ihrer Haustür, die Luxusvilla unter den Wohnmobilen, Listenneupreis 214 000 Euro. Zur Grundausstattung gehören elektrische Rollläden und Sichtschutzplissee, Solaranlage und Bodenheizung, Panoramadachluke sowie – das fasziniert die stolzen Besitzer besonders – „ein Backofen mit Rotisserie fürs Grillhähnchen“. Volker Heimes nennt das neun Meter lange und sieben Tonnen schwere Gefährt liebevoll Nibi. Er bekam ihn für 67 000 Euro, ein verheimlichter Wasserschaden und Getriebeschwächen mit inbegriffen. Aber das konnte der passionierte Heimwerker weitgehend selbst in Ordnung bringen.
Sein Talent ist ihm nicht in den Schoss gefallen. Drei Berufe hat der 54-Jährige gelernt: Werkzeugmacher, Elektrotechniker, Netzwerktechniker. Den ersten Beruf gab er auf wegen einer Chrom-Nickel-Allergie, den zweiten, weil er, damals 22 Jahre alt, auf einer Baustelle vom vierten Stock fiel, glücklicherweise auf einen Erdhaufen. „Ich habe da oben in der Hocke 380 Volt abgekriegt, weil ein Kollege geschlampt hat“, erzählt er. „Da haben meine Beine Sprungfedern gespielt.“
Danach waren drei Nerven eingeklemmt, was die Ärzte auf den Röntgenaufnahmen nicht erkannten. Zwei Jahre lang biss Volker Heimes die Zähne zusammen, doch irgendwann konnte er nicht einmal mehr mit dem Bohrgerät zur Decke blicken. Er sattelte um auf Netzwerktechnik und arbeitete zunächst für eine Firma. Die Schmerzen blieben jedoch. In all diesen Jahren begann er das Frühstück mit Tabletten, die er mit Kaffee runterspülte. Die Magensäure zerstörte den Zahnschmelz seiner Zähne. Volker Heimes grinst. „Jetzt habe ich künstliche.“
Um sich bei großen Schmerzen hinlegen zu können, machte er sich selbstständig mit einem EDV-Service, dem Volker-Heimes-Webshop. Zu dieser Zeit lebte das Ehepaar Heimes in Fellbach in einer kleinen, günstigen Wohnung. Im Jahr 2003 bot ihr Vermieter ihnen eine Altbauwohnung in Esslingen an. „Wir waren total geblendet von der geräumigen Wohnung, den hohen Decken, dem Stuck“, erinnert sich Lailah Heimes.
Sie wollen ihren Ballast loswerden
Die Entscheidung, von Fellbach nach Esslingen zu ziehen, bereuen die beiden bis heute. „Ich verlor peu à peu meine Kunden“, erzählt Volker Heimes. Seit Jahren ist er schon arbeitslos, zumindest auf dem Papier. Tatsächlich tüftelt er täglich in seiner Werkstatt an diversen Projekten bis tief in die Nacht. Zeitweise hatte er die Hoffnung, eine neue Existenz mit einem Online-Shop namens „Mein-Wunsch-E-Liquid“ zu gründen. „Dafür hatte ich bereits unser Esszimmer in ein Labor umgewandelt und kräftig in E-Liquids investiert.“ Selbst die Schutzanzüge für steriles Arbeiten lagen schon parat. Doch das Projekt scheiterte an neuen Vorgaben des Gesetzgebers. „Ich habe dadurch viel Geld in den Sand gesetzt“, sagt Volker Heimes.
Doch nicht Geld ist der Grund, warum sie umziehen, nicht in erster Linie, betont das Paar. Lailah Heimes hat ein geregeltes Einkommen, sie arbeitet für einen mobilen Dienst der Diakonie. Sonst hätte die Bank ihnen auch nicht den Kredit für das Wohnmobil gewährt. Mit dem Umzug wollen sie vielmehr ihren „über die Jahre angehäuften Ballast“ abwerfen, wie sie sagen – Konsumgüter, mit denen sie sich das Leben in der ungeliebten Wohnung versüßen wollten: eine blaue Drei-Meter-Couch mit Ottomanen auf jeder Seite, einen 65-Zoll-Fernseher samt Blue-Ray-Player, eine Onkyo-Anlage mit Sechsfach-CD-Wechsler und 9.2-Soundsystem, ein Yamaha-E-Piano, das sich Leilah erst im vergangenen Jahr zugelegt hat, einen Videoprojektor, die X-Box, die CD-Sammlung, mehrere Alexas. Volker Heimes hat für Youtube Verkaufsvideos gemacht, in denen er durch die Wohnung läuft und dabei sein Hab und Gut „zu Schnäppchenpreisen“ anpreist. Auf die Straße haben sie zum dritten Mal Kisten mit Büchern und CDs zum Verschenken gestellt, darunter das „Lehrbuch Pflegeassistenz“ von ihr, der Bildband „So schön ist Deutschland“ von ihm, die dicken Romane von Umberto Eco. Alles muss raus.
Fahrradtour bis in die Mongolei
Was sie im Wesentlichen mitnehmen in ihr neues Domizil, sind ihre Kleider und ihre Katzen. Die Freunde halten sie für mutig oder für verrückt. „Was macht Volker, wenn er nicht mehr in seiner Werkstatt rumhantieren kann?“, sorgen sie sich. Doch der hat schon längst Pläne für den neuen Lebensabschnitt geschmiedet. Er will Länder sehen, die er noch nie bereist hat. „Das sind im Grunde alle außer Mallorca und ein paar Nachbarländer.“ Doch nicht Nibi wird ihn begleiten – der Camper bleibt bei seiner Frau, die weiterhin in Esslingen arbeiten will. Er werde sich auf sein Liegerad mit Solardach schwingen und im Fahrradanhänger nächtigen. „Wenn ich Fahrrad fahre, habe ich keine Schmerzen“, sagt er. „Und wenn Leilah frei hat, kommt sie mich mit Nibi besuchen.“
Volker Heimes weiß auch schon, wohin die Reise gehen soll: „Zuerst nach Schottland zu Nessi“, sagt er. Anschließend über Irland in den Südwesten Englands zur Stonehenge-Stätte, dann über Frankreich nach Spanien, von dort mit dem Schiff nach Marokko, die Küste entlang bis nach Ägypten, mit dem Schiff nach Indien, über China bis in die Mongolei und von dort über Osteuropa wieder in die Heimat. „Danach ist Amerika dran.“
Finanzieren würde er seine Reisen am liebsten durch Sponsoren und Einnahmen aus Youtube-Werbung. Schon jetzt dokumentiert er seine Vorbereitungen minutiös in Videos, die er postet. „Ich hoffe auf 20 000 Abonnenten, damit könnte ich die Reisekosten abdecken.“ Derzeit sind es erst an die 1200 Abonnenten, die ihm beim Basteln am Fahrradanhänger zusehen.
Bevor er jedoch losradelt, will er mit seiner Frau und den Katzen in Ruhe in Wernau ankommen und sich an den neuen Minimalismus gewöhnen. Schon jetzt übernachtet die Familie im Nibi. Für die Katzen hat Volker Heimes die Wand zur Garage des Campers durchgebrochen, wo sich das Katzenklo befindet. Bisher sind sie wenig begeistert. Vielleicht birgt der Umzug auch für Speedy und Kira neue Freiheiten. In Wernau werden sie erstmals in ihrem Leben Freigang erhalten.