Ein Mann springt im Stuttgarter Bahnhof auf einen anfahrenden Zug und klammert sich außen an einer Lok fest. So fährt er mehr als 20 Kilometer bei zwischenzeitlich 160 Stundenkilometern mit. „Bodenloser Leichtsinn“, sagt ein Bahnsprecher. Und das alles wegen eines Koffers.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Als „bodenlosen Leichtsinn“ bezeichnet ein Bahnsprecher das, was ein Fahrgast getan hat, um seinen Koffer nicht zu verlieren. Der Mann sprang auf einen losfahrenden Zug, klammerte sich zwischen der hinten den Zug schiebenden Lok und einem Waggon fest, und fuhr in dieser Position mehr als 20 Kilometer bis kurz vor Vaihingen/Enz (Landkreis Ludwigsburg). Der 39-Jährige hatte noch auf dem Bahnsteig eine Zigarette geraucht und sah, dass der Zug anfuhr. Weil er seinen Koffer bereits in den Interregio Express (IRE) gestellt hatte, mit dem er gegen 19 Uhr am Donnerstag von Stuttgart losfahren wollte, fasste der Mann den Entschluss, durch den er sich in Lebensgefahr brachte.

 

„Es ist ein Wunder, dass er noch auf dem Zug war und nicht runtergestürzt ist, was tödlich hätte enden können“, sagt Jonas Große, der Sprecher der Bundespolizei. Der Mann war nämlich auf einen Zug gesprungen, der auf die Schnellfahrstrecke fuhr, die durch den Kreis Ludwigsburg in Richtung Norden verläuft. Der Zug hatte laut Polizei eine Spitzengeschwindigkeit von bis zu 160 Stundenkilometern. „Man darf gar nicht darüber nachdenken, was da alles hätte passieren können“, sagt Große. So würden in den Tunneln auf der Strecke die Züge mit unverminderter Geschwindigkeit fahren, erläutert der Sprecher der Bahn. Dabei entstehen gewaltige Sogwirkungen, die Passagiere selbst im ICE spüren würden. Der 39-jährige Mann hatte offenbar einen gehörigen Schock, als er kurz vorm Pulverdinger Tunnel bei Vaihingen/Enz gerettet wurde. „Als unsere Kollegen zum Zug kamen, stand der bereits. Der Mann war aber immer noch auf dem Trittbrett an der Lok und klammerte sich krampfhaft an die Eisenstange, an der er sich während seiner gefährlichen Fahrt festgehalten hatte“, schildert Jonas Große. Eine Viertelstunde Todesangst steckte dem Mann in den Knochen: Gut 15 Minuten brauchen Züge von Stuttgart bis Vaihingen.

Ein Fahrgast entdeckt den Mann zwischen Lok und Waggon

Das Zugpersonal hatte den Mann nach dem Hinweis eines Fahrgastes entdeckt und die für Bahnstrecken zuständige Bundespolizei alarmiert. Die forderte aus Unterschleißheim bei München einen Hubschrauber an, um die Strecke absuchen zu lassen. „Der Bundespolizeihubschrauber konnte dann aber glücklicherweise wieder abdrehen“, sagt der Polizeisprecher.

Die Beamten nahmen den geretteten Mann mit zur Dienststelle – ob mit oder ohne Koffer, sei dem Protokoll des Falles nicht zu entnehmen. Der Sprung auf das Zugtrittbrett wird als „betriebsstörende Handlung“ geahndet. Der Mann musste eine Sicherheitsleistung von 150 Euro bezahlen, da sein Wohnsitz in Italien liegt.

„Kein Koffer der Welt ist dieses Risiko wert“, warnt der Sprecher der Bahn eindringlich. Wem so ein Missgeschick geschehe, solle vom Zug wegbleiben. „Man wendet sich dann in einem großen Hauptbahnhof an das Servicepersonal, entweder an einen unserer Mitarbeiter an den Bahnsteigen, oder an die Servicetheke in der Bahnhofshalle“, rät er. Die Mitarbeiter könnten dann das Zugpersonal kontaktieren. In kleinen Bahnhöfen oder spät in der Nacht solle man in den Fahrplanvitrinen nach der Nummer der nächsten Servicezentrale der Bahn suchen, die an jeder Station zu finden sei. Für Stuttgart laute diese Telefonnummer 20 92 10 55.