Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Pasqualina Perrig-Chiello forscht an der Universität Bern über Lebenskrisen. Sie sagt, dass ernst zu nehmende Probleme besonders häufig dann auftreten, wenn mehrere Belastungen zusammenkommen. Beispielsweise sozialer Rollenstress: im Beruf müssen viele ständig ihr Können beweisen, einfallsreich, originell, aber immer auch möglichst unkompliziert sein. Mancher trägt beruflich viel Verantwortung – und ist privat gefordert mit pubertierenden Kindern und alternden Eltern. Eine weitere Herausforderung sieht die Psychologin in Partnerschaften, die in die Jahre gekommen sind, an die aber weiterhin hohe Erwartungen gestellt werden. Manche, sagt Perrig-Chiello, reflektierten die eigene Liebesbeziehung ohne Unterlass. Ihr Gelingen muss als Trost, als Ausgleich für viele andere Frustrationen herhalten. Die Beziehung wird an Bildern gemessen, die von außen kommen, so als müssten Partnerschaften allgemeingültigen Standards entsprechen. Deshalb sei dann auch privat die Latte so hoch gelegt, dass die Realität dem Wunsch oft nur atemlos hinterherhecheln könne.

 

Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die zeigen, dass gerade im mittleren Alter alle Menschen irgendwann von einer Lebenskrise betroffen sind. Perrig-Chiellos Studie mit Schweizern im Alter zwischen vierzig und sechzig hat ergeben, dass die meisten sich in diesem Alter offenbar viel zu wenig Zeit für sich selbst nehmen. Dabei gehe es auch darum, einmal Dinge alleine zu machen, sagt Perrig-Chiello, Zeit zum Nachdenken zu haben, und niemandem etwas recht machen, gefallen oder beweisen zu wollen. Weil viele genau dieses Bedürfnis nach Reflexion und Alleinsein ignorieren, sind sie ununterbrochen überfordert. Und das Rad dreht sich eben nicht ständig weiter: Die Überforderung kann irgendwann zur Krise führen, der kleinste Vorfall den ganz großen Paukenschlag auslösen.

Krisen gibt es in jedem Alter

Zu solchen Krisen kann es tatsächlich in jeder Altersstufe kommen. Psychologen der Universitäten Greenwich und Sussex haben herausgefunden, dass viele von einer Art „Latelife Crisis“ betroffen seien: Menschen im Alter zwischen etwa 60 und 69 hätten häufig Phasen der Depression und Verunsicherung. Die Gründe dafür seien gesundheitliche Beschwerden und die Angst vor dem Sterben. Auch von der „Quarterlife Crisis“ – der Krise am Ende des Studiums – ist die Rede. Für dieses Phänomen sieht Pasqualina Perrig-Chiello zwar keine wissenschaftlichen Belege, doch räumt sie ein, dass Übergangsstadien eine Krise begünstigten – wie zur Zeit des Universitätsabschlusses oder in den ersten Jahren im neuen Job. Zu viele Entscheidungsmöglichkeiten, zu wenig Arbeitsplätze, hohe Erwartungen und eine schlechte Bezahlung: mit diesen Problemen haben Berufsanfänger heute häufig zu kämpfen.

Egal, in welchem Alter wir sind, die Unterhaltungsindustrie gaukelt uns vor, dass alles zugleich möglich sein müsste und am besten sofort: Job, Partner, Kinder, Erfolg, Spaß. Dass es meist überhaupt nicht so läuft, ist gerade für Perfektionisten, die für ihr Leben einen genauen Plan entworfen haben, nicht leicht zu akzeptieren. Dinge entwickeln sich anders als erwartet, eine Problemsituation häuft sich auf die andere, der Frust wird unbeherrschbar. Die Fragen, die sich viele dann stellen, rühren ans Grundsätzliche.

Das ist sie, die sogenannte Midlife-Crisis. Den Klassiker – oft Inhalt von Filmen und Literatur – kennt jeder: Ein Mann stellt plötzlich fest, dass sein halbes Leben vorbei und sein Alltag gewöhnlich ist, und verlässt vom einen auf den anderen Tag Frau und Familie, um sich eine junge Freundin und ein schnelles Auto zuzulegen. „Und, schon einen Porsche gekauft?“, fragt die junge Scarlett Johansson den deprimierten älteren Bill Murray im Film „Lost in Translation“ an der Hotelbar. Lost – verloren –, das ist jeder irgendwann, sei es innerhalb traditioneller Lebensentwürfe oder außerhalb. Dann muss sich das ganze bisher gelebte Leben dem kritischsten aller Blicke stellen: dem eigenen. Quälende Fragen folgen. Soll es das gewesen sein? Welche Möglichkeiten habe ich noch? Warum ist alles so festgefahren? Wie will ich wirklich leben?

Zu wenig Zeit für sich

Pasqualina Perrig-Chiello forscht an der Universität Bern über Lebenskrisen. Sie sagt, dass ernst zu nehmende Probleme besonders häufig dann auftreten, wenn mehrere Belastungen zusammenkommen. Beispielsweise sozialer Rollenstress: im Beruf müssen viele ständig ihr Können beweisen, einfallsreich, originell, aber immer auch möglichst unkompliziert sein. Mancher trägt beruflich viel Verantwortung – und ist privat gefordert mit pubertierenden Kindern und alternden Eltern. Eine weitere Herausforderung sieht die Psychologin in Partnerschaften, die in die Jahre gekommen sind, an die aber weiterhin hohe Erwartungen gestellt werden. Manche, sagt Perrig-Chiello, reflektierten die eigene Liebesbeziehung ohne Unterlass. Ihr Gelingen muss als Trost, als Ausgleich für viele andere Frustrationen herhalten. Die Beziehung wird an Bildern gemessen, die von außen kommen, so als müssten Partnerschaften allgemeingültigen Standards entsprechen. Deshalb sei dann auch privat die Latte so hoch gelegt, dass die Realität dem Wunsch oft nur atemlos hinterherhecheln könne.

Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die zeigen, dass gerade im mittleren Alter alle Menschen irgendwann von einer Lebenskrise betroffen sind. Perrig-Chiellos Studie mit Schweizern im Alter zwischen vierzig und sechzig hat ergeben, dass die meisten sich in diesem Alter offenbar viel zu wenig Zeit für sich selbst nehmen. Dabei gehe es auch darum, einmal Dinge alleine zu machen, sagt Perrig-Chiello, Zeit zum Nachdenken zu haben, und niemandem etwas recht machen, gefallen oder beweisen zu wollen. Weil viele genau dieses Bedürfnis nach Reflexion und Alleinsein ignorieren, sind sie ununterbrochen überfordert. Und das Rad dreht sich eben nicht ständig weiter: Die Überforderung kann irgendwann zur Krise führen, der kleinste Vorfall den ganz großen Paukenschlag auslösen.

Krisen gibt es in jedem Alter

Zu solchen Krisen kann es tatsächlich in jeder Altersstufe kommen. Psychologen der Universitäten Greenwich und Sussex haben herausgefunden, dass viele von einer Art „Latelife Crisis“ betroffen seien: Menschen im Alter zwischen etwa 60 und 69 hätten häufig Phasen der Depression und Verunsicherung. Die Gründe dafür seien gesundheitliche Beschwerden und die Angst vor dem Sterben. Auch von der „Quarterlife Crisis“ – der Krise am Ende des Studiums – ist die Rede. Für dieses Phänomen sieht Pasqualina Perrig-Chiello zwar keine wissenschaftlichen Belege, doch räumt sie ein, dass Übergangsstadien eine Krise begünstigten – wie zur Zeit des Universitätsabschlusses oder in den ersten Jahren im neuen Job. Zu viele Entscheidungsmöglichkeiten, zu wenig Arbeitsplätze, hohe Erwartungen und eine schlechte Bezahlung: mit diesen Problemen haben Berufsanfänger heute häufig zu kämpfen.

Egal, in welchem Alter wir sind, die Unterhaltungsindustrie gaukelt uns vor, dass alles zugleich möglich sein müsste und am besten sofort: Job, Partner, Kinder, Erfolg, Spaß. Dass es meist überhaupt nicht so läuft, ist gerade für Perfektionisten, die für ihr Leben einen genauen Plan entworfen haben, nicht leicht zu akzeptieren. Dinge entwickeln sich anders als erwartet, eine Problemsituation häuft sich auf die andere, der Frust wird unbeherrschbar. Die Fragen, die sich viele dann stellen, rühren ans Grundsätzliche.

Männer wagen öfter den radikalen Neuanfang

Auch wenn Frauen wie Männer gleichermaßen von einer Krise betroffen sein könnten, seien es weiterhin öfter die Männer, die ihr Leben radikal umkrempeln, sagt Pasqualina Perrig-Chiello. Die Psychologin erklärt das so: „Männer wollen immer noch auf jedem Gebiet stark sein, sie können sich nicht so gut eine Schwäche eingestehen, und sie sind es nicht so sehr gewohnt zu kommunizieren und sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.“ Familienväter, die Frau und Kinder verlassen, Manager, die ins Kloster gehen – das seien oftmals nicht die Egomanen, für die sie gehalten werden, so Perrig-Chiello. Vielmehr seien gerade solche Männer eher gut strukturierte und organisierte Persönlichkeiten, die alles perfekt und es allen recht machen wollten und irgendwann die Kontrolle verlieren. Danach bleibt oft nichts als der radikale Neuanfang. Geschichten von Frauen, die sich in einem Leben wiederfinden, das sich nicht wie das eigene anfühlt, gibt es aber auch zur Genüge – und sie werden erfolgreich verkauft. Beispielsweise die über die Heldin im Bestseller „Eat Pray Love“ von Elisabeth Gilbert. Sie fragt sich in schlaflosen Nächten: „Wir hatten dieses Haus doch erst vor einem Jahr gekauft! Hatte ich mir dieses schöne Haus nicht gewünscht? Hatte es mir nicht gefallen?“ Die zweifelnde Frau verlässt den Ehemann und das gefestigte Leben in New York, um ein Jahr lang alleine um die Welt zu reisen. Für sie geht es gut aus.

Doch wie kann man verhindern, dass man überhaupt an diesen Punkt kommt, an dem andere verletzt und verlassen werden? Forschungen hätten erwiesen, so die Psychologin Perrig-Chiello, was wenig überrascht: Menschen, die offen mit Problemen umgehen, die flexibel sind und Veränderungen nicht ängstlich entgegenblicken, haben die besten Chancen, eine Krise heil zu überstehen: „Wenn man nicht drüber spricht und nach Schema X weitermachen will, funktioniert das nicht. Man muss sich der Unzufriedenheit stellen.“

Zweifeln ist erlaubt

Das bedeutet auch, offen zu sein für Entwicklungen, die man sich zuvor vielleicht nie hätte träumen lassen. „Ich hätte nie gedacht, dass gerade mir das einmal passieren würde“ – wer war nicht schon einmal in einer Situation, in der er genau das sagen konnte? In solchen Momenten, so der Rat der Psychologin, komme es darauf an, sich auch für Wendungen zu öffnen, die so nicht geplant waren. Wer hingegen alle Hindernisse und Herausforderungen einfach fortschiebt, der steht irgendwann allein in der Leere, die er sich selbst geschaffen hat. Nach außen wollten viele das perfekte Leben inszenieren, sie arbeiteten ständig daran, bis keine Luft zum Atmen mehr bleibe und gähnende Langweile in einem bis ins letzte Detail genormten Leben herrsche. Das Aufeinanderprallen von illusorischen Lebensentwürfen und der Realität, der Spagat zwischen fremden und eigenen Erwartungen – das seien Konflikte, vor denen niemand gefeit sei, meint die Psychologin. Die inneren Ansprüche und Wünsche gerieten im Alltag oft ins Hintertreffen. Aber sie wirkten immer weiter.

Momente, in denen wir reflektieren und bilanzieren, in denen nichts und alles zugleich möglich scheint, in denen wir Rückschläge erleben, uns Schreckliches widerfährt oder wir einfach nur an allem zweifeln, können in jedem Lebensalter auftreten. Im Wortursprung der „Krise“ steckt verborgen, worum es eigentlich geht – im Altgriechischen bedeutet das Verb „krinein“ trennen oder unterscheiden. Ursprünglich ging es also nicht um die Lage, in der sich jemand befand, sondern um deren Beurteilung, um Entscheidungen. Was will ich eigentlich? Und ist das, was ich will, auch wirklich mein eigenes Ideal oder verfolge ich etwas, das in Wahrheit andere von mir erwarten?

Was Sterbende am meisten bereuen

Vor einigen Monaten ist der Bestseller einer australischen Krankenschwester auf Deutsch erschienen, in dem diese dokumentiert, wie Hunderte von Patienten, die sie am Sterbebett gepflegt hatte, auf ihr Leben zurückblickten (Bronnie Ware: „Fünf Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“, Arkana Verlag). Bronnie Ware hat die Erfahrungen von ungezählten Patienten aufgeschrieben. Und so hat sie festgestellt, dass viele im Angesicht des Todes offenbar besonders bedauern, nicht ihr „wahres Ich“ gewesen zu sein, sondern zu oft nur so waren, wie andere es von ihnen erwarteten, wie „es sich gehört“. Viele bereuten außerdem, zu viel gearbeitet und Freundschaften nicht ausreichend gepflegt zu haben. Die meisten wünschten sich, sie hätten den Mut gehabt, zu ihren wahren Wünschen zu stehen, und sie hätten sich selbst mehr Glück erlaubt.

Man kann sich all das bewusst machen und so versuchen, der Krise zu begegnen, bevor sie zerstörerisch wird, bevor die Mechanismen, die unser Zweifeln ausgelöst haben, sich zunehmend verselbstständigen. In einer säkularisierten, individualistischen Gesellschaft haben wir kaum mehr Riten und Rituale, die Lebensphasen der Übergänge begleiten. Dabei könnten diese das Unverständliche verständlicher machen. In seinem Buch „Übergangsriten“ (Rites de Passage) hat der französische Anthropologe Arnold van Gennep vor rund hundert Jahren solche Phasen untersucht: von der Kindheit zum Erwachsenenleben, vom Leben zum Tod, von der Jugend bis ins hohe Alter. Van Gennep hat die Bräuche analysiert, mit denen die verschiedenen Kulturen diese Übergänge verarbeiteten. Zeiten des Übergangs werden regelmäßig erlebt, überall auf der Welt gleichermaßen, wie auch die Psychologin Pasqualina Perrig-Chiello festgestellt hat.

Riten machen Übergangsphasen verständlicher

Van Gennep vergleicht die Gesellschaft mit einem Haus, das Zimmer und Flure hat. Der Mensch bewegt sich darin, dabei werden Riten vollzogen, die alle dasselbe Ziel haben: dem Menschen die räumliche oder zeitliche Veränderung zu verdeutlichen und verständlich zu machen. Rituale machen die Phasen der Übergänge erlebbar und erfahrbar, nicht umsonst hat die Menschheit sie also jahrhundertelang gepflegt. Der Übergang vom Kind zum Erwachsenen, die Wechseljahre, die ersten Jahre im neuen Job, ein erstes Kind, der Tod eines Angehörigen, eine plötzliche Krankheit, die Erkenntnis, dass der eigene Körper sich verändert – all das bewegt und verändert uns.

Und auch heute gilt: selbst wenn das manchmal schmerzhaft ist, kann es ruhig sichtbar werden, dass wir zweifeln, fragen, entscheiden oder unzufrieden sind, denn in jeder Krise entsteht etwas Neues: Wir entscheiden, welche Rolle wir spielen, wofür unser Herz schlägt, wo es hingehen soll.