Kommentar zur Strafe für Zschäpe Ein Urteil, kein Abschluss

Beate Zschäpe wird wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Foto: AFP

Der Prozess wegen der Morde des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds war eines der längsten und größten Verfahren in Deutschland. Der Prozess war notwendig, doch nach dem Urteil müssen jetzt die richtigen Schlüsse gezogen werden, kommentiert Christian Gottschalk.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

München - Manch einer hatte die Hoffnung schon aufgegeben, dass es jemals zu einem Urteil kommen würde im NSU-Prozess. Nun, nach fünf Jahren und zwei Monaten zäher Verhandlung können Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten als rechte Terroristen bezeichnet werden, ohne dass das Wörtchen mutmaßlich davor gesetzt werden muss. Nun steht fest, dass die Mörderbande um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) für ihre Taten zur Verantwortung gezogen wird. Im Namen des Volkes muss Beate Zschäpe lebenslang hinter Gittern, weil sie Mittäterin ist. Ihre Helfershelfer müssen ebenso in Haft.

 

Das Münchner Oberlandesgericht hat über das geurteilt, was es glaubt beweisen zu können. Ob es damit der Wahrheit nahe gekommen ist, das ist eine ganz andere Frage. Denn der Prozess ist zwar vorbei, doch viele Fragen bleiben offen. Die Zweifel daran, dass der NSU nur aus drei Mitgliedern bestand, sind in den 438 Verhandlungstagen eher gewachsen, als dass sie ausgeräumt wurden. Die Zweifel daran, dass Verfassungsschützer, Polizei und all die anderen Ermittler eine tadellose Arbeit abgeliefert haben, sind inzwischen zur Gewissheit geworden. Es sei eine Mischung aus wegschauen, vertuschen und bremsen gewesen, schimpfen die Nebenkläger, und das nicht zu Unrecht. Zudem kann man sich fragen, ob es wirklich dieses Mammutverfahren gebraucht hat, um auf dieses Ergebnis zu kommen. Zumal die geschätzten Kosten von mehr als 65 Millionen Euro auch keine Kleinigkeit sind.

Abgründe im Land werden sichtbar

Doch es hat diesen Prozess tatsächlich gebraucht, bei allen Fehlern, die er hat, bei allen Unzulänglichkeiten des Systems, bei allen Widrigkeiten, die es zu überwinden galt. Die Kleinteiligkeit und die juristischen Spitzfindigkeiten von Verteidigern und Nebenklägern haben zwischendurch den Blick dafür verstellt, dass es sich hierbei um einen der größten und bedeutendsten Strafprozesse der Republik handelt. Schließlich haben über viele Jahre hinweg nicht nur die Ermittlungsbehörden, sondern auch weite Teile der Gesellschaft nicht erkannt oder nicht erkennen wollen, was für Abgründe sich in unserem Land aufgetan haben. Dass Menschen getötet wurden, nur weil ihre Wurzeln in der Türkei oder in Griechenland liegen.

Auch wenn es nicht zur vollständigen Aufarbeitung gekommen ist, auch wenn viele Fragen offen bleiben: der Prozess hat vor Augen geführt, zu welch perversen Brutalitäten die rechte Szene fähig war – und das zu einer Zeit, in der es noch keine Flüchtlingskrise gab und das böse Wort vom Asyltourismus ausschließlich in Kreisen von so genannten Nationaldemokraten die Runde machte. Doch wer zu sehr darüber schimpft, dass viele Fragen offen bleiben, der verkennt die Aufgaben eines Strafprozesses. Und wer sich zu sehr auf die eingeschränkten Möglichkeiten eines Strafprozesses beruft, der verkennt die berechtigten Wünsche und Bedürfnisse von Opfern, deren Angehörigen und der Öffentlichkeit.

Lehren müssen aus dem Prozess gezogen werden

Der Prozess ist vorbei, und es wären verlorene fünf Jahre gewesen, zöge man daraus keine Lehren. Zum einen ist es an der Zeit, die Strafprozessordnung unter die Lupe zu nehmen. Viele offensichtlich unsinnige Anträge haben das Verfahren in die Länge gezogen. Es gilt einen Weg zu finden, dies zu verhindern, ohne dabei die Angeklagten massiv in ihren Rechten zu beschneiden. Zum anderen, und das ist noch wichtiger, darf das Ende des Prozesses nicht bedeuten, dass nun auch alle Aktendeckel geschlossen werden, die das Material rund um den NSU zusammen halten.

In Baden-Württemberg und fünf weiteren Bundesländern sind noch NSU-Ausschüsse dabei, die Struktur der rechten Szene zu beleuchten, Details und Zusammenhänge zu erforschen. Diese Arbeit muss mit Wucht weitergeführt werden. Sie ist schwieriger als der Münchner Prozess, weil es in den Landtagen zumeist an einem plakativen Gesicht wie dem von Beate Zschäpe fehlt, an dem das öffentliche Interesse festgemacht werden kann. Das allerwichtigste ist aber, dass eine gut informierte und aufgeweckte Gesellschaft nicht gleichgültig auf Fremdenfeindlichkeit und Rassismus reagiert. Das gilt heute mehr denn je.

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