Oft machen nur wenige Duftstoffe den Gesamteindruck von Lebensmitteln aus. Das interessiert vor allem die Industrie, denn Fertiggerichte und Convenience Food müssen gut riechen.

Stuttgart - Riecht es bei Ihnen in der Küche gerade nach Diallyldisulfid und 3-Methional? Steigt Ihnen Octadien-3-on und Dipropyldisulfid in die Nase? Dann stehen auf Ihrem Speiseplan vermutlich gebratener Dorsch, gekochte Kartoffeln und dazu irgendetwas mit Zwiebeln und Knoblauch. Experten vermuten, dass es etwa 10 000 chemische Substanzen gibt, die beim Geruch von Lebensmitteln und Getränken eine Rolle spielen; erst 8000 von ihnen konnten identifiziert werden. Lebensmittelchemiker haben die verschiedenen Moleküle analysiert, die ein Duftempfinden in unserer Nase aktivieren. In ihrer Sprache klingt der Duft des Fischgerichts mit Kartoffeln eher wie ein Chemieunfall als nach einem Leckerbissen. Aber die Fachbezeichnung der Duftstoffe bringt Ordnung in die Geruchseindrücke, die Wissenschaftler Duftgestalt nennen.

 

Thomas Hofmann von der Technischen Universität München hat die Duftgestalt von 227 frischen und zubereiteten Lebensmitteln miteinander verglichen und Erstaunliches gefunden. Das Geruchserlebnis ist weitaus einfacher strukturiert, als bisher vermutet. Nicht Tausende, sondern nur 230 verschiedene Komponenten sind verantwortlich für den charakteristischen Geruch sämtlicher untersuchter Nahrungsmittel, behauptet Hofmann. 16 davon sind Generalisten, die im Duft von mehr als einem Viertel der untersuchten Lebensmittel vorkommen.

Damit’s schmeckt, muss es gut riechen

Das nach gekochten Kartoffeln riechende 3-Methional und das malzige Methylbutanal ist sogar in mehr als der Hälfte der Duftgestalten vertreten. Diese typischen Gerüche entstehen meist während der Zubereitung aus natürlichen Bestandteilen der Lebensmittel: aus Kohlenhydraten, Aminosäuren oder Fetten. Dagegen sind 151 der Komponenten eher selten. Hofmann nennt sie Individualisten für einen besonderen Geruch: beispielsweise Diallyldisulfid im Knoblauch, das Dipropyldisulfid der Zwiebeln oder Undecatetraen im Hopfen. Für diese speziellen Geruchsstoffe ist unsere Nase besonders empfindlich. Sie besitzen meist einen sehr niedrigen Schwellenwert, ab dem der Mensch sie bereits wahrnimmt.

Der Duft aus dem Topf oder vom Teller ist eine Mischung aus den 230 Komponenten. Er verschwimmt durch die mehr etwa 400 Geruchsrezeptoren in unserer Nase zu einem Gesamteindruck. In den meisten Fällen ist die Nase damit überfordert, die Duftgestalt in ihre Bestandteile zu zerlegen – und das ist auch gut so: Der Geruch von Sauerrahmbutter beispielsweise besteht aus drei Substanzen, die einzeln nicht nach Frühstück riechen: Butter, Kokosnuss und Schweiß. Leichte Veränderungen in der Geruchssignatur ähnlicher Lebensmittel können wir hingegen gut erkennen: Ethenyl-2-methoxyphenol als typischen Geruch des Weißbiers und Linalool in Pilsner Bieren beispielsweise oder auch spezielle Wein- und Whiskysorten.

Ein guter Koch unternimmt mit jedem Rezept eine Reise durch die Welt der Düfte, an dessen Ende es aus der Küche gut riechen muss. Denn die Nase ist für den Geschmack mindestens ebenso wichtig wie die Zunge. Damit das Essen schmeckt, muss es vor allem gut riechen. Wer nicht kochen kann, der ist offen für die Hilfsmittel der modernen Biotechnologie und ihrer „authentischen Rekonstruktion natürlicher Geruchssignaturen“, wie Hofmann es formuliert. Dadurch könne „dem Verbraucherwunsch nach Geruchsstoffen biologischen Ursprungs“ entsprochen werden.

Grüner Tee besitzt acht Geruchtsstoffe, Wein mehr als 20

Fertiggerichte und Convenience Food sind ohne einen angenehmen Geruch unverkäuflich, am besten duftet es schon beim Öffnen der Verpackung. Der beste Geruch ist dabei nicht derjenige, der tatsächlich vom Inhalt der Verpackung ausgeht. Stattdessen denkt Hofmann an ein sinnlicheres Erlebnis für den Verbraucher: „Denkbar wäre der zeitaufgelöste hedonische Eindruck eines Geruchsfilms, etwa wie den der Ernte eines Erdbeerfeldes.“ Auch für Computerspiele oder E-Books könnte die Handlung durch Duft ergänzt werden. In diesem Sinne verwandelt sich die Auflistung der Duftgestalt von 227 Lebensmitteln unwillkürlich zu einer Handlungsaufforderung an die Industrie.

Tatsächlich erweisen sich manche Lebensmittel als primitiv aufgebaut. „Der typische Geruch der meisten, wenn nicht aller Lebensmittel wird durch das charakteristische Verhältnis von nur drei bis höchstens 40 Komponenten hervorgerufen“, berichtet Hofmann. Grüner Tee besitzt nur acht Geruchsstoffe, Fencheltee neun, Kaffee kommt immerhin auf über 22. Beim Ananassaft sind es neun, ähnlich wie beim Geruch der Erdbeere – beide Früchte unterscheiden sich nur in einem Geruchsstoff voneinander. Auch komplizierte Aromen wie Bier (17 bis 20) und Wein (22 bis 27) erweisen sich unter der Brille der Analytik als überschaubar, Cognac und Single Malt Whiskys können eine Duftgestalt mit mehr als 30 Komponenten vorweisen.

Dieser Gedankengang ist keinesfalls neu – aber er wird immer attraktiver. Der Weltmarkt für Aromen und Duftstoffe wächst jährlich um mehr als vier Prozent. Seit mehr als 100 Jahren spielt die Lebensmittelindustrie mit dem Geruch von Lebensmitteln und ergänzt ihre Produkte mit zusätzlichen Aromen. Nur wenige davon stammen wirklich aus der Natur, die meisten werden durch biologisch veränderte Bakterien, Hefen oder Pilze hergestellt. Sie dürfen dennoch als „natürliches Aroma“ auf der Verpackung deklariert werden. Die Geschmacksingenieure schlagen mit ihrer Kreation in vielen Fällen sogar die Natur: Das chemisch veränderte Vanillin riecht als Ethylvanillin viermal intensiver als sein natürliches Pendant.

Das Ziel sei immer dasselbe, sagt Udo Pollmer, Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften, teure Rohstoffe durch billige Aromen zu ersetzen. Häufig verliere das ehrlich erzeugte Produkt in diesem Wettstreit und verschwinde vom Markt oder bleibe nur in einer Nische erhalten.

Nicht alle Aromen werden ersetzt

Der vollständige Ersatz des echten Aromas gegen den Geruch aus der Biotechnologie bleibe aber aufwendig und lohne sich deshalb nicht für jedes Produkt, meint Pollmer. Die Hersteller stehen nämlich noch vor einer großen technischen Herausforderung. Das Wissen über die chemische Natur der Duftgestalt reicht allein nicht aus. Die einzelnen Komponenten müssen im richtigen Verhältnis aus dem Lebensmittel entweichen – und das auch noch gleichzeitig. Sonst riecht die Nase nicht den Gesamteindruck, sondern einzelne Komponenten. Die Sauerrahmbutter duftet plötzlich nach Kokosnuss – oder nach Schweiß.