Haarsträubende Fehler im Europaparlament hätten beinahe zum Aus für ein Gesetz geführt, das die Position der Bauern gegenüber dem Handel stärken will.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Im Europaparlament ist es kürzlich zu einer Reihe von Pannen gekommen, wie sie bei Gesetzgebungsverfahren höchst selten vorkommen. Da haben die 46 Abgeordneten zuerst im Landwirtschaftsausschuss Beschlüsse gefasst und damit ihre Linie für das weitere Gesetzgebungsverfahren festgelegt. Anschließend haben sich diejenigen deutschen Abgeordneten, auf deren Betreiben diese Beschlüsse gefasst wurden, davon wieder distanziert und erklärt, dass sie sie etwas anderes gemeint hätten.

 

Konkret geht es darum: Die EU will gegen unfaire Handelspraktiken in der Lebensmittelbranche vorgehen und die Verhandlungsposition der Landwirte gegenüber dem Handel stärken. Dahinter steht die Überlegung, dass eine Handvoll EU-weit operierender Handelsketten den Bauern durch die übergroße Marktmacht immer wieder Konditionen aufzwingen, gegen die sich die Landwirte nicht wehren können. Die Kommission hatte vorgeschlagen, vier „unlautere Handelspraktiken“ zu verbieten – etwa verspätete Zahlungen für verderbliche Waren, Stornierung der Aufträge in letzter Minute oder einseitige sowie rückwirkende Vertragsänderungen.

48 Verbote geplant

Danach waren die Spezialisten im Landwirtschaftsausschuss am Zug und legten für das Parlament die Linie für die anstehenden Verhandlungen mit dem Rat, also dem Gremium der Landwirtschaftsminister der EU-Mitgliedsländer, fest. Die Abgeordneten waren besonders eifrig: Während die Kommission nur vier Praktiken verbieten wollte, identifizierten sie 48 unfaire Praktiken, die auf den Index sollten. Darunter sind zwei Verbote, die zu einem Aufschrei der Handels-Lobby führten.

Auf Betreiben von drei deutschen Abgeordneten der Union sollen nämlich „Zusammenschlüsse von Einkaufsgemeinschaften von Einzel- und Großhandel“ verboten werden. Ihnen war nicht klar: Damit würde nicht nur das Geschäftsmodell von allen Rewe- und Edeka-Märkten verboten, sondern auch allen Einkaufsgenossenschaften wie etwa Raiffeisen die Grundlage entzogen. Der Empörung der Verbände und einzelner Rewe- und Edeka-Kaufleute war groß. Die Abgeordneten hatten offenbar versäumt zu prüfen, welche rechtlichen Folgen ihre Vorgabe hätte.

Albert Dess (CSU), der sich für das Verbot eingesetzt hatte, ruderte anschließend zurück: Niemand habe die Absicht, Rewe und Edeka zu zerschlagen. Es sei vielmehr gemeint, lediglich Einkaufsgemeinschaften auf EU-Ebene zu verbieten.

Bauern bleiben auf den Kosten sitzen

In Deutschland, aber noch mehr in Österreich sorgt der Plan für ein zweites Verbot für ähnlichen Ärger. Die Abgeordneten wollen dem Handel verbieten, den Bauern künftig Vorschriften zum Tier- oder Umweltschutz aufzuerlegen, die über die aktuellen gesetzlichen Regeln hinaus gehen. Dagegen läuft die Ökobranche Sturm. Auch hier kam die Klarstellung: Es gehe nur darum, derartige Vorschriften bei den Billigmarken, also im Preiseinstiegssegment, zu verbieten. Norbert Lins, CDU-Agrarexperte aus dem Südwesten, räumt ein, dass die erste Formulierung nicht präzise war. Lins kämpft aber weiter dagegen, dass der Handel bei Billigmarken wie „gut + günstig“ und „ja“ den Bauern Vorschriften machen darf, die über die Gesetze hinaus gehen. „Ich habe nichts gegen höhere Standards beim Tier- und Umweltschutz, ich bin nur vehement dagegen, dass der Handel die eigenen Regeln zulasten der Bauern schafft.“ Praxis sei eben nicht, dass der Handel den Bauern den Mehraufwand bezahle. Die Bauern blieben vielmehr auf den Kosten sitzen. Der Handel schmücke sich vielmehr gern gegenüber dem Verbraucher mit höheren Standards, und die Landwirte schauten in die Röhre, sie bekämen nicht mehr Geld, ihre Marge werde damit noch einmal kleiner.

Derzeit etwa versuche der Handel, die Bauern dazu zu verpflichten, keine Milch mehr von Kühen zu liefern, die im Stall angebunden sind. Zu den gleichen finanziellen Konditionen, versteht sich. Für 40 Prozent der Milchkuhhalter im Südwesten hieße dies, dass sie in neue Ställe investieren müssten. In Bayern seien 50 Prozent der Milchviehbestände noch in der so genannten Anbindehaltung.

Dem Handel ist das ganze Gesetzgebungsverfahren gegen unlautere Handelspraktiken schon länger ein Dorn im Auge. Am liebsten hätte er es gesehen, wenn die Aufregung über die handwerklichen Schnitzer im Agrarausschuss dazu geführt hätte, das Gesetzgebungsverfahren komplett zu blockieren. Soweit ist es aber nicht gekommen. Die Abgeordneten haben ihren beiden Verhandlungsführern die Klarstellungen zu den verunglückten Formulierungen mit auf den Weg gegeben. Die Verhandlungen zwischen Parlament und Rat laufen. So ist damit zu rechnen, dass bis zur Europawahl im Mai zwar nicht Edeka und Rewe verboten werden, aber doch gewisse Handelspraktiken zum Nachteil der Bauern.