93 Millionen Lebensversicherungen gibt es in Deutschland. Nun plant die Regierung Änderungen. Welche Folgen hat das für die Verbraucher? Ein Überblick über die wichtigsten Themen und Fragen.

Berlin - Fast jeder hat sie, und doch blicken viele nicht durch: Lebensversicherungen gehören zur Grundausstattung der meisten Haushalte. Nicht nur für die Versicherungsbranche zählt die Lebensversicherung noch immer zum lukrativen Geschäft. Auch bei den Kunden waren die Policen wegen des Steuerprivilegs gefragt, das noch für Altverträge gilt. In Zeiten mit extrem niedrigen Kapitalmarktzinsen wird das Geschäft für beide Seiten schwieriger.

 

Die Kunden mit ihren 93 Millionen Lebensversicherungsverträgen können nicht mehr sicher sein, dass jede Gesellschaft die versprochenen Renditen auf Dauer zahlen kann. Deshalb greift die Regierung ein. Sie will wie berichtet mit einem Gesetzespaket die Branche zur Verlässlichkeit zwingen. Die Gewinne der Assekuranz sollen neu aufgeteilt werden. Davon profitieren die meisten Kunden, doch manche werden Nachteile haben. Ein Überblick.

Knapp 800 Milliarden Euro legen die Lebensversicherer an

Die Lebensversicherungen investieren die Kundengelder zum überwiegenden Teil in festverzinsliche Wertpapiere. Knapp 800 Milliarden Euro haben die Lebensversicherungen für ihre Kundschaft angelegt. Ungefähr 90 Prozent des Kapitals fließt in Anleihen. Nur drei Prozent werden in Aktien investiert, in Immobilien fließen vier Prozent. Den Versicherern kommt es in erster Linie auf eine sichere Geldanlage an. In der Vergangenheit führte dies zu verlässlichen Renditen. Die extreme Niedrigzinsphase bringt die Gesellschaften jetzt aber unter Druck. Wer beispielsweise Mitte der neunziger Jahre eine Lebensversicherung abgeschlossen hat, dem wurde ein Garantiezins von vier Prozent zugesagt. Der Garantiezins wird bis zum Ablauf des Vertrags, oft ist das ein jahrzehntelanger Zeitraum, fest zugesagt. Die Assekuranz hat ihr Versprechen bisher gehalten. Inzwischen erhalten Investoren beim Kauf von zehnjährigen Bundesanleihen aber nur noch 1,6 Prozent Zins. Die Rechnung geht damit auf lange Sicht nicht mehr auf.

Bisher haben die Versicherer die Niedrigzinsen gut überstanden

Beim Produkt Lebensversicherung gilt von jeher das Vorsichtsprinzip. Mit Hilfe von Reserven ist es den Lebensversicherungen bisher gelungen, die Niedrigzinsphase zu überstehen. Weil die Versicherer vor zehn oder 15 Jahren Anleihen mit höherem Zins erworben haben, können sie die Phase mit Niedrigzinsen überbrücken. Auf Dauer wird das aber nicht möglich sein. Schon jetzt schmelzen die genannten Bewertungsreserven ab. Dabei handelt es sich um die Buchgewinne bei Kapitalanlagen. Auf Druck des Bundesverfassungsgerichts müssen Lebensversicherungen seit 2008 die Hälfte der Bewertungsreserven an diejenigen Kunden ausschütten, deren Vertrag ausläuft oder die ihre Police kündigen.

Ziel der Ausschüttung war ursprünglich, die Kunden an den Kursgewinnen bei Aktien und Immobilien teilhaben zu lassen. Wegen der Niedrigzinsen kommt es seit einiger Zeit auch bei öffentlichen Anleihen zu hohen Bewertungsgewinnen: Die Kurse der älteren Wertpapiere mit höherem Zins sind stark gestiegen. Dies führt zu rechnerischen Buchgewinnen. Die Lebensversicherer argumentieren, dass sie die älteren festverzinslichen Wertpapiere überhaupt nicht verkaufen wollen, sondern die höheren Zinsen an die Versicherten verteilen. Die Pflicht zur Ausschüttung erschwere die Erfüllung der Pflichten, so das Argument der Assekuranz.

Die Gewinnbeteiligung nutzt fünf Prozent der Kunden

Von Bewertungsreserven sind rund 62 Millionen kapitalbildende Lebensversicherungen betroffen. Wer eine fondsgebundene Police oder eine Risikolebensversicherung besitzt, für den gelten andere Bestimmungen. Die Bundesregierung will mit einem Gesetz dafür sorgen, dass von den Bewertungsreserven bei Anleihen künftig die Mehrheit der Kunden profitiert. Die bisherige Gewinnbeteiligung nutzt Jahr für Jahr rund fünf Prozent der Kunden: den Vorteil haben Versicherungsnehmer, deren Verträge auslaufen. Dieser Personenkreis erhält mehr Geld. Die Regierung will dafür sorgen, dass bald alle Kunden von den Reserven bei Festverzinslichen etwas haben. Die Verbraucherschützer argumentieren, die Regelung werde nur gemacht, um die Lebensversicherungen zu schützen.

Wenn das Gesetz unverändert bliebe, liefe das darauf hinaus, dass die Substanz der Lebensversicherungen geschwächt würde. „Eine Korrektur bei den Bewertungsreserven ist notwendig: Die höchsten stillen Reserven werden im jetzigen System zu einem Zeitpunkt ausgewiesen, an dem die Lebensversicherungen aufgrund von sinkenden Zinsen die meisten Probleme haben“, sagt der CDU-Finanzpolitiker Ralph Brinkhaus. Der Gesetzgeber will jetzt handeln. Die starken Ausschläge bei den stillen Reserven, die sich aus dem Zinsniveau ergeben, sollen eingeebnet werden. Die nebenstehende Grafik zeigt die Schwankungen. Würde der Kapitalmarktzins auf Normalniveau steigen, lösten sich die Reserven rasch auf.

Das Gesetz enthält eventuell einen Stichtag

Viele Kunden wissen nicht, wie sie auf die geplante Gesetzesänderung reagieren sollen. Die Sparer, deren Lebensversicherungsvertrag bald abläuft, überlegen, ob sie die Police noch vor der Änderung des Gesetzes kündigen sollten. Mit diesem Schachzug könnten sie sich die hohen Bewertungsreserven sichern, so die Hoffnung. So klar ist das aber nicht. Denn wer vorzeitig kündigen will, muss bedenken, dass er in diesem Fall nicht an den sogenannten Schlussüberschüssen beteiligt wird. Diese Gewinnkomponente soll gewährleisten, dass Kunden möglichst bis zum Ablauf des Vertrages dabei bleiben. In diesem Fall gibt es sogar Geld obendrauf. Nach Auskunft der Versicherungswirtschaft sind die Schlussgewinne in vielen Fällen höher als die Bewertungsreserven. Die Versicherungskunden sollten deshalb die erwarteten Gewinne beim individuellen Vertrag erfragen.

Zu bedenken ist: bei Lebensversicherungen gilt in der Regel eine einmonatige Kündigungsfrist. Möglicherweise enthält das geplante Gesetz einen baldigen Stichtag, von dem an die neue Regeln gelten. Denkbar ist, dass der Stichtag dem Tag der Kabinettsentscheidung entspricht. Dann könnte es schnell gehen. Welches Datum vorgesehen ist, sagt das Finanzministerium nicht.