Familie verpflichtet, das wusste sie schon früh: Zu Gast bei Rosely Schweizer, geborene Oetker, in Murrhardt.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)
Stuttgart - Rosely Schweizer sitzt im Wohnzimmer. Hohe Räume, dunkles Holz, viel Platz. Das Bücherregal reicht fast bis unter das Dach. Auf einer breiten Fensterbank stehen mehrere Dutzend Rähmchen mit Fotos der großen Verwandtschaft. Das Haus in der Murrhardter Innenstadt haben sie und ihr Mann vor ein paar Jahren seniorengerecht, barrierefrei und mit einem Aufzug ausgestattet bauen lassen. Eine Hausangestellte serviert Kaffee und Gebäck. Es ist nicht so einfach, einen Termin mit der viel beschäftigten 69-jährigen Unternehmerin zu bekommen.

Eigentlich wollte sich Rosely Schweizer, geborene Oetker, vor drei Jahren endlich mehr Zeit nehmen für die fünf Enkelkinder. Zeit, um abends als Babysitter da sein und mit den Kleinen Nachmittage auf dem Spielplatz verbringen zu können. Doch es kam anders. Sie wurde zur Beiratsvorsitzenden der Oetkergruppe gewählt und damit eine der einflussreichsten Frauen in der deutschen Wirtschaft. Zu dem Mischkonzern gehören mehr als 400 Firmen. Das Familienunternehmen mit seinen insgesamt rund 24000 Mitarbeitern hat im vergangenen Jahr einen Gesamtumsatz von gut 9,2 Milliarden Euro erwirtschaftet. Das ehrgeizige Ziel, dieses Ergebnis in den nächsten zehn Jahren zu verdoppeln, müsse allerdings wegen der Wirtschaftskrise zeitlich gestreckt werden, sagt die Unternehmerin. Doch darum muss sie sich nicht mehr kümmern.

Ende dieses Jahres gibt die älteste Tochter des 2007 gestorbenen Firmenpatriarchen Rudolf-August Oetker den Vorsitz an ihren Bruder August Oetker ab, der zurzeit noch Konzernchef ist. Ihre wichtigste Hausaufgabe hat Rosely Schweizer längst gemacht. Gemeinsam mit den vier Beiratskollegen regelte sie die Zukunft der Unternehmensführung und setzte dabei auf ein bewährtes Rezept: Auf Oetker folgt Oetker - Familie verpflichtet. Anfang Januar tritt Rosely Schweizers Bruder Richard Oetker als persönlich haftender Gesellschafter an die Spitze des 1891 in Bielefeld gegründeten Unternehmens, zu dem unter anderem die größte deutsche Brauereigruppe, rund 170 Schiffe der Reederei Hamburg Süd sowie Sektkellereien, Luxushotels, eine Bank und eine chemische Fabrik gehören.

Die Großmutter ist Vorbild


In einem Familienunternehmen, sagt die Gesellschafterin, wollten die Mitarbeiter bei internen Veranstaltungen unbedingt auch ein Familienmitglied sehen. Insbesondere zum Jahresende hin häufen sich die Termine. Zumal Rosely Schweizer nicht nur den Beiräten mehrerer Konzernfirmen und der Holding angehört, sondern auch als Ehrenmitglied des CDU-Wirtschaftsrats unterwegs ist. Sie sitzt zudem im Kuratorium der Bonner Stiftung Marktwirtschaft und ist Vorsitzende der Käte-Ahlmann-Stiftung, einer Organisation, die in erster Linie junge Unternehmerinnen berät.

Mit dieser Käte Ahlmann hat alles angefangen, im schleswig-holsteinischen Rendsburg der vierziger und fünfziger Jahre. Die 1940 in Hamburg geborene Rosely ist damals tief beeindruckt von ihrer geschäftstüchtigen Großmutter. Sie verbringt prägende Jahre bei der Unternehmerin, die nach dem frühen Tod ihres Mannes die Carlshütte, eine Eisengießerei mit zeitweise 3000 Beschäftigten, lenkt. Rosely lebt damals das typische Leben eines Scheidungskinds. In den Ferien ist sie mal bei der Mutter im österreichischen Innsbruck, mal beim Vater in Bielefeld-und oft bei der Großmutter. Das Kind besucht in 13 Schuljahren zwölf verschiedene Schulen, mitunter wird es auch privat unterrichtet. Beide Elternteile finden neue Partner, der Vater heiratet später ein drittes Mal. In der jungen Bonner Republik entsteht eine der ersten prominenten Patchwork-Familien. Rosely Schweizer sagt heute, sie freue sich riesig darüber, zwölf Brüder und Schwestern zu haben. Bei Familienfeiern wie jetzt an Weihnachten sei ihr Haus rappelvoll.

Waschpulver statt Backpulver


Als Teenager muss Rosely in Rendsburg bei Tisch regelmäßig zu den geladenen Gästen sprechen. "Ich habe das gehasst, es war aber eine wunderbare Übung." Die Großmutter schenkt der Enkelin nicht nur viel Aufmerksamkeit, sondern auch ein Aktienpaket im Wert von 10000 Mark. "Das war gewaltig viel Geld für mich, mein Vater war nämlich so was von sparsam." Gemeinsam studieren die Oberschülerin und ihre Großmutter, die Firmenchefin, die ihr Unternehmen mit harter Hand führt, jeden Morgen den Wirtschaftsteil von fünf Tageszeitungen. Rosely Oetker bekommt ein Gespür dafür, wie Wirtschaftspolitik den Wert ihrer Aktien beeinflusst. "In dieser Zeit habe ich mehr gelernt als an der Uni."

Der Vater hält zunächst gar nichts vom geplanten Studium seiner Tochter. Er sagt, sie werde doch später ohnehin heiraten und Kinder bekommen. Die Tochter rebelliert und schreibt sich für ein Wirtschaftsstudium in Innsbruck ein, wo sie ihren späteren Mann kennen lernt. Folkart Schweizer übernimmt nach dem Studienabschluss den väterlichen Betrieb in Murrhardt, und sie kommt selbstverständlich mit ihm in das schwäbische Provinzstädtchen: "Das war für mich ganz klar, ein Unternehmen geht immer vor." 1965 wird Hochzeit gefeiert, 1967, 1969 und 1972 kommen Rudolf, Georg und Carolina zur Welt.

Mit dem schwäbischen Dialekt tut sich die Neubürgerin anfangs etwas schwer. Zunächst ist die junge Mutter aber sehr zufrieden mit ihrem Leben als Hausfrau auf dem Lande. "Nach dem zweiten Kind hat mich der Rappel gepackt", sagt sie. Rosely Schweizer will arbeiten. Sie spielt mit dem Gedanken, eine Boutique zu eröffnen, lässt sich aber vom Mann überzeugen, der zweifelt: "Glaubst du wirklich, die Murrhardter haben deinen Geschmack?" Auch aus der Idee mit dem Buchladen wird nichts, es gibt schon zwei in der Kleinstadt. Schließlich eröffnet die millionenschwere Erbin im benachbarten Sulzbach eine Textilreinigung, was den Vater zu einem erstaunten Kommentar veranlasst: "Rosely, wir machen doch Backpulver und kein Waschpulver."

Kein Erfolg mit der Textilreinigung


Das kleine Unternehmen beschäftigt zwei Angestellte. Der Chefin, die jeden Samstag hinter dem Tresen mitarbeitet, beschert die Reinigung allerdings keinen Erfolg-jedenfalls keinen wirtschaftlichen. Bei der Geschäftsaufgabe nach ein paar Jahren weist die Bilanz einen Verlust von 10000 Mark aus. Vom Vater in fernen Bielefeld gibt es trotzdem Anerkennung: "Das war eine gute Schule." Sie habe damals Lehrgeld bezahlt, sagt die Unternehmerin, nippt am Kaffee und entlässt zu vorgerückter Stunde die Haushälterin in den Feierabend.

Anfang der achtziger Jahre ist die Reinigung in Sulzbach schon Schnee von gestern. Die drei Kinder gehen inzwischen im Internat zur Schule. Und Rosely Schweizer wird irgendwann auf dem Marktplatz von einer Murrhardter Christdemokratin gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, für den Gemeinderat zu kandidieren. Als sie spontan zusagt, antwortet die verdutzte Frau: "Müssen Sie da nicht erst Ihren Mann fragen?" Muss sie nicht. Bei den Schweizers macht jeder seit jeher sein eigenes Ding. Folkart Schweizer ist Abenteurer und Chef einer Automobilzuliefererfirma. Seine Frau geht in die Politik, wird Stadträtin und Landtagsabgeordnete. "Ehepartner können sich gegenseitig viel mehr erzählen, wenn beide arbeiten", sagt Rosely Schweizer.

Verfechterin der Quotenregelung


Politische Wegbegleiter loben ihre diplomatischen Fähigkeiten. Doch aller Diplomatie zum Trotz: Rosely Schweizer findet meist klare Worte, völlig egal, ob es um Politik geht oder um Wirtschaftsfragen. Sie sagt, die Unternehmer hätten eine Bringschuld in der Gesellschaft. Firmenchefs dürften sich nicht nur beklagen und jammern, dass sie nicht gehört würden. Sie müssten sich auch selbst einbringen. Das ist so Tradition bei den Oetkers. Zumindest ein Familienmitglied sollte sich zeitlich befristet politisch engagieren.

In einem Punkt ist die Konservative auf gleicher Linie mit den Grünen: Die Quotenregelung sei schlichtweg notwendig, um noch mehr Frauen in eine Führungsposition zu bringen. Sie könne die Männer ja gut verstehen, die die Macht hätten und nicht freiwillig zurück stünden.

Rosely Schweizer gibt nun den Beiratsvorsitzes der Firmengruppe ab, weil sie die unternehmensinterne Altersgrenze erreicht hat. "Es fällt mir schwer, ist aber richtig so." Einfluss auf das Unternehmen behält sie als Gesellschafterin freilich auch in Zukunft. Und bald hat sie endlich mehr Zeit für ihre mittlerweile sieben Enkelkinder.