Leder kann jetzt ökologisch unbedenklich hergestellt werden. In der früheren Reutlinger Gerberschule herrscht Aufbruchstimmung. Dank eines neuen Gerbverfahrens mit Olivenblättern kann auf das umweltschädliche Chrom verzichtet werden.

Reutlingen - Dank eines aus Olivenblättern gewonnenen Stoffes verwandelt sich das Gerben von einem äußerst umweltschädlichen zu einem ökologisch unbedenklichen Vorgang. Dies verspricht ein kleines Reutlinger Unternehmen mit Namen Wet-Green, das bereits große Unternehmen wie BMW zu den Kunden zählt. Einen „echten Durchbruch“ nennt Michael Braungart, Professor an der Erasmus-Universität Rotterdam, das Verfahren. Der Chemiker und Verfahrenstechniker von internationalem Ruf sieht dabei keinerlei Nachteile bis auf einen: „Traurig ist, dass es für die europäische Lederindustrie vielleicht 20 Jahre zu spät kommt.“

 

Auf den ersten Blick ist es heute um Reutlingen als ehemalige deutsche Ledermetropole schlecht bestellt. Die großen Lettern „Westdeutsche Gerberschule“ wirken so marode wie das Industriegebäude, an dem sie angebracht sind. 2011 war das Lederinstitut Gerberschule Reutlingen geschlossen worden, nur noch wenige junge Leute wollten sich zum Ledertechniker ausbilden lassen.

Bei Reutlinger Gerbern herrscht Aufbruchstimmung

Einige Schritte hinter den verlassenen Gebäuden präsentiert sich die Halle der früheren Lehrgerberei in hellem Weiß. Hier herrscht Aufbruchstimmung. „Reutlingen ist wieder vorn in Sachen Leder“, sagt Heinz-Peter Germann frohgemut. Der war mehr als zwei Jahrzehnte lang Direktor des Gerberinstituts. Heute ist er Entwicklungsleiter von Wet-Green. Er arbeitet wieder in den angestammten Räumen, „sogar die Telefonnummer ist dieselbe“.

Germanns gute Laune beruht auf seinen Forschungsergebnissen bei der Gerbung – und den vielversprechenden Zukunftsaussichten für das Unternehmen. Ohne die Gerbung würden sich Tierhäute beim Trocknen zu einem unbrauchbaren, pergamentgleichen Stoff verwandeln, erklärt der Fachmann. Im Zuge der Gerbung reagieren Tierhäute mit dem Gerbstoff – so wird die Tierhaut zu Leder. Das übliche Verfahren ist die Mineralgerbung mit Chrom. Das kommt vor allem aus Südafrika. Doch bereits der Abbau ist eine Ökosünde. „Für eine Tonne Chrom fallen 80 Tonnen Abfall an“, sagt Professor Braungart, den Forscher Germann als „Ökopapst“ bezeichnet. Krebs erregend ist der Verarbeitungsprozess für ungeschützte Arbeiter, der vielen Krankheit und Tod gebracht hat. Ein zu hoher Chromanteil im Leder selbst ist für die Menschenhaut schädlich. Letztlich wird schwermetallhaltiges Leder sogar bei der Entsorgung zum Problem.

Ersatzstoff für schädliches Chrom lange gesucht

Als einzige Alternative zu Chrom gibt es „Free of Chrome“-Produkte. Das Label spricht für sich, doch chemische Ersatzstoffe führen zwar zu gutem Leder, jedoch nicht zu einem umweltschonenden Verfahren. „Wir haben im Reutlinger Lederinstitut viele Jahre nach einem Ersatzstoff für Chrom geforscht, ohne durchschlagenden Erfolg“, berichtet Heinz-Peter Germann aus seiner Zeit als Direktor des Instituts.

Um 2006 herum empfahlen Forscher des Darmstädter Unternehmens N-Zyme Biotec, die sich mit den biochemischen Reaktionen von Enzymen beschäftigen, die Gerbung mit Stoffen aus Olivenblättern zu versuchen. Wie bei manchem Meilensteinen des Fortschritts habe es einen Gedankenblitz gebraucht, sagt Germann, „die Verfahren sind dann oft verblüffend einfach“. Die Frage, warum niemand schon vor hundert Jahren auf diese Idee gekommen sei, beantwortet Germann mit einem Lachen. Im Prinzip wäre das möglich gewesen, „aber etwas Knowhow benötigt es schon“, sagte er und verweist auf seine Untersuchungen zur pH-Wert-Einstellung: „Wie bekommen wir die Haut zur Reaktion?“ Er betont, dass der Gerbstoff jetzt nach Bedingungen der Lebensmittelindustrie hergestellt würde.

Olivenblätter sind ein Abfallprodukt der Olivenernte – beim Schütteln fallen sie von den Ästen. Die oft feuchten Blätter würden zumeist umweltbelastend verbrannt. „Mit den Blättern aus Südeuropa könnten theoretisch 700 Millionen Quadratmeter Leder entstehen“, sagt Matthias Vogel, der kaufmännische Chef von Wet-Green, „das wären 40 Prozent der Weltlederproduktion.“ Mit dem neuen Verfahren würde sich zwar ein gutes Qualitätsleder um zehn bis 15 Prozent verteuern, beim Endprodukt wie hochwertigen Taschen oder Schuhe falle das allerdings kaum ins Gewicht.

Ökoleder bereits in Autoindustrie gefragt

Wet-Green hat das Patent auf das Verfahren. Lizenzierte Partnerbetriebe greifen die neue Ökomethode bereits auf, Vorzeigekunde ist BMW. „Wer beim neuen i3 mit Elektroantrieb eine Lederausstattung ordert, bekommt olivengegerbtes Leder“, betont Germann. Es soll leicht mediterran riechen, nach Olive eben. Für Professor Braungart steht fest: „Es ist doch viel besser, gleich das Richtige zu tun, als zu versuchen, das Falsche richtig zu machen.“