In Baden-Württemberg fehlt es an Lehrkräften. Gleichzeitig ist das Referendariat dafür bekannt, besonders stressig und anspruchsvoll zu sein. Zwei angehende Lehrer aus dem Kreis Ludwigsburg berichten von ihrem Alltag – und warum sie sich für den Beruf entschieden haben.

Ludwigsburg : Anna-Sophie Kächele (ask)

Wenn Marvin Egunjobi an seine Schulzeit zurückdenkt, hat er seinen Klassenlehrer vor sich. Derjenige, der ihn dazu ermutigt hat, nach der sechsten Klasse von der Hauptschule auf die Realschule zu wechseln. Und er denkt an die Lehrer, die ihm davon abgeraten haben. Als Kind mit Migrationshintergrund hatte er häufig den Eindruck gehabt, schon abgeschrieben worden zu sein. „Das will ich anders machen“, sagt er heute, im zehnten Monat seines Vorbereitungsdienstes –besser bekannt als Referendariat. Das Problem: Es gibt zu wenig Menschen, die sich für den Beruf entscheiden und zu viele, die ihre Ausbildung abbrechen. Mutmaßungen über Gründe gibt es viele. Zu viel Verwaltungsarbeit, Überlastung, immer weniger Lehrer auf immer mehr Schüler. Wie geht es Lehramtsanwärtern im Kreis Ludwigsburg? Zwei von ihnen berichten.

 

Schüler mit Migrationshintergrund hatten kaum Vorbilder

Marvin Egunjobi unterrichtet an der Gemeinschaftsschule in der Ludwigsburger Innenstadt Biologie und Geografie. „Ich wollte immer der Lehrer sein, der Schüler positiv beeinflusst“, sagt er. Ohne seinen Klassenlehrer wäre er vermutlich nicht hier - wenn jemand an einen glauben würde, könne das Berge versetzen, sagt er. Es gebe immer mehr Schüler mit Migrationshintergrund, die keine Vorbilder haben. Auch deshalb freut er sich, dass das Kollegium an seiner Schule international ist.

Der 27-Jährige hält momentan 14 Unterrichtsstunden in der Woche und hat sechs Unterrichtsbesuche in einem Jahr – gerade Letzteres kostet zusätzlich zur regulären Vorbereitung viel Zeit. Bei der Lehrprobe hält er eine Unterrichtsstunde und bekommt danach Rückmeldung von seiner Mentorin. Bis zu 24 Stunden Vorbereitungszeit würden ihn eine Schulstunde mit 45 Minuten kosten.

Etwas mehr als die Hälfte der Studierenden kommt im Beruf an

Dementsprechend stark schwankt sein Stresslevel. In manchen Wochen verbringe er durch Unterrichtsbesuche, Termine mit Eltern und Lehrerkonferenzen viel Zeit in der Schule und am Schreibtisch, „da fällt im Privatleben einiges runter“, sagt Egunjobi. Entscheidend dabei, wie positiv und herausfordernd man den Vorbereitungsdienst wahrnehme, seien die Schule und die Mentoren. Er habe Glück gehabt, „meine Mentoren unterstützen mich extrem gut, genauso wie das Kollegium“, sagt er.

Trotzdem seien die Anforderungen an Lehramtsanwärter hoch. Was sich ändern könnte, um den Druck zu verringern? Die Belastung entzerren und das Referendariat verlängern? „Ich weiß es nicht, meine Mentalität ist, ich muss da jetzt eineinhalb Jahre durch“, sagt Egunjobi. Er könnte sich vorstellen, dass das duale Lehramtsstudium, das derzeit in mehreren Bundesländern – unter anderem Baden-Württemberg – getestet wird, helfen könnte. Dadurch soll Praxis und Theorie stärker verzahnt und die hohe Zahl der Studienabbrecher reduziert werden. Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft hat berechnet, dass nur etwas mehr als die Hälfte der Studienanfängerinnen und Studienanfänger tatsächlich später im Beruf ankommen.

Horrorstorys über Mentoren können viele verunsichern

Lena Wallheimer, die eigentlich anders heißt, unterrichtet Geschichte und Biologie an einer Realschule im Kreis Ludwigsburg. Auch in ihren Augen beeinflussen den Vorbereitungsdienst drei Faktoren: Das Seminar, die Schule und Mentoren. Gerade über letzteres gebe es viele Horrorstorys, die verunsichern können. Wer Mentor wird, sollte deshalb eine gut überlegte Entscheidung sein, sagt sie. Dazu komme, dass sich die Vorstellung vom Lehrerberuf häufig nicht mit der Realität decke. „Ich glaube, dass doch recht viele schockiert sind, wie es läuft.“ Viele Studierende seien den gymnasialen Bildungsweg gegangen, kämen aus einem behüteten Elternhaus und würden dann in der Schule merken, dass Kinder sehr unterschiedlich aufwachsen.

Zu den Unterrichtsstunden kommt das Schreiben von Berichten – Zeit, die an anderer Stelle fehlt. „Nicht alle 14 Stunden können perfekt vorbereitet sein“, sagt Lena Wallheimer. Die Anforderung, allen Schülern gerecht zu werden, persönliche Beziehungen zu ihnen aufzubauen und das unterschiedliche Leistungsniveau aufzufangen, sei schon jetzt bei sechs Klassen unmöglich. Viele Kinder hätten eine Diagnose wie ADHS, eine Leserechtschreib- oder Lernschwäche.

Von wegen ständig frei

Sie kennt das Vorurteil, Lehrer hätten ständig frei. Bei ihr seien die Ferien kurz, die neue Arbeitswoche beginnt schon sonntags. „Ich stehe unter Daueranspannung und bin gedanklich immer beim nächsten Unterrichtsbesuch“, sagt sie.

Dennoch: Wenn die Schüler nach langem Erklären etwas verstanden haben oder ihnen etwas erzählen wollen – dann merken beide, dass sie im richtigen Beruf sind. „Wenn dich die Schüler dann auch als Lehrer wahrnehmen, ist das schon ein schönes Gefühl“, sagt Marvin Egunjobi.

Lehrerschwund

Studienabbrecher
Konkret haben von den 52 500 Personen, die 2017 ein Lehramtsstudium begonnen haben, 28 300 das Referendariat tatsächlich abgeschlossen.

Kündigungen
Im vergangenen Jahr kündigten insgesamt 470 Lehrerinnen und Lehrer ihren Arbeitsvertrag oder baten um die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis – rund 20 Prozent mehr als noch 2022.