Schon zu Schuljahresbeginn waren sämtliche Personalreserven aufgebraucht: Der Lehrermangel ist an vielen Schulen in der Region Stuttgart spürbar. Das hat gravierende Folgen.

Leserredaktion : Kathrin Zinser (zin)

Region Stuttgart - Fragt man Corina Schimitzek, die Amtsleiterin des Staatlichen Schulamts Nürtingen, wie der momentane Lehrermangel einzuschätzen ist, antwortet sie: „Anfang der Siebzigerjahre muss es ähnlich schlimm gewesen sein. Das habe ich zumindest von Kollegen gehört.“ Schimitzek sagt aber auch: „Wir haben noch nie so viele Lehrerstellen gehabt wie jetzt.“ Tatsächlich sei das Problem nicht ein Mangel an Stellen, sondern ein Mangel an Bewerbern, so das Kultusministerium.

 

„Die Lehrerversorgung ist in vielen Bereichen mangelhaft, gerade an den Grundschulen. Es fehlen aber auch Sonderpädagogen für Inklusion“, kritisiert Matthias Schneider, der Landesgeschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Der Blick auf die Zahlen macht die Not deutlich: Zu Beginn des laufenden Schuljahres Anfang September 2017 waren bei den Grundschulen in den Kreisen Böblingen und Esslingen jeweils etwa 25 Stellen und im Kreis Ludwigsburg rund 20 Stellen unbesetzt. Für Göppingen waren es im Schulamtsbezirk, der auch die Kreise Heidenheim und den Ostalb-Kreis umfasst, etwa zehn, im Rems-Murr-Kreis fehlten 30 Grund- beziehungsweise Haupt- und Werkrealschullehrer. Das Kultusministerium weist jedoch darauf hin, dass „nur näherungsweise rekonstruierte Zahlen“ zur Verfügung gestellt werden können. Das liege unter anderem daran, dass Stellen zum Teil in einen anderen Kreis umgeschichtet werden, wenn dort noch qualifizierte Bewerber zur Verfügung stehen. Eine Maßnahme von vielen, mit denen die Schulämter in der Region versuchen, den Mangel an Lehrern zu verwalten.

Pensionäre helfen aus

„Die Schulen im Landkreis Ludwigsburg waren am ersten Schultag zu 100 Prozent grundversorgt, das heißt, dass der Pflichtunterricht, der Ganztagesunterricht und Differenzierungsmaßnahmen voll abgedeckt waren. Die 20 Stellen, die nicht besetzt werden konnten, hätten die Lehrerreserve verstärkt“, erklärt Hubert Haaga, Schulamtsdirektor in Ludwigsburg. Für die Kreise Göppingen, Böblingen, Esslingen und den Rems-Murr-Kreis ergibt sich ein ähnliches Bild: „Die Krankheitsreserve war zu diesem Zeitpunkt bereits in vollem Umfang im Einsatz“, heißt es aus dem Staatlichen Schulamt Backnang. Aber: „Jeder langfristige Ausfall stellt vor diesem Hintergrund im weiteren Verlauf des Schuljahres ein schwer lösbares Problem dar.“

Um die Lücken zu stopfen, hat das Kultusministerium ein Maßnahmenpaket aufgelegt: Pensionäre wurden befristet wieder eingestellt, die Einstellungsverfahren für Schulen in ländlichen Regionen flexibilisiert. Viele Teilzeitkräfte erhöhten freiwillig ihre Stundenzahl. Gymnasiallehrer können sich für das Grundschullehramt qualifizieren. „Die Zahl dieser Bewerber ist bei uns deutlich gestiegen“, sagt Corina Schimitzek. Die GEW unterstützt diese Maßnahmen zwar, kritisiert sie aber angesichts langfristig steigender Schülerzahlen als nicht ausreichend. Zudem hätte die Krankheitsreserve schon in der Vergangenheit aufgestockt werden müssen. Das ist derzeit kaum möglich: „Stocken Sie mal auf, wenn Sie niemanden haben“, sagt Angela Huber, Schulamtsleiterin in Böblingen.

Mehrarbeit für die Lehrkräfte

Tatsächlich sind die Auswirkungen des Lehrermangels deutlich spürbar: „Für die Lehrkräfte bedeutet das durchgängig Mehrarbeit und eine hohe Arbeitsbelastung. Zeitweise müssen sie unversorgte Klassen mitbetreuen. Während der Grippewelle sind viele Lehrer trotz Erkrankung in die Schulen gekommen um den Unterricht aufrecht zu erhalten. Die Arbeitszufriedenheit leidet, da keine Zeit für Schul- und Unterrichtsentwicklung und Fortbildung mehr bleibt“, erklärt Roland Jeck vom Schulamt in Backnang.

Die Schüler müssten mit häufigen Planänderungen zurecht kommen. Der ständige Wechsel der Lehrkräfte und damit der Bezugspersonen führe insbesondere in den unteren Klassen zu Unsicherheit und Problemen, so Jeck weiter. Laut Jörg Hofrichter vom Göppinger Schulamt müssen Schüler auch Einschränkungen im Profil- und Freiwilligkeitsbereich hinnehmen. Und: Manche Klassen werden größer. „Einzelne Klassen haben wir nicht eingerichtet, obwohl der Klassenteiler überschritten war“, heißt es beim Schulamt in Nürtingen. „Da sitzen aber nicht 45 Kinder in einem Raum, sondern vielleicht ein oder zwei mehr – bei einem Klassenteiler von 28 reden wir dann von 30 Schülern pro Klasse“, erklärt Corina Schimitzek. Sie betont, dass es keinen Beleg dafür gebe, dass Schüler in größeren Klassen schlechtere Noten schreiben. Für die Lehrer hingegen bedeuten größere Gruppen einen Mehraufwand – so müssen mehr Klassenarbeiten korrigiert und Elterngespräche geführt werden.

Wie sich die dünne Personaldecke auf den Unterrichtsausfall auswirkt, ist schwer zu sagen. Verlässliche Zahlen auf Kreisebene gibt es nicht, da das Kultusministerium nur einmal im Jahr eine Stichprobenerhebung auf Landesebene macht. Kultusministerin Susanne Eisenmann hat angekündigt, noch in diesem Jahr eine Vollerhebung durchzuführen um in Zukunft vorausschauend planen zu können.