Die Politik nutzt die Schülerstatistik im Land, um ihre Forderungen zu untermauern. Weil sich nach den neuesten Prognosen der Rückgang der Schülerzahlen verlangsamt, will niemand mehr über das Streichen von Lehrerstellen sprechen.

Stuttgart - Eines will Carmina Brenner, die Präsidentin des Statistischen Landesamts, nicht auf ihren Mitarbeitern sitzen lassen: „Wir haben uns nicht verrechnet, wir haben aktualisiert.“ Was im Jahr 2010 galt, als die bisherige Schülerzahlenprognose veröffentlicht wurde, gilt heute nicht mehr. Daher sagen die Statistiker nun für das Jahr 2020 einen geringeren Schülerschwund für Baden-Württemberg voraus als sie es 2010 getan haben. Und weil sich die Rahmenbedingungen in der Bildung inzwischen so schnell ändern, werde das Statistische Landesamt in Zukunft seine Modellrechnung jährlich aktualisieren, kündigte Brenner an.

 

Die neuesten Zahlen besagen, dass im Schuljahr 2020/21 rund 84 000 Schüler mehr in baden-württembergischen Klassenzimmern sitzen werden als bisher vorhergesagt. An den öffentlichen allgemeinbildenden Schulen zählt man im aktuellen Schuljahr 1,038 Millionen Schüler. In sechs Jahren könnten die Zahl um sechs Prozent oder 62 000 Schüler zurückgehen. An den beruflichen Schulen wird die Schülerzahl der Modellrechnung zufolge um 13 Prozent von 359 000 auf 310 800 sinken.

Auch die Gemeinschaftsschule erhöht die Verweildauer

Damit würde sich der Rückgang der Schülerzahlen verlangsamen. Von 2005 bis heute verloren die öffentlichen Schulen im Land 175 000 Schüler. Das ist ein Minus von elf Prozent. In den kommenden sechs Jahren rechnen die Statistiker mit einem erneuten Rückgang um 110 000 Schüler (minus acht Prozent). Heute gibt es an den öffentlichen Schulen (allgemeinbildend und beruflich) 1,4 Millionen Schüler, im Jahr 2020 dürften es laut Brenner noch 1,287 Millionen sein. Neben dem verstärkten Zuzug macht Brenner die Lockerung der Grundschulempfehlung als eine Ursache für den geringeren Schülerrückgang aus. Wenn Schüler verstärkt auf ein Gymnasium wechselten, blieben sie länger im System. Auch die Gemeinschaftsschule erhöhe die Verweildauer im Schulsystem. Sie dauert ein Jahr länger als die Hauptschule. In der neuen Prognose bis 2020 bleiben Unwägbarkeiten. Man habe mit 500 Gemeinschaftsschulen gerechnet, sagte Brenner. Das lasse sich nicht statistisch ermitteln. Bei der Einschätzung des Ausbaufortschritts der Gemeinschaftsschulen seien die Statistiker auf die Aussagen des Kultusministeriums angewiesen. Wie sich die Schulen dann tatsächlich entwickeln, ist offen. Fest steht, nach den Sommerferien wird es im Land 209 öffentliche Gemeinschaftsschulen geben.

Stoch will sich nicht auf eine Zahl festlegen

Der Kultusminister Andreas Stoch (SDP) nannte die Veränderungen erheblich. Er verwies darauf, dass es schon vom Jahr 2010 bis heute 31 000 Schüler mehr gebe als damals erwartet. Daher sei es schwierig gewesen, im vergangenen Jahr 1000 Lehrerstellen zu streichen. Für den Haushalt 2014/15 ist der Plan revidiert. Vorgesehen war, dass das Kultusministerium 1200 Lehrerstellen streicht. Jetzt werden aber 837 Stellen zusätzlich geschaffen, so dass netto nur 363 wegfallen. Überhaupt, so Stoch, sei die Umrechnung von sinkenden Schülerzahlen in zu streichende Lehrerstellen „hochkomplex“. Es komme darauf an, ob auch Klassen wegfallen, wenn die Schüler weniger werden. An welcher Schulart die Schülerzahlen sinken und und und. Dagegenzurechnen sei, dass Flüchtlinge ins Land kämen. Manche Schulen wurden für eine ganz neue Klientel geöffnet, führte Stoch an und nannte die Fachschulen für Erzieherinnen und die Altenpflegeschulen. Auf eine mittelfristig gültige Zahl zur Streichung von Lehrerstellen will sich Stoch nicht festlegen. Nur die Sache mit den 11 600 zu streichenden Stellen, die gehe nicht. „Wir müssen eine klare Ansage machen, dass so eine Streichung nicht möglich ist, ohne Einbußen in der Unterrichtsversorgung.“ Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) geht noch weiter. Nach den neuen Zahlen des Statistischen Landesamts gebe es keinen Spielraum für weitere Stellenstreichungen erklärt die Landesvorsitzende Doro Moritz. Sie begrüßt es, dass künftig jährlich aktuelle Zahlen vorgelegt werden. „Wir brauchen eine Bildungspolitik, die anhand realistischer Zahlen jeweils den nächsten Landeshaushalt plant“, erklärt Moritz.

Die Opposition kritisiert die Regierung

Die oppositionelle CDU vermutet dagegen, dass der Kultusminister die Situation nutzen wolle, „um vor der Landtagswahl die Vorgabe der Stelleneinsparung abzuschütteln“. Stoch hätte vorausberechnen können, wie viele Stellen für den Ausbau der Ganztagsschule, die Inklusion und die Ausstattung der Gemeinschaftsschule nötig würden, sagte Georg Wacker, der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion. Er mahnte erneut ein „sachlich fundiertes Bedarfsdeckungskonzept an“. Für die FDP zeigt die Differenz in den Schülerzahlen, dass sich die grün-rote Landesregierung über die Konsequenzen ihres Handelns nicht im Klaren sei.

Auch die Grünen wollen sich nicht mehr festlegen. Ihre bildungspolitische Sprecherin Sandra Boser betonte wie ihr SPD-Kollege Stefan Fulst-Blei, „die Unterrichtsversorgung hat oberste Priorität“. Es sei wichtig, von Jahr zu Jahr zu entscheiden.