Ein früherer Waldorflehrer hat mit dem Erbe seiner Tante den Kamera-Primus Leica gerettet. Als Aufsichtsratschef kehrt Andreas Kaufmann zur Galerie-Eröffnung nach Stuttgart zurück, in die Stadt, aus der vor 36 Jahren gezogen ist

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - So schöne Geschichten gibt es nicht nur in Filmen, sondern manchmal sogar im wahren Leben. Ein Liebhaber der Fotografie kommt an ein Millionenvermögen und schreibt Wirtschaftsgeschichte. Die Tante, die ihn adoptiert hatte – es war die Papierindustrielle Harriet Hartmann – , hatte ihn und seine beiden Brüder reichlich bedacht. Andreas Kaufmann, 66, so heißt der heutige Aufsichtsratsvorsitzende der Leica Camera AG mit Sitz im hessischen Wetzlar, oberster Chef des weltweit verehrten Premium-Herstellers von Kameras, zog sich mit dem vielen Geld keineswegs in ein Luxusleben zurück, wie es andere gemacht hätten.

 

2004 kaufte sich Kaufmann ein in die Top-Marke, die in finanzielle Schieflage geraten war, übernahm immer mehr Anteile. Heute ist der frühere Waldorflehrer (in Stuttgart hatte er Literatur und Politik studiert und in Göppingen unterrichtet) Mehrheitseigner bei Leica und gilt als ihr Retter. In die Gewinnzone hat er das Unternehmen geführt, bei dessen Firmennamen den Fans des Fotografierens Augenglanz sicher ist.

„Stuttgart versteckt sich hinter Bauzäunen“

Klar, dass der ehemalige Wahl-Stuttgarter (vor 36 Jahren ist er fortgezogen) und heutige Leica-Big-Boss mit seiner Frau Karin Rehn-Kaufmann (deren Bruder Götz Rehn ist der Alnatura-Chef) angereist ist zur Eröffnung des ersten Leica Store und der ersten Leica Galerie im Kessel an der Calwer Straße. „Man erkennt Stuttgart gar nicht mehr“, sagt Frau Rehn-Kaufmann, „die Stadt hat sich hinter Bauzäunen versteckt.“ Und dann stellt sie in ihrer Rede in dem proppenvollen Galeriekeller klangvolle Verbindungen her. Leica Stores würde es in Los Angeles, Boston, Melbourne, London, Istanbul und weiteren Weltstädten geben – und nun auch in Stuttgart.

Wo zuvor Dirndl verkauft wurden und Musikanlagen, wird nun der Stolz von Leica präsentiert. Die Kameras sind schwer, fühlen sich super an, hochwertiger geht’s nicht. „Sie haben gerade 16 600 Euro in der Hand“, sagt Holger Strehlow, der Leiter der neuen Galerie, der 22 Jahre lang bei Foto Kleiber und zwölf Jahre bei Photo Universal in Stuttgart gearbeitet hat.

Fast eine Vollversammlung der Stuttgarter Profifotografen

„Leica ist der Rolls-Royce der Kameras“, schwärmt Promifotograf Christof Sage. Die Eröffnungsfeier wird fast zur Vollversammlung der Stuttgarter Profifotografen. Von Claus Rudolph bis René Staudt, von Tina Trumpp bis Frank Eppler, von Horst Rudel bis Thomas Niedermüller – alle sind da, dazu Stadtpromis wie Fanta-Manager Andreas „Bär“ Läsker und Clublegende Laura Halding-Hoppenheit. Eine Ikone der deutschen Fotografie wird an diesem Abend gefeiert: Herlinde Koelbl ist die erste, die im Leica-Keller ausstellt und mit erkennbar guter Laune angereist ist. Die Schau „Mein Blick“ zeigt noch bis zum 31. Januar zu den normalen Ladenöffnungszeiten Fotografien aus ihrem umfassenden Werk (unsere Kulturredaktion hat berichtet). Dass sie am Donnerstag 80 Jahre alt geworden ist, glaubt man der quirligen und mit Feuer in den Augen sprechenden Frau nicht.

Nie zuvor ist so viel fotografiert worden wie heute. Im Zeitalter der Selfie-Fotografie verändert sich nicht nur das, was wir sehen, sondern auch das Erleben von Ereignissen. Wenn wir etwa ein Konzert direkt genießen könnten, schalten wir das Smartphone zwischen der dargebotenen Emotion und unserer Wahrnehmung. Weil wir meinen, alles visuell speichern zu müssen, bleiben wir im eigentlichen Moment auf Distanz.

Die Bilderflut überfordert uns. Allein beim Portal Instagram werden täglich 80 Millionen Fotos geteilt. Im Farbenrausch schießt Austauschbares an uns vorbei.

„Mit der Leica wird die Zeit rausgenommen“

„Instagram-Fotos sind Daten“, sagt Karin Rehn-Kaufmann, mit ausgedruckten Fotografien nicht vergleichbar. Sie plädiert für eine „Kultur des Bildes“, die neue Galerie sei der Gegentrend zum Zeitgeist: „Mit der Leica wird die Zeit rausgenommen.“

Ihr Mann Andreas Kaufmann ist froh, mal wieder in Stuttgart zu sein – Erinnerungen kommen hoch. „In Deutschland wurde Aldi erfunden“, sagt er, „und Schwaben fragen: Was koschd des?“

Dass viel Geld in Stuttgart vorhanden ist, weiß der Aufsichtsratschef natürlich. Heute schämen sich Schwaben nicht mehr, wenn sie sich was gönnen. Der Leica-Chef erzählt die schöne Geschichte benachbarter Eheleute. Die ließen sich einst mit dem Taxi nicht direkt vor die Haustür fahren, sondern bis zur Kreuzung davor, um nicht von den Nachbarn mit Taxi gesehen zu werden. Die letzten Meter liefen sie zu Fuß.

Wär’ das ein schönes Motiv für einen Leica-Fotografen gewesen!

Infos zu den Öffnungszeiten

Der Leica Store und die Leica Galerie, Calwerstraße 41, ist geöffnet: montags bis freitags von 10 bis 19 Uhr, samstags von 10 bis 18 Uhr. Nach Herlinde Koelbl stellen im neuen Jahr der Tier- und Naturfotograf Norbert Rosing und der Stuttgarter Fotokünstler Claus Rudolph aus.