Leichtathlet Janne Henschel Vom Mobbingopfer zum Medaillenläufer
Der Mittelstreckler der LG Filder steht vor dem schwierigen Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter, im Sport und im Beruf. Warum er sich von einer Idee verabschieden musste.
Der Mittelstreckler der LG Filder steht vor dem schwierigen Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter, im Sport und im Beruf. Warum er sich von einer Idee verabschieden musste.
Mit 18, 19 Jahren tut sich im Leben von jungen Menschen oft Entscheidendes. Der Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenleben, von der Schule zu Studium oder Beruf. Bei Sportlern kommt dazu, dass sie sich im neuen, älteren und größeren Umfeld beweisen müssen. Janne Henschel von der LG Filder macht genau das gerade durch. Er sieht es positiv, freut sich auf die Herausforderungen. Und sagt trotzdem diesen Satz: „Die fetten Jahre sind vorbei.“
Das muss der 19-Jährige erklären. Henschel ist Leichtathlet, ein Mittelstreckler. In den vergangenen Jahren hat er in seinen Jugendklassen viel gewonnen. Mehrere Landestitel hat er geholt, bundesweit lief er ebenfalls weit vorne mit. Jetzt aber geht es zu den Erwachsenen. Und er weiß: Es wird dauern, bis es wieder zu Platzierungen ganz vorne reichen wird. Aber Henschel ist ein reflektierter Mensch und stellt sich darauf ein. „Ich denke immer über zwei Saisons. Ich muss mich wieder ranpirschen“, sagt er.
Zudem, und das hat ihm auch sein Trainer Jörg Beinlich, ein Meister seines Fachs, beigebracht: „Bestzeit steht über dem Erfolg, auch wenn der Erfolg bekannter macht.“ Durch bessere Bestzeiten kommt man in bessere Läufe und wird noch besser. Der Idealfall natürlich: Bestzeit laufen und gewinnen.
Daher bezeichnet der Wolfschlugener mit Stammverein TSV Neuhausen die abgeschlossene Sommersaison 2025 als „sehr durchwachsen“. Denn: „Von den Erfolgen her war es mein bisher bestes Jahr, aber ohne dass ich mich von den Laufzeiten verbessert habe.“ Über 800 Meter liegt sein Hausrekord bei 1:52,61 Minuten, über 1500 Meter bei 3:55,52 Minuten – seine beiden Paradedisziplinen. Ein Problem war auch, dass ihn nach einer „vielversprechenden Hallensaison“ mit dem vierten Platz bei den deutschen U-20-Meisterschaften eine allergische Reaktion nach einer Zahn-Operation ausbremste. „Ich bin seither nicht wieder an meine Form herangekommen“, sagt Henschel.
Henschel konzentriert sich auf seinen Sport und er liebt ihn. Er investiert viel Zeit ins Training, ist aber froh, „dass ich nicht so viele Kilometer machen muss wie manche andere“. An die 50 Kilometer in der Woche sind es bei ihm. Neben der Leichtathletik hat er noch viele andere Interessen. Er malt und tanzt, er hört gerne Schallplatten, seit er von seinem Opa einen entsprechenden Spieler bekommen hat. Und dann sind da noch Freunde, die Freundin – und das Studium. Henschel ist mittlerweile im dritten Semester in den Fächern Elektrotechnik und Informationstechnik an der Universität in Stuttgart-Vaihingen. Es zieht ihn in die Automobilbranche. Und jeder, der sich damit auskennt, weiß, dass das Grundstudium für angehende Ingenieure eine anspruchsvolle und zeitintensive Sache ist.
Semesterferien? Da ist Prüfungszeit. „Es ist schon hart“, sagt Henschel. Von einer Idee musste er sich jedenfalls verabschieden: „Der Plan war, dass ich mal entspannt studiere.“ Entspannt studieren und gleichzeitig die Leichtathletik-Karriere vorantreiben. Aus zwei Gründen hat das nicht geklappt. Das Grundstudium schafft man nicht so nebenher. Und: „Das kommt vom Sport – der Leistungsgedanke ist bei mir sehr stark“, sagt Henschel. Es soll gut sein, was rauskommt. Das funktioniert bisher.
Viele in Henschels Alter können es nachempfinden, auch wenn es bei ihnen andere Bereiche sind, die man unter einen Hut bringen möchte oder muss: Die Balance zwischen in seinem Fall Sport, Studium und Privatleben hinzubekommen, ist gar nicht so einfach. Vor allem, wenn man weiß, dass man das Treppchen erst einmal nur von Weitem sehen wird. Dass Henschel seine Leichtathletik so wichtig ist, hat auch damit zu tun, wie er zu ihr gekommen ist. Zunächst hat er in Wolfschlugen gekickt. „Ich hatte nie eine gute Ballbehandlung, aber ich war schnell“, sagt er. Dann machte er als Zehnjähriger mal bei einem Leichtathletik-Wettkampf mit. Er sei gleich Zweiter geworden, „es war ein richtiges Erfolgserlebnis“. Und das tat gut.
Denn Henschel erzählt offen: „In der Grundschule war ich klein und nicht der beliebteste Junge. Ich wurde gemobbt, vor allem von einem.“ Nun aber hatte er einen Bereich, in dem er gut war. Besser als andere. Oder wie es Henschel ausdrückt: „Ich konnte zeigen: Ich kann etwas. Ich habe etwas erreicht, was andere nicht erreicht haben. Dadurch wird man stärker.“
Der Blick aber hat sich geändert. Henschel hat es längst allen bewiesen, hat viel erreicht, hat Trainer und ein Umfeld, die an ihn glauben und ihn fördern. „Heute will ich es für mich selbst erreichen. Ich will weiterkommen. Der Wille ist da“, sagt er. Was ihm zudem an der Leichtathletik gefällt: „Es ist nie eine negative Stimmung.“ Man rennt gegeneinander, aber man freut sich mit anderen über deren Erfolge.
Im Dezember beginnt die Hallensaison mit dem traditionellen Nikolaus-Sportfest im Sindelfinger Glaspalast. Henschels nächste Erfolge sollen, klar, neue Bestzeiten sein. Die 800 Meter will er unter 1:50 Minuten laufen, die 1500 Meter unter 3:48 Minuten. Und dann können irgendwann auch die fetten Jahre zurückkehren. „Das Leben geht los. Es wird sich viel verändern“, sagt Henschel. Wenn er seinen Weg weiter so zielstrebig und abgeklärt geht, wird man irgendwann sagen: Schau mal, Janne Henschel, der laufende Ingenieur!