Der 22-jährige Mittelstreckenläufer Timo Benitz (LG Nordschwarzwald) aus Volkertshausen am Bodensee rennt zurzeit allen davon. Dabei sind die Rahmenbedingungen für den Studenten der Luft- und Raumfahrttechnik nicht ideal.

Stuttgart - Als Leichtgewicht hat er für eine Revolution in der Laufszene gesorgt. Timo Benitz (LG Nordschwarzwald), der nur 59 Kilo schwere Lauffloh aus Volkertshausen am Bodensee, flog in den vergangenen Wochen wie ein Adler über die Kunststoffbahnen: mit weit ausgebreiteten Armen und die Zeigefinger zum Sieg ausgestreckt. Mit einem Sturmlauf bezwang er in Pliezhausen über 1000 Meter den WM-Fünften Homiyu Tesfaye in 2:16,90 Minuten und war damit schneller als Olympiasieger Nils Schumann 2000.

 

In Braunschweig flog der 22-Jährige über 800 Meter mit einem unnachahmlichen Spurt auf der Zielgeraden der europäischen Konkurrenz davon und wurde Teameuropameister. „Ich war auf den letzten 100 Metern in einem schwarzen Tunnel und weiß nichts mehr von meinem Sieg“, beschreibt Benitz den bisherigen Höhepunkt seiner jungen Karriere.

Zusammen mit Arne Gabius (LAV Tübingen, 5000 Meter) und Richard Ringer (VfB LC Friedrichshafen, 3000 Meter) war Timo Benitz Teil eines baden-württembergischen Laufwunders: drei Läufer, drei Teameuropameister! „Braunschweig war für den Laufbereich schon sensationell“, sagt der neue Mittelstrecken-Bundestrainer Jens Boyde (Obersulm bei Heilbronn), und Benitz war einer der Hauptakteure.

EM-Normen über 800 und 1500 Meter geknackt

In Dessau verbesserte sich der Student auf seiner Spezialstrecke um sechs Sekunden auf 3:34,94 Minuten und hat nun über 800 und 1500 Meter die Normen für die EM in Zürich (12. bis 17. August) in der Tasche. Dabei war Benitz vor der Saison nur den Insidern bekannt. „Mit seinem Kick auf den letzten 100 Metern kann Timo auch international Medaillen gewinnen“, sagt der Bundestrainer. Mit dem gleichen Kick sind einst Dieter Baumann (1992) und Nils Schumann (2000) zum Olympiasieg gerannt.

Timo Benitz hat frischen Wind in die deutsche Mittelstreckenszene gebracht. Er hat ihn vom Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Friedrichshafen mitgebracht. Kaum ideal für sportliche Höhenflüge auf Dauer sind seine Rahmenbedingungen. Wöchentlich 35 Stunden arbeitet Benitz beim Flugzeughersteller Airbus in Ottobrunn bei München. Simulationen am Computer, Konstruktion und Tests von Bauteilen im Labor und Auswertungen von Messreihen gehören dazu. Abends nach halb elf schreibt er noch an seiner Bachelorarbeit. Da bleiben gerade noch sieben bis acht Trainingseinheiten. Die vorgeschriebene Studienzeit von drei Jahren lässt keinen Spielraum. Hochleistungssport im dualen System in Deutschland.

Wechsel nach Stuttgart oder Berlin angedacht

Für seinen weiteren sportlichen Aufschwung denkt er über einen Wechsel zum Masterstudium in Stuttgart oder Berlin nach. Für Stuttgart spräche die Nähe zu seinem Verein LG Nordschwarzwald und seinem Heimtrainer Jörg Müller. In Berlin könnte er sich seinem Vorbild Carsten Schlangen, Ex-Vizeeuropameister, anschließen und diesen als Mentor gewinnen.

Für die deutschen Meisterschaften in Ulm (25. bis 27. Juli) muss sich Benitz noch zwischen einem 800- oder 1500-Meter-Start entscheiden. Tesfaye, Orth, Schlangen, Schembera – da wird noch viel gepokert über die Meisterschaftsstrecken. Hinsichtlich der EM in Zürich ist Routinier Schlangen noch die große Unbekannte. Während Benitz beide EM-Normen hat, fehlt dem Berliner dieser Leistungsnachweis.

„Es gibt nichts Schöneres als einen schmerzfreien Dauerlauf“, sagt der 22-Jährige Himmelsstürmer vom Bodensee. Seine Achillessehne hat nach Braunschweig „gezickt“. 80 bis 100 Kilometer wöchentlich und Tempoläufe auf harten Kunststoffbahnen gehen nicht spurlos am Körper vorbei. Sein großes Ziel: schnellster weißer Läufer bei Olympischen Spielen zu werden. Wie Baumann und Schumann. Die Europameisterschaft in Zürich ist fast ein Heimspiel, mehr als 50 Freunde aus seiner Heimat haben bereits Tickets geordert.

Beim Musikverein Volkertshausen spielt er Posaune

Timo Benitz ist verwurzelt am Bodensee. Im Musikverein Volkertshausen spielt er die Zugposaune: bei einem Frühschoppen oder einem Konzert – mit Uniform und Mütze ist er in Aktion. Direkt vor seinem EM-Auftritt geht er bei der Hochzeit eines Freundes nochmals an die Posaune. Im Letzigrund möchte er dann seinen Konkurrenten den Marsch blasen.

Der Bundestrainer Boyde hält viel von Benitz. „Für den Raumfahrtstudenten gibt es wie beim Weltall keine Grenzen“, sagt er. Timo Benitz will sportlich gesehen auf dem Boden bleiben. Vielleicht investiert er 2015 ein halbes Jahr für weitere Höhenflüge, um ein Quäntchen mehr aus seinem Körper herauszuholen.