Der Kirchheimer Sprinter Tobias Unger kommt aus München zurück nach Stuttgart – und hat in der Landeshauptstadt große Ziele.  

Stuttgart - Weihnachtszeit ist Wunschzeit. "Tobias Unger ist mein Wunschkandidat" - das sagte Dieter Göggel, der Leichtathletik-Abteilungsleiter beim VfB Stuttgart schon in der vergangenen Woche (die StZ berichtete). "Ich wünsche mir, dass meine beiden Topsprinter aus München wieder nach Württemberg zurückkehren" - das sagte der Sprinttrainer Micki Corucle ebenfalls schon in der Vorwoche. Diese Wünsche werden Wirklichkeit: Tobias Unger, Deutschlands bester Sprinter der vergangenen zehn Jahre, und sein Nationalmannschaftskollege Marius Broening sind wieder zurück. Unger trägt künftig das Trikot des VfB Stuttgart, Broening kehrt wie berichtet zu seinem Heimatverein LAV Tübingen zurück.

 

"Ich wollte schon dreimal zum VfB wechseln und bin froh, dass es jetzt endlich geklappt hat", sagte Unger schon vor der Vorstellung am Dienstag im VfB-Clubhaus. Dabei kündigte der 32-Jährige an, dass er in der nächsten Saison wieder auf seine Erfolgsstrecke, die 200 Meter, zurückkehren möchte, auf die er wegen Achillesessehnenproblemen vier Jahre lang verzichtet hatte. "Ich bin hochmotiviert, im Herbst meiner Karriere mit dem Wechsel einen Schub mitzunehmen und möchte meine letzten Titel für Stuttgart holen", sagte Unger, der geradezu vor Ehrgeiz sprüht.

"Der VfB rüstet auf in Richtung Olympia"

Eigentlich sollten Unger und Broening im Doppelpack nach Stuttgart wechseln und den VfB gemeinsam mit Alexander Schaf, dem schnellsten deutschen Sprinter des Jahres 2011, zu einer konkurrenzlosen Hochburg in Deutschland machen. Der Ausstieg des Sponsors Asics in Tübingen bescherte Broening jedoch ein noch attraktiveres Angebot, das den 28-jährigen Nike-Athleten nach Tübingen lockte.

"Der VfB rüstet auf in Richtung Olympia", verkünden die VfB-Leichtathleten dennoch voller Stolz. Mit der Verpflichtung Ungers ist den Stuttgartern ein Coup gelungen. Der 15-malige Deutsche Meister über 60, 100 und 200 Meter feierte 2004 als einziger weißer Sprinter im olympischen 200-Meter-Finale von Athen und ein Jahr später als Hallen-Europameister in Madrid seine größten Erfolge. "Das waren die bewegendsten Momente, die ich in meiner Karriere erlebt habe", sagt Unger.

Erst mit 31 Jahren lief der Kirchheimer im vergangenen Jahr seine Bestzeit von 10,14 Sekunden über 100 Meter. Herausragend auch sein Deutscher Rekord von 20,20 Sekunden über 200 Meter, mit denen Tobias Unger 2005 in Wattenscheid zum schnellsten deutschen Sprinter aller Zeiten avancierte. Zum 100-Meter-Rekord von Frank Emmelmann (ehemalige DDR, 10,06 Sekunden, 1985) fehlen Unger noch acht Hunderstelsekunden.

Der Schwabe Tobias Unger ist beim TSV Wendlingen und beim VfL Kirchheim als Sprinter groß geworden. Nach einem zweijährigen Gastspiel beim VfL Sindelfingen schlüpfte Unger ins Trikot von Salamander Kornwestheim/Ludwigsburg, wo er seine größten Erfolge feierte. Nach dem Ausstieg des Hauptsponsors Salamander lockte die LG Stadtwerke München den 1,79 Meter großen Sprinter mit einem entsprechenden Angebot erstmals aus dem Ländle weg.

Unger hat noch große Ziele

In einem gemeinsamen Paket holten der VfB Stuttgart und eine Bank im Kreis Esslingen-Nürtingen Unger jetzt von der Isar an den Neckar. Mit seiner beruflichen Anstellung erhält der gelernte Bankkaufmann eine Freistellung zur Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2012 in London und hat damit beste Voraussetzungen.

Auch mit 32 Jahren verfolgt Unger, der sich selber als "konsequent und ehrgeizig" charakterisiert, noch große Ziele: Olympia (die geforderte 100-Meter-Einzelnorm liegt bei 10,16 Sekunden) und den lang ersehnten Deutsche Rekord in der 4x100 Meter-Staffel, den die ehemalige DDR-Staffel seit 19 Jahren hält. "Neben der Olympiateilnahme möchte ich bei der EM in Helsinki mit der Staffel eine Medaille holen und über 200 Meter ins Finale vordringen", benennt er seine hochgesteckten Ambitionen. Die Rückkehr auf seine Hausstrecke, den 200 Metern (Olympianorm 20,45 Sekunden), soll das Erreichen der Ziele erleichtern.

Dass ihn eine Münchner Zeitung schon als "den alten Mann des Sprints" bezeichnet hat, motiviert Unger zusätzlich. Genauso wie die Rivalität im eigenen Stall mit Alexander Schaf. Der gebürtige Ukrainer, der vor einem Jahr von Sigmaringen zum VfB gewechselt ist, katapultierte sich an allen Etablierten vorbei in dieser Saison mit 10,20 Sekunden auf Anhieb zum schnellsten deutschen Sprinter. Dem "neuen Unger", als der Schaf (24) bereits bezeichnet wurde, haftet nur ein Makel an: bei der WM in Deagu war er als Schlussläufer der 4x100 Meter-Staffel maßgeblich an einem verpatzten Wechsel beteiligt und provozierte damit die Kritik seiner Teamkollegen - vor allem von Tobias Unger.

Turbo auf der Zielgeraden

"Da sind Leute zum ersten Mal in ihrem Leben im Aufgebot und halten sich schon jetzt für die kommenden Weltmeister", ließ (und lässt) der Kirchheimer auf seiner Homepage verlauten, "es kann nicht angehen, dass man mit diesen Einzelleistungen in der Saison nicht mindestens den Deutschen Rekord knackt", wetterte er weiter.

Im VfB-Trikot sollen nun beim Kampf um Hundertstel aus den Rivalen der Rennbahn Freunde werden. "Wir verstehen uns im Training gut, keiner will natürlich bei Tempoläufen hinter dem anderen sein", bestätigt Unger die enorme sportliche Rivalität. "Finanziell hat Schaf zu Unger aufgeschlossen", beschreibt Dieter Göggel die Situation. Auf der Zielgeraden seiner Karriere wird der Routinier mit den kurzgeschorenen Haaren jedoch noch einmal den Turbo einschalten. Dass die Konkurrenz im eigenen Stall die Leistungen befördert - das ist übrigens auch so ein Weihnachtswunsch des VfB-Leichtathletikchefs.