Die Rutesheimerin Gail McCutcheon-Seibold und ihre Freundin Ulrike Frohnmaier absolvieren in New York im Feld von über 50 000 Teilnehmern ihren ersten Marathonlauf. Beide bleiben knapp unter vier Stunden.

Rutesheim/New York - Sie ist angekommen auf der Spitze des Berges. Lange genug hat es gedauert. Zwei Jahre intensive Vorbereitung liegen hinter ihr. Und noch mehr, um den Schicksalsschlag zu verarbeiten. Diesen Gipfel hat Gail McCutcheon-Seibold bildlich gesprochen erklommen. Lächelnd und zugleich weinend kam die Rutesheimerin Hand in Hand mit ihrer Freundin Ulrike Frohmaier ins Ziel beim New York Marathon. Für beide war es die Premiere über diese Distanz. Beide blieben knapp unter vier Stunden. Für Gail McCutcheon-Seibold stehen 3:58,39 Stunden und Platz 15 076 in der Ergebnisliste. Ihre Mitläuferin wurde eine Sekunde später gestoppt. Bei 50 740 Teilnehmern – das ist Rekordbeteiligung in der 43-jährigen Geschichte des mittlerweile teilnehmerreichsten Marathon-Spektakels der Welt – macht das gleich sechs Plätze und damit Rang 15 082 aus.

 

Die gebürtige Engländerin Gail McCutcheon-Seibold, die im Jahr 2000 nach Deutschland übergesiedelt ist, zunächst sieben Jahre in Leonberg wohnte und dann nach Rutesheim umzog, läuft nicht nur um des sportlichen Selbstzweckes willen. „Ich kann meinen gesunden Körper einsetzen für diejenigen, die das nicht haben.“ Mit ihrer Aktion „Mein Herz lacht“ sammelt sie Spenden und unterstützt damit die Deutsche Kinderkrebsnachsorge, Stiftung für das chronisch kranke Kind und die Nachsorgeklinik Tannheim.

Als betroffene Mutter hat die 37-Jährige und ihre Familie vor allem in der Klinik Unterstützung und Hilfe bekommen, um die schwierige Situation verarbeiten zu können. „Die Aktion ist mein Dank und gleichzeitig meine Therapie“. Über 18 000 Euro durch die eigene Teilnahme an Läufen oder die Organisation der Schülerwettbewerbe beim Stadtlauf Rutesheim, bei denen in diesem Jahr rund 4000 Euro zusammenkamen, hat ihr Engagement während der vergangenen zwei Jahre gebracht. Der Erlös eines Standes mit Glühwein, Selbstgebasteltem und -gebackenem beim Adventsmarkt in Rutesheim am 30. November soll die Spendensumme weiter aufstocken.

Zwei Jahre Laufen für sich und den guten Zweck – aber erst einen Marathon absolviert? Daran trägt Sandy die Hauptschuld. Ende Oktober fegte der Hurrikan über die Ostküste des amerikanischen Festlandes hinweg. New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg sagte den New York City Marathon wenige Tage vor seiner Austragung ab. Rund 20 000 Teilnehmer aus aller Welt, so lauteten die Schätzungen, seien bereits in der Stadt gewesen. Unter ihnen auch Gail McCutcheon-Seibold mit ihrem Mann. Mit einem auf 24 Wochen angelegten Trainingsplan, der ihr zu einer Zeit unter vier Stunden verhelfen sollte, hatte sie sich vorbereitet. Und dann platzte der Traum, kurz bevor es los gehen sollte.

Das konnte es doch nicht gewesen sein. Die Hobbysportlerin trainierte weiter und absolvierte in diesem Jahr das gleiche 24-Wochen-Pensum noch einmal. Wenn schon ein Marathon, dann sollte es New York sein. „Ich musste das noch einmal machen. Ich habe mir so lange vorgestellt, im Ziel zu stehen und die Medaille in der Hand zu halten“, sagt Gail McCutcheon-Seibold. Das tat sie dann – mit Tränen in den Augen. Ihre Erwartungen wurden noch übertroffen. Angefangen vom pathetischen Start vor der Verrazano Narrows Brücke mit Nationalhymne und dem Frank-Sinatra-Song „New York, New York“ aus den Lautsprechern bis zum Zieleinlauf im Central Park. Ihre Eindrücke beschreibt sie so: „Die Stimmung war bombastisch. Die Straßen waren unglaublich voll, man hört seinen Namen, man klatscht die Kinder ab. Auf der ganzen Strecke gab es Musik von der ganzen Welt. Man tanzt vorbei, läuft im Takt zu den Rhythmen, lässt sich mitziehen, singt mit. Wir lächelten die ganze Zeit.“

Die Zitterpartie zu Beginn war schnell vergessen. Bei klarer Luft und circa fünf Grad („Ich bin keiner, der so schnell friert. Aber es war wirklich bitterkalt beim Start auf der Brücke“) schienen ein kurzes T-Short und eine dreiviertel lange dünne Laufhose nicht die geeignetste Ausrüstung zu sein. Die Wollmütze blieb auf den ersten Kilometer auf dem Kopf, bevor sie ins Publikum geschleudert wurde. Und auch im Ziel kühlten die Teilnehmer trotz der vom Veranstalter gestellten Foliendecke schnell aus. Die Beine waren schwer („Alle sind krumm gelaufen. In den Tagen danach war eindeutig zu sehen, wer dabei war und wer nicht“), erst ein Entspannungsbad nach der Rückkehr nach Deutschland brachte entscheidende Besserung.

Nach dem Terroranschlag auf den Boston Marathon am 15. April, bei dem drei Menschen starben und über 260 teilweise schwer verletzt wurden, fand der Lauf in New York unter strengen Sicherheitsmaßnahmen statt. Der Einsatz von mehreren tausend Polizisten, Hubschraubern, Tauchern, Booten, Suchhunden und hunderten von Kameras kostete über eine Million Dollar. „Ich hatte keine Sekunde Angst“, sagt Gail McCutcheon-Seibold. Das allerdings nicht wegen der umfassenden Vorkehrungen. „Es waren viele mit Boston-T-Shirts unterwegs. Und es war auch wirklich schlimm, was da passiert ist. Aber mir ist es gar nicht in den Sinn gekommen, dass sich das in New York wiederholen könnte.“

An eine Wiederholung eines Starts beim Lauf durch die Häuserschluchten New Yorks ist zunächst nicht gedacht. Dafür stehen im kommenden Jahr schon die Halbmarathons in Berlin und Karlsruhe auf dem Programm. Schließlich soll das Spendenkonto weiter aufgefüllt werden. Das Laufen und das Erlebnis New York Marathon bestärken Gail McCutcheon Seibold: „Es tut mir gut. Mir geht es heute gut und ich habe die Kraft dazu, etwas zu tun.“