Der Leichtathletik-Weltverband steht vor einem Scherbenhaufen. Die WADA attestierte der IAAF in dem am Donnerstag vorgelegten Bericht im Doping- und Korruptionsskandal komplett versagt zu haben.

Unterschleißheim - An der Spitze des Leichtathletik- Weltverbandes IAAF hat es über viele Jahre ein System krimineller Machenschaften gegeben. Im Fokus des zweiten Berichts der WADA-Untersuchungskommission steht der frühere IAAF-Präsident Lamine Diack, der über Jahre Korruption und Vetternwirtschaft betrieben haben soll. So habe der Senegalese zusammen mit seinen eigenen Söhnen und engen persönlichen Beratern eine Art Schattenregierung neben den offiziellen IAAF-Strukturen gebildet. Diesem kleinen Kreis war es laut WADA-Report möglich, wahlweise das große Doping-System in Russland zu vertuschen oder sogar einzelne Athleten zu erpressen.

 

In dem neuen, am Donnerstag von der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA in Unterschleißheim präsentierten Report wird angeprangert, dass die IAAF im Kampf gegen Doping und Korruption total versagt hat. Den Spitzenfunktionären im IAAF-Council wird vorgeworfen, die Missstände innerhalb des Verbandes geduldet zu haben. „Dem IAAF-Council konnte das Niveau der Vetternwirtschaft nicht verborgen geblieben sein“, heißt es in dem WADA-Report. Damit steht auch Diack-Nachfolger Sebastian Coe, der bei der WADA-Pressekonferenz unter den rund 100 Journalisten saß, weiter unter Druck.

Der Brite war von 2007 bis 2015 Vizepräsident der IAAF. Trotzdem erhielt er vom Vorsitzenden der WADA-Kommission Rückendeckung. „Meine Auffassung ist die: Wenn er von der Korruption gewusst hätte, hätte er etwas dagegen getan“, sagte Chefermittler Richard Pound. Er traut Coe zu, die IAAF aus der Krise zu führen: „Ich kann mir keinen Besseren vorstellen als Lord Coe.“ Der Skandal biete die „fantastische Chance“ den Sport nun zu säubern.

Vorwurf, unzulänglich reagiert zu haben

Ungeachtet dessen übten die WADA-Ermittler scharfe Kritik an der IAAF und prangerten an, dass es einen „kompletten Zusammenbruch der Führungsstrukturen und das Fehlen von Verantwortlichkeit innerhalb der IAAF“ gab. Es habe einen „gravierenden Mangel an politischem Appetit“ gegeben, Russland mit „dem vollen Ausmaß seiner bekannten und befürchteten Dopingaktivitäten zu konfrontieren“.

Auch auf Korruption habe die Führung des Weltverbandes „unzulänglich“ reagiert. Das Fehlen „jedweder Kontrolle und Gewaltenteilung innerhalb der IAAF“ habe Diack eine Alleinherrschaft ermöglicht. Er habe unbehelligt „direkt in die Arbeit und in die Besetzung der Anti-Doping-Abteilung einzugreifen“ können sowie Verträge mit Beratern abzuschließen, „deren persönliches Interesse ein anderes war als das der IAAF“.

Vorwurf der Vetternwirtschaft

Der Einfluss von Diack sei so groß gewesen, dass er in der Lage war, ohne Gegenwind zwei Mitglieder seiner Familie und seinen persönlichen Anwalt auf wichtigen Positionen zu platzieren. „Mit Hilfe dieser engen Berater und Anwälte hat Präsident Diack einen geschlossenen, inneren Kreis aufbauen können, der wie eine informelle und illegitime Regierung außerhalb der IAAF-Strukturen funktionierte“, hieß es in dem 89 Seiten langen Bericht.

Außerdem gebe es Gründe zu der Annahme, dass hochrangige IAAF-Offizielle von Entscheidungen profitiert haben, Weltmeisterschaften an bestimmte Städte oder Länder zu vergeben. Die Korruption habe auch Olympische Spiele betroffen: Aus Mitschriften gehe hervor, dass die Türkei die Unterstützung von Diack im Bewerbungsprozess um die Olympischen Spiele 2020 verloren habe. Das land sei nicht bereit gewesen, einen entsprechenden Sponsorenbetrag „von 4 bis 5 Millionen Dollar“ für die Diamond League oder die IAAF zu überweisen. Japan habe diese Summe laut Gesprächsprotokoll dann gezahlt - Tokio erhielt den Zuschlag für die Sommerspiele 2020.

Unabhängige Kontrollgremien gefordert

Der Weltverband IAAF war in Misskredit geraten, weil der frühere Präsident Diack von der französischen Justiz wegen der Vertuschung von Doping-Fällen gegen Bezahlung angeklagt wurde. Damit soll ermöglicht worden sein, dass russische Athleten trotz positiver Doping-Tests bei den Olympischen Spielen 2012 in London und bei den Weltmeisterschaften 2013 in Moskau an den Start gehen konnten.

Das Pound-Dreiergremium, dem noch Richard McLaren und der deutsche Kriminalbeamte Günter Younger angehört, hatte bereits am 9. November 2015 einen Bericht zum systematisches Doping in Russlands Leichtathletik vorgelegt. Die IAAF suspendierte daraufhin Russlands Verband.

„Auch wenn im IAAF-Council von einzelnen Vorgängen nichts gewusst wurde, sehe ich doch eine politische Verantwortung der Mitglieder: Warum hat man zugelassen, dass Diack schalten und walten konnte, wie er wollte?“, sagte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), zu den WADA-Ermittlungen.

Angesichts der vielen Anschuldigungen gegen die IAAF, wird der DLV einen außerordentlichen Kongress des Weltverbandes IAAF beantragen. „Die Vorwürfe gegen die IAAF sind so schwerwiegend, dass sie auf einer Versammlung aller Mitglieder beraten werden muss.“ Schließlich sei das „neue Council ja weitgehend das bisherige“. Der Antrag solle am Freitag auf den Weg gebracht werden. Auch der deutsche Sportfunktionär Helmut Digel gehörte dem IAAF-Council 20 Jahre lang - bis August 2015 - an.

Angesichts des Skandals hat sich die Nationale Anti-Doping-Agentur für völlig unabhängige Kontrollgremien ausgesprochen. „Wir können nicht genug betonen, wie wichtig Unabhängigkeit für die Arbeit der Anti-Doping-Organisationen ist“, betonte die NADA-Vorstandsvorsitzende Andrea Gotzmann. Der WADA-Bericht zeige erneut, „dass sämtliche verbandsinterne Kontrollfunktionen versagt haben. Wir fordern daher unabhängige Anti-Doping-Organisationen außerhalb der internationalen Verbände, um offensichtliche Interessenkonflikte zu vermeiden“, heißt es in einer Erklärung.