Leichtathletik-WM in Doha Konstanze Klosterhalfen und Alina Reh – USA oder Schwäbische Alb?

Konstanze Klosterhalfen hat in den vergangenen Monaten eine enorme Entwicklung durchgemacht. Foto: dpa/Jan Woitas

Der Weg von Konstanze Klosterhalfen und Alina Reh verlief lange Zeit parallel. Mittlerweile könnte er unterschiedlicher kaum sein. Was steckt dahinter? Wir haben die beiden Läuferinnen mit Blick auf die Leichtathletik-WM in Doha analysiert.

Doha - Ein paar Tage vor dem Flug in die Wüste sitzt Alina Reh im Wohnzimmer ihres Elternhauses in Laichingen auf der Schwäbischen Alb und hat Hunger. „Ich hol’ mir dann mal was zum Mittagessen“, sagt sie und schwingt sich aufs Fahrrad. 800 Meter sind es zum Supermarkt, den ihre Mutter betreibt und in dem sie folglich freie Auswahl hat. Und da sie schon mal da ist, setzt sie sich an die Kasse und zieht Buttermilch, Bananen und Erdnüsse der wartenden Kundschaft über den Scanner. „Macht 5,64 Euro.“

 

In St. Moritz arbeitet zur gleichen Zeit Konstanze Klosterhalfen den Plan ihres wochenlangen Höhentrainingslagers ab. Läufe um den See, Intervalle auf der Tartanbahn, Stabilitätsübungen, Physiotherapie, das ganze Programm. Sie hat nicht nur US-amerikanische Trainer und Masseure dabei, sondern auch einen deutschen Medienberater. Er achtet penibel darauf, dass Konstanze Klosterhalfen nicht zu sehr abgelenkt wird. Es ist schwierig, ein Interview mit ihr zu bekommen, erst recht jetzt, so kurz vor der Leichtathletik-WM in Doha – viel schwieriger jedenfalls als bei Alina Reh, die sich um die Presseanfragen selbst kümmert.

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Alina Reh und Konstanze Klosterhalfen, zwei ebenso intelligente wie talentierte junge Frauen, beide 22 Jahre alt, sind Deutschlands beste Mittel- und Langstreckenläuferinnen. Über 10 000 Meter geht an diesem Samstag (20.10 Uhr MESZ/ZDF) Reh an den Start, eine Woche später ist Klosterhalfen über 1500 oder 5000 Meter an der Reihe. Die WM ist für beide der nächste wichtige Schritt ihrer Karriere, in der sie im Kampf gegen die übermächtige Konkurrenz aus Ostafrika nach oben kommen wollen. Die Wege dorthin verliefen lange parallel – und könnten mittlerweile unterschiedlicher kaum sein.

Aus der Provinz in die große Welt des Sports

Beide Athletinnen kommen aus behütetem Elternhaus fernab der Großstadt, Alina Reh aus Laichingen, Konstanze Klosterhalfen aus Bockenroth am Fuße des Siebengebirges. Beide feierten früh Erfolge und bauten nebenher ihr Abitur. Klosterhalfen begann ein Sportstudium in Köln und modelte, einmal sogar auf der Fashion Week in Berlin. Reh machte eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau in dem Supermarkt, den ihr Großvater gegründet und ihre Mutter übernommen hat. Eines Tages wird womöglich sie die Chefin sein – ihren Traumberuf schrieb sie schon als Kind in die Poesiealben ihrer Freundinnen: Verkäuferin.

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Reh und Klosterhalfen kennen sich seit Jahren. 2014 sind sie sich bei einem Trainingslager an der Ostsee erstmals über den Weg gelaufen. Kurz darauf haben sie bei den Olympischen Jugendspielen in China drei lustige Wochen miteinander verbracht. Reh gewann Silber über 3000 Meter, Klosterhalfen wurde Vierte über 1500 Meter. Auch anschließend kreuzten sich ihre Wege weiterhin regelmäßig, bei Wettkämpfen, Meisterschaften und Lehrgängen des Nationalteams. Sie sammelten Medaillen bei Junioren-Welt- und -Europameisterschaften. „Wir sind befreundet“, sagt Alina Reh. Dabei sehen sie sich mittlerweile nur noch selten.

Klosterhalfen setzt auf ein US-Projekt

Im November 2018 zog Konstanze Klosterhalfen in die USA – und sorgte in der Heimat für die größtmögliche Aufregung. Als erste Deutsche schloss sie sich dem Oregon Project ihres Ausrüsters Nike an, einer Gruppe, in der die weltbesten Läufer unter den weltbesten Bedingungen noch schneller werden. Es gibt modernste Trainingsgeräte, Unterwasserlaufbänder, Höhenkammern, in denen der Sauerstoffanteil in der Atemluft reduziert wird, damit der Körper mehr rote Blutkörperchen bildet. Es fehlt an nichts, schon gar nicht am Geld. „Ein Traum“ sei es, dort trainieren zu dürfen, sagt Klosterhalfen. Allerdings sieht sie sich seither mit regelmäßigen Fragen zum Thema Doping konfrontiert, da der Chef des Projekts, Alberto Salazar, zu den umstrittensten Figuren der Leichtathletik zählt und ihre Leistungen explodiert sind.

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Bei den deutschen Meisterschaften in Berlin bekam Alina Reh Anfang August einen Eindruck davon, welche wundersame Wirkung das Training der spindeldürren Kollegin in den USA entfaltet hat. Als Zweite hatte Reh über 5000 Meter 53 Sekunden Rückstand auf Klosterhalfen, die den deutschen Rekord um 15 Sekunden und ihre bisherige Bestleistung um 25 Sekunden unterbot. Schon zuvor hatte Deutschlands neue Wunderläuferin den Uraltrekord über 3000 Meter pulverisiert. Bei der WM in Doha zählt Klosterhalfen zu den Medaillenkandidatinnen, Grenzen scheint es nicht mehr zu geben. „Ich hätte ehrlich gesagt auch noch schneller laufen können“, erklärte sie, nachdem sie Ende August in Zürich über 1500 Meter die äthiopische Weltrekordlerin Genzebe Dibaba locker abgehängt hatte.

Neid gibt es zwischen den beiden nicht

Reh freut sich über die Erfolge und die neue Popularität von Klosterhalfen, Neidgefühle sind ihr fremd. „Es ist ihr Weg, das ist toll“, sagt sie, „meiner jedoch ist ein anderer.“ Es ist nicht Bestreben der EM-Vierten, um jeden Preis möglichst schnell und berühmt zu werden. Die sozialen Medien, von den meisten anderen Sportlern zum Ausbau der Fangemeinde intensiv beackert, sind ihr eher lästig („Ich bin kein Freund der Selbstdarstellung“), neue Sponsoren sucht sie nicht. Sie hat fünf langjährige und meist lokale Förderer, das reicht ihr. „Mein Hauptaugenmerk liegt auf dem Sport“, sagt sie, „mehr Sponsoren bringen auch mehr Termine mit sich und würden mir die Zeit zum Training rauben.“

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Nie käme sie auf die Idee, ihren Wohnsitz in die USA zu verlagern, und seien die Bedingungen dort auch noch so paradiesisch. „Ich müsste zu viel aufgeben. Mir würde die Schwäbische Alb fehlen, meine Familie, die Arbeit im Supermarkt“, sagt sie und zweifelt daran, dass sie in Amerika wirklich schneller würde: „Damit ich mich verbessern könnte, müsste ich mich auch wohlfühlen. Ich glaube nicht, dass dies der Fall wäre. Ich hätte Respekt vor der Einsamkeit.“ Es mag in Oregon Höhenkammern und sonstigen Schnickschnack geben – in der Heimat aber kann sie vor der eigenen Haustür loslaufen. Und hin und wieder fährt sie zum Aquajogging.

Nicht einmal Rehs Trainer ist in Doha dabei

Bei der WM in Doha werden sich Alina Reh und Konstanze Klosterhalfen nicht über den Weg laufen. Klosterhalfen reist zusammen mit ihrem Tross erst kurz vor dem Rennen aus St. Moritz an, Reh wird dann schon wieder zuhause auf der Schwäbischen Alb sein und den Laden schmeißen, damit ihre Eltern endlich mal Urlaub machen können. Alleine begab sie sich am Donnerstag auf den Weg in die Wüste und war froh, auf der Passagierliste ihres Flugs wenigstens zwei weitere DLV-Vertreter zu finden. Nicht einmal ihr Trainer konnte sie begleiten. Er wird das Rennen seines Schützlings im Fernsehen verfolgen – in den Flitterwochen in der Toskana. „Ich wäre gern dabei gewesen, aber das geht vor“, sagt Jürgen Austin-Kerl.

Alina Reh hat vollstes Verständnis. Sie weiß: Es gibt noch Wichtigeres als den Hochleistungssport.

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