Die Querschnittslähmung der Österreicherin Kira Grünberg hat die Stabhochsprungszene geschockt. Bei der Leichtathleitk-WM in Peking hat jede Athletin ihr eigenes Rezept entwickelt, um mit der Tragödie umzugehen.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Peking - Martina Strutz ist eine der wenigen, die über den tragischen Unfall spricht. Nach ihrer erfolgreichen Qualifikation für das Stabhochsprungfinale an diesem Mittwoch in Peking macht die Deutsche nicht zu, als der Name Kira Grünberg fällt. Die österreichische Stabhochspringerin ist nach einem Trainingssturz querschnittsgelähmt, und diese Tragödie hat eine Debatte über die Gefahren dieser Disziplin losgetreten. Das ist natürlich ein heikles Thema, zumal zu diesem Zeitpunkt, wenn es bei der WM um alles geht.

 

Die, die hier sind, haben sich lange auf diesen Moment vorbereitet, es ist der Höhepunkt ihrer Saison, hier geht es um den Lohn für all die Schinderei in den Monaten zuvor. Es ist von daher natürlich nur verständlich, dass es viele Athletinnen gibt, die den Fokus nicht verlieren wollen, im Tunnel bleiben und sich auf sich selbst konzentrieren wollen und nicht über ein solch belastendes Thema sprechen möchten. Die deutsche Finalteilnehmerin Lisa Ryzih sagt zum Beispiel: „Ich rede nicht darüber.“

Martina Strutz tut es und gibt einen Einblick in die Gefühlswelt dieser komplexen, anspruchsvollen und mitunter riskanten Sportart: „Wir haben unter den Kolleginnen nicht über Kira gesprochen. Es gibt einige, die wollen nicht drüber sprechen, andere sind aufgeschlossener. Mir ist das nicht durch den Kopf gegangen. Man muss Profi genug sein, um das wegzuschieben bei so einem Wettkampf. Es war ein tragischer Unfall, schlimm für unsere Sportart und unsere Disziplin. Aber wir müssen nach vorn schauen – und das hätte Kira auch gewollt“, sagt die Vizeweltmeisterin von 2011.

Grünberg landet nicht wie gewohnt auf der Matte

Kira Grünberg wollte auch in Peking sein. Die österreichische Rekordhalterin (4,45 Meter) war mitten in der Vorbereitung. Am 1. August in Linz wollte sie die WM-Norm von 4,50 Meter in Angriff nehmen. Am 30. Juli passierte der verhängnisvolle Sturz. Bei einem missglückten Trainingssprung landete Grünberg, so wird der Unfall geschildert, nicht auf der Matte, sondern etwa eineinhalb Meter davor und prallte gegen den Einstichkasten. Der Halswirbel brach. Die 21-Jährige wurde in der Universitätsklinik Innsbruck stundenlang operiert. Die Diagnose Querschnittslähmung stand schon vorher fest, es ging bei dem Eingriff, so das Krankenhaus, um die Stabilisierung der Halswirbelsäule und um die Vermeidung weiterer Schäden. Grünberg ist mittlerweile zur Rehabilitation in einer Klinik in Bad Häring. „Ich weiß, dass ich jetzt körperlich schwerbehindert bin, aber mein Geist ist wach, und ich gebe nicht auf. Ich werde daraus etwas machen“, sagte sie kürzlich.

Stabhochspringer Raphael Holzdeppe, der am Montag Silber gewonnen hat, sagt: „Natürlich zeigt der Fall, dass der Stabhochsprung seine Tücken hat. Aber ein solches Unglück passiert sehr selten. Und es gibt Tausende Stabhochspringer weltweit, denen passiert nie irgendetwas annähernd Schlimmes. Kiras Fall ist sehr tragisch, die Regel ist er aber nicht.“

Jeder Stabhochspringer weiß, dass es ein Risiko gibt. Ein missglückter Sprung, ein gebrochener Stab. Es geht auch darum, Respekt zu haben, aber keine Angst zuzulassen. Wer zu viel denkt oder gar Angst empfindet, der macht vielleicht Fehler, weil er unbewusst nicht hundertprozentig auf sein Sprungsystem fokussiert ist. 2002 gab es nach drei Todesfällen kurz Forderungen nach einer Helmpflicht, um schwere Kopfverletzungen zu verhindern. Der frühere Weltklassespringer Toby Stevenson etwa sprang deshalb auf Wunsch seiner Mutter mit einem Kopfschutz. 2008 und 2009 starben in den USA zwei junge Springer nach Stürzen.

Die Athletinnen besitzen ein besonderes Körpergefühl

Im Juli sind bei Martina Strutz in einem Wettkampf in Prag gleich zwei Stäbe gebrochen. Es gibt ein Video, in dem man sieht, wie einmal der Stab in der Aufschwungphase in drei Teile zerbricht. Strutz fängt sich akrobatisch ab und landet nach einem Salto rückwärts sicher mit dem Bauch voraus auf der Matte. Stabhochspringer haben ein außergewöhnliches Körpergefühl, das in solchen Situation abrufbar ist. „Man weiß, wie man sich in solchen Fällen verhalten muss. Oder was man tun sollte“, sagt Strutz.

Am 4. September wird es im Rahmen der Charity-Aktion „#kirastaystrong“ in Salzburg ein Benefizspringen der Männer geben. Der Weltrekordler Renaud Lavillenie hat sein Kommen zugesagt. Martina Strutz sagt: „Ob die Athleten noch persönlich etwas machen, wird man sehen, vielleicht, wenn die WM vorbei ist. Vorher hat niemand den Kopf dafür“, sagt Strutz. „Ich wünsche der Kira nur das Beste. Dass sie Mut hat und kämpft.“