Hat die Stadt Leinfelden-Echterdingen in die Religionsfreiheit eingriffen? Diese Frage steht laut Michael Quaas, Rechtsanwalt und Spezialist für Verfassungsrecht, nicht erst seit der zweiten Verhandlung vor dem Stuttgarter Landgericht im Raum.

Leinfelden-Echterdingen - Die vergangenen zwei Jahre waren ein „extremer Kraftakt“, sagt Muhammet Güçlü. Handwerksfirmen, mit denen der muslimische Verein bereits Verträge geschlossen hatte, seien im Beobachtermodus, erklärt der Vorsitzende des Vereins für Kultur, Bildung und Integration (VKBI) wenige Tage nachdem sich Vertreter der Stadt Leinfelden-Echterdingen und des VKBI zum zweiten Mal wegen des Moschee-Streits vor dem Stuttgarter Landgericht getroffen hatten.

 

Seitdem die Stadt erklärt hat, den Baugrund der Moschee zurückholen zu wollen, und der Streit vor dem Gericht ausgetragen wird, „ist alles viel schwieriger geworden“, sagt Güçlü. Finanzielle Unterstützer des Bauprojektes übten sich in Zurückhaltung. „Wir sind ein Verein, wir leben von Spenden“, macht er deutlich.

Immer wieder werde dem VKBI vorgeworfen, Zeit schinden zu wollen. Dass Rechtsanwalt Michael Quaas in der jüngsten Verhandlung am Landgericht auf die Grundrechte pochte, sei auch für ihn „eine neue Perspektive gewesen“, sagt Güçlü. Dieses Vorgehen sei aber sicher nicht dazu gedacht, die Sache weiter hinauszuzögern.

Grundrechtsthema lag von Anfang an auf der Hand

Für Michael Quaas, ein Spezialist für Verfassungsrecht, lag derweil das Grundrechtsthema von Anfang an klar auf der Hand. Er führt gemeinsam mit seinem Sohn Moritz Quaas sowie weiteren Anwälten das Stuttgarter Büro Quaas und Partner. Dieses Büro vertrete den VKBI gemeinschaftlich, erklärt er. Weil er sich aber mit den Grundrechten am besten auskenne, habe er und nicht mehr sein Sohn in der zweiten Verhandlung für die Muslime vor Gericht gesprochen.

Wer die Auseinandersetzung um den Moscheebau in Oberaichen schon länger verfolgt, weiß, dass es der Kommune darum geht, den zweiten Bauabschnitt – also das umstrittene Schülerwohnheim – zu verhindern. Die Politik sei das eine, sagt Anwalt Michael Quaas dazu, aus juristischer Sicht habe die Stadt bereits in die Religionsfreiheit eingegriffen, indem sie von ihrem Heimfallrecht Gebrauch gemacht hat. Obwohl diese Möglichkeit vor Jahren in einem Vertrag zwischen der Kommune und dem VKBI vereinbart wurde. Die 17. Zivilkammer des Stuttgarter Landgerichts müsse nun prüfen, ob dieser Eingriff auch gerechtfertigt ist.

In der Verhandlung hatte Quaas ausgeführt, dass keine Kommune in Deutschland eine Kirchengemeinde dazu verpflichten könne, ein Gotteshaus innerhalb von vier Jahren zu bauen und daran auch noch das Recht knüpfen, wenn der Bau nicht rechtzeitig fertig werde, dieses Gebäude kurz vor der Fertigstellung auf Kosten der Kirchengemeinde wieder abreißen zu lassen. Wäre der Streit vor dem Verwaltungsgericht ausgetragen worden, wie dies sein Sohn Moritz Quaas vor zehn Monaten beantragt hatte, hätte Michael Quaas dort die gleichen Argumente vorgebracht. Vor diesem Gericht hätte er diese Linie noch mehr entfalten können. Das Oberlandesgericht hatte aber entschieden, dass das Stuttgarter Landgericht zuständig bleibt. „Nun müssen wir eben vor der Zivilkammer die Grundrechte einklagen“, sagt der Anwalt.

Stadt soll Eingriff in die Religionsfreiheit begründen

Die Richter haben der Kommune bis zum 8. Dezember die Gelegenheit eingeräumt, „den Eingriff in die Religionsfreiheit zu begründen“, erklärt Michael Quaas unserer Zeitung. Und sagt: „Auf diese Gründe bin ich sehr gespannt.“ Er geht davon aus, dass die Kammer „den Grundrechtseingriff bejahen und die Rechtfertigung verneinen wird“. Der Vorsitzende Richter Bernd Rzymann hatte am Ende der zweiten Verhandlung gesagt, dass das Gericht noch nicht umfassend wisse, was tatsächlich maßgeblich für die Stadt war, das Grundstück von dem muslimischen Verein zurückzufordern.

Vielleicht, so Quaas, werde unabhängig aller Grundrechtsfragen auch ein zivilrechtliches Thema bei der Entscheidung des Gerichts die tragende Rolle spielen. Denn der Vertrag, den die Stadt und der VKBI einst geschlossen hatten, um das Moschee-Bauprojekt zu regeln, bestehe aus drei Teilen: dem Erbbaurecht, mit dem die Stadt das Heimfallrecht begründet, dem Ankaufsrecht sowie dem Wiederkaufsrecht. Wenn die Kommune, so Quaas, dem VKBI das Recht einräumt, den Moschee-Baugrund zu kaufen, und der Verein diese Option dann auch in Anspruch nimmt, könne er davon das Recht auf Löschung des Erbbaurechts und auch des Heimfallrechts ableiten.

Zur Erklärung: Der Verein wollte das Oberaichener Grundstück, das ihm zunächst von der Stadt in Erbpacht überlassen worden war, kaufen, kurz bevor die Kommune das Grundstück vom Verein zurückholen wollte. Die Muslime haben den Kaufpreis von 883 400 Euro gezahlt, die nicht kleine Summe ruht seitdem auf einem Sonderkonto der Stadt.

Die Muslime betrachten derweil den ersten und zweiten Bauabschnitt noch immer als ein Bauvorhaben, das sie weiterhin umsetzen wollen. Denn: „Wo sollte die Verwaltung untergebracht werden? Wo sollen Versammlungen stattfinden? Wo soll der Imam residieren?“, will Güçlü wissen. Genauso wie Oberbürgermeister Roland Klenk sieht sich auch der VKBI-Vorsitzende im Recht, auch er vertraut in die Justiz. „Ich bin guter Hoffnung“, sagt er.