In Leinfelden-Echterdingen hat sich die Zahl der Wohnsitzlosen in den vergangenen acht Jahren mehr als verdreifacht. Die Flüchtlingswelle spielt in den Anstieg mit hinein, aber längst nicht nur. Es gibt mehrere Gründe.

L.-E. - Um die 40 000 Menschen leben in Leinfelden-Echterdingen. 111 von ihnen in einer der Obdachlosenunterkünfte der Stadt. Damit hat sich die Zahl derer, die kein Dach mehr über dem Kopf haben, seit 2010/11 mehr als verdreifacht. Der Ordnungsamtsleiter Gerd Maier nennt eine Vielzahl von Gründen, „es gibt nicht den klassischen Obdachlosen“. Zum einen schlägt freilich die Flüchtlingswelle zu Buche. Sofern nach abgeschlossenem Asylverfahren keine eigene Wohnung gefunden werden könne, rutschten die Personen in die Obdachlosenstatistik.

 

Doch längst nicht nur Geflüchtete leben in den Häusern an der Harthäuser Straße in Stetten sowie in Echterdingen an der Haupt- und der Leinfelder Straße. Seit der Räumung des muslimischen Wohnheims an der Karlsruher Straße etwa haben 13 von knapp 40 Menschen bis heute nichts gefunden, erklärt Maier. Selten strandeten Menschen an Flughafen oder Busbahnhof und müssten beherbergt werden.

Den Löwenanteil machen indes jene aus, die durch Räumungsklagen ihre Bleibe verlieren. Maier weiß von einer achtköpfigen Familie, die wegen Eigenbedarfs rausmusste. Und er berichtet von einem Trend. „2011 waren von Räumungsklagen im Wesentlichen Einzelpersonen betroffen. Heute sind es zunehmend Familien oder auch alleinerziehende Frauen mit Kindern.“ Zumeist sind Finanznöte der Auslöser, und etwas Neues zu finden, ist für die Menschen umso schwerer. Die Konkurrenz ist riesig, der Wohnraum teuer. Die Stadträtin Claudia Moosmann (Freunde der Filderpiraten) etwa moniert: „Wir sind die teuerste Stadt im Landkreis Esslingen.“

Im Neubaugebiet sind 30 Prozent sozialer Wohnungsbau festgelegt

Auch Gerd Maier berichtet, dass in den Notunterkünften durchaus Leute leben, die einen Job haben, aber „wo es nicht reicht oder die nichts finden“. Unterstützung erhalten sie von Ehrenamtlichen, die sich in einem speziell geförderten Projekt als Ansprechpartner in den Unterkünften anbieten. Drei Hauptamtliche arbeiten zudem in der Sozialberatung und der Unterbringung. Linderung versucht die Stadt zudem, über den Bau und Akquise von Wohnraum zu schaffen. Im Neubaugebiet Schelmenäcker sind unter anderem 30 Prozent sozialer Wohnungsbau plus Preisdämpfungen festgelegt worden.

Über das Projekt „LE mietet“ wiederum tritt die Verwaltung zwei Jahre als Mieter auf, wenn ein Eigentümer an Flüchtlinge vermieten. Seit Juli 2016 hat die zuständige Mitarbeiterin 33 Wohnungen gefunden. Mit derartigen Problem ist Leinfelden-Echterdingen nicht allein. In Filderstadt etwa ist die Zahl der Obdachlosen seit 2008 zwar konstant bei rund 100 geblieben, dies aber nur, weil seit einigen Jahren Flüchtlinge gesondert erfasst werden. Sprich: 2008 war bei den 100 Obdachlosen noch eine „niedrige ein- bis zweistellige Zahl an Flüchtlingen“ dabei, erklärt der Ordnungsamtsleiter Jan-Stefan Blessing, heute leben weit über 300 in Filderstadt. Die 100 Personen in der Obdachlosenstatistik sind demnach zumeist Deutsche. Hauptgrund: Zwangsräumungen.

Viele Wohnungslose haben nicht nur ein Problem

Warum die Menschen ihre Miete nicht zahlen konnten, hat unterschiedliche Gründe: Suchterkrankungen oder Arbeitslosigkeit. „Die meisten haben oft nicht nur ein Problem“, sagt Blessing. Etwa 140 Not-Plätze stehen zur Verfügung. Ehrenamtliche und vier städtische Mitarbeiter sind mit diesem Thema befasst, ein wichtiger Baustein sei die Prävention über Sozialarbeiter. „Viele Kündigungen kann man heilen“, etwa, indem man die Menschen in einen Sozialleistungsbezug bringt. Blessing weiß aber auch: „Es ist extrem schwierig, in Sozialleistungsbezug eine Wohnung zu bekommen.“

Stuttgart spielt natürlich allein wegen der Größe in einer anderen Liga. In der Landeshauptstadt leben aktuell um die 80 Menschen auf der Straße und rund 4000 Menschen in Not- und Sozialunterkünften, mehr als die Hälfte sind Deutsche. „Der mit Abstand häufigste Grund für bedrohte Wohnverhältnisse sind Mietschulden“, erklärt Ann-Katrin Gehrung, eine Sprecherin der Stadt. In der städtischen Wohnungsnotfallhilfe sind 22 Mitarbeitende beschäftigt, der Großteil allerdings für die Wohnraumsicherung, also die Prävention. In der Zentralen Fachstelle der Wohnungsnotfallhilfe, die unter anderem Unterkünfte vermittelt, sind es nochmals sechs.

Auch die Beratungsstellen verzeichneten einen stetigen, wenn auch nicht besonders hohen Anstieg. Es sind etwa zehn Prozent mehr Beratungen in den vergangenen fünf Jahren. „Für nahezu alle qualifizierten betreuten Wohnangebote der Träger der Wohlfahrtspflege gibt es derzeit Wartelisten, da die Anschlussversorgung mit Wohnraum stagniert“, sagt sie. Die Leute finden auf dem angespannten Mietmarkt nichts eigenes – und bleiben buchstäblich hängen.