Der Einzelhandel in der Stadt ist im Wandel – nicht nur durchs Internet und die beiden Einkaufscenter. Stark betroffen davon ist die Königstraße – sie ist im Abwärtstrend. Doch viele Ursachen dieser schwindenden Attraktivität sind hausgemacht, meint Redakteur Martin Haar.

Stuttgart - Gefühle bewegen Menschen. Wer die Emotionen seiner Kundschaft steuern kann, steigert den Umsatz. Wie so etwas funktioniert, machen erfolgreiche Einzelhändler vor. Sie erzeugen ein Glücksgefühl. Primarkschafft das meisterhaft. Täglich zu sehen im Milaneo. Teenager pilgern ins Einkaufscenter, plündern den Laden und sind überglücklich. Ein Beispiel dazu aus Berlin mag einen entsetzen, aber es erklärt einiges: Als dort ein Mädchen erfahren hatte, dass in ihrem Kiez Primark eröffne, meinte sie: „Jetzt ist mein Leben perfekt.“ Wahrscheinlich wird sie dort bald Klamotten kaufen, die sie eigentlich gar nicht braucht. Aber kaufen macht glücklich. Immer öfter auch per Mausklick. Klick, klick, Glück. Amazon und Zalando freuen sich. Der stationäre Handel schaut in die Röhre.

 

Was das Ganze mit dem Stuttgarter Einzelhandel zu tun hat? Eine Menge. Die Folgen dieses kulturellen Wandels treten immer deutlicher hervor. Das Internet, die Billigketten und die Glücklichmacher setzen dem traditionellen Handel schon lange zu. Aber jetzt ist es zählbar: Die Königstraße, einst Nummer drei unter den deutschen Einkaufsmeilen, rutscht immer weiter ab. Nicht nur Ketzer sagen: Die Königstraße verramscht zusehends.

Die Königstraße verramscht

Dabei sind sich alle einig – vom Oberbürgermeister bis zur Citymanagerin: Wir brauchen eine bessere Aufenthaltsqualität. Mehr Sauberkeit, mehr Sicherheit. Aber das Einfachste ändert keiner: Wo kann man in der Stadt kostenlos Wasser lassen? Wo kann man sich zwanglos, ohne angebettelt zu werden, niederlassen? Wie kommt man eigentlich in die Stadt? Mit der unzuverlässigen S-Bahn oder der teuren Stadtbahn? Mit dem Auto? Erst im Stau, dann im kostspieligen Parkhaus. Das sind nur einige Zutaten, die eine Innenstadt unattraktiv machen. In der City selbst geht es weiter: Baustellen auf der Königstraße (für Primark), am Rathaus, auf der Kronprinzstraße, am Oppenheimer-Platz, am Bahnhof und am Dorotheen-Quartier schmälern die Aufenthaltsqualität. Das ist zu viel für eine Stadt, die ihren Handelsumsatz zu zwei Dritteln aus dem Umland generiert.

Aber auch das Angebot auf der Königstraße selbst ist im Laufe der Zeit austauschbarer, verzichtbarer geworden. Gefühlt findet man dort 48 Handyläden, 1000 Infostände, aber kaum Traditionsgeschäfte. Nur dort, wo die Investoren und Eigentümer nicht das Maximum an Miete anpeilen, ist die Stadt spannend. Im Fluxus in der Calwer Passage oder in Nebenlagen. Auch das Gerber hat nach einem Fehlstart die Zeichen erkannt. Dort will man kein schnödes Einkaufscenter mehr sein. Marketingexperten tauften das Gerber zum Stadtkaufhaus um. Wer attraktiv sein will, grenzt sich von der Masse ab. Er bietet eine Nische oder Klasse. Wie Breuninger im Stammhaus – und bald im Dorotheen-Quartier.

Spitzenmiete liegen bei 320 Euro pro Quadratmeter

Auf der Strecke – so belegen die neuen Frequenzzählungen – bleibt die Königstraße. Sie droht zur Durchgangsstraße in originellere Viertel der Stadt zu werden. Dieser Trend dürfte so lange anhalten, bis der Markt die Dinge neu ordnet. Dann wenn sich immer weniger finden, die Spitzenmieten von 320 Euro pro Quadratmeter bezahlen wollen. Dann hätten auch wieder Inhaber geführte Geschäfte eine Chance. Ob es je dazu kommen wird? Fraglich. Meistens lässt sich das Rad nicht mehr zurückdrehen. Das kann man bedauern, wie Stadtdekan Christian Hermes („Diese materialistische Sicht, dass man nur glücklich sei, wenn man konsumiert, ist tragisch.“) oder aber einfach hinnehmen. Am besten ist es wohl, sich bewusst zu machen, wie sehr man sich selbst dem Zalando-Gefühl hingibt.

martin.haar@stzn.de