Das Gebaren der Funktionäre von Sportverbänden ist unerträglich. Manche darf man ganz offiziell Verbrecher nennen. Und dennoch lohnt es sich für Stuttgart, Teil der EM 2024 zu sein, meint unser Redakteur Frank Rothfuß.

Stuttgart - Glück kann man nicht kaufen. Heißt es gemeinhin. Der amerikanische Ökonom Victor Matheson beschäftigt sich mit sportlichen Großereignissen. Er sagt dagegen: Die WM 2006 hat die Deutschen nicht reicher, aber glücklicher gemacht. Drei Milliarden Euro kostete die WM die öffentliche Hand. Ist das ein hoher Preis für ein bisschen Glück? Nein, findet der Deutsche Fußball-Bund (DFB). Desgleichen die Regierung, die die Bewerbung unterstützt. Ebenso der Stuttgarter Gemeinderat, der 2024 EM-Spiele in der Mercedes-Benz-Arena sehen möchte.

 

Ob es so weit kommt, wird man sehen. Auch die Türkei möchte ihr Stückchen Glück kaufen. Und spielt womöglich mit höherem Einsatz. Hat doch der DFB versichert, dieses Mal werde alles mit rechten Dingen ablaufen. Dieses Mal soll kein Geld auf den Konten von Stimmenkäufern landen wie noch vor der WM 2006. Als Zyniker könnte man sagen, sollte die deutsche Bewerbung tatsächlich sauber sein und den Wahlmännern nicht die Taschen vollstopfen, dann ist sie chancenlos. In der Vergangenheit war das so. Ohne Bakschisch keine Spiele. Dazu gibt es eine vielsagende Geschichte. 2012 fand die EM in Polen und der Ukraine statt. Favorit Italien ging leer aus. Warum? Der Zyprioter Spyros Marangos kannte die Antwort. Er sei dabei gewesen, als ein Vorstandsmitglied der Uefa elf Millionen Euro Schmiergelder an Kollegen verteilt habe. Er bot an, Zeugenberichte beizubringen. Was tat die Uefa? Sie verklagte ihn. Marangos schwieg fortan.

Schöne Erinnerungen an die WM 2006

Mit diesem Kaliber von Menschen wird man es zu tun bekommen. Ja, das kostet Geld. Ja, man schaufelt Steuergeld in die Taschen von Funktionären. Und ja, sie werden auftreten als gehöre ihnen die Stadt. Doch braucht man nicht blauäugig zu sein. Denn auch das gehört zur Wahrheit: Die WM 2006 war gekauft, und dass das Spiel um Platz drei nach Stuttgart kam, hatte wenig mit den Vorzügen der Stadt und viel mit den Beziehungen des damaligen DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder zu tun. Das war kein Geheimnis. Trotzdem feierte diese Stadt das größte Fest ihrer Geschichte. Die WM 2006 und die zeitgleiche Eröffnung des Mercedes-Museums haben Stuttgart aus dem touristischen Dornröschenschlaf geküsst. Und was noch viel wichtiger war: Sie hat den Menschen Selbstbewusstsein eingehaucht. Ja, hier ist es schön – jetzt reden wir mal darüber und zeigen es der Welt. Das war unbezahlbar. Und seien wir ehrlich: Spaß hat es auch gemacht.

Ob es in sieben Jahre wieder so sein könnte? Wer will das ernsthaft sagen? Gut möglich, dass das Publikum die Nase voll davon hat, mit seinen Eintrittsgeldern, Trikotkäufen und Sky-Abos die Gehälter von Kickern zu finanzieren. Gut möglich aber auch, dass nach einer zerrissenen EM 2020 mit Spielen in aller Herren Länder und einer Weihnachts-WM 2022 in Katar die Sehnsucht nach einem Turnier im Herzen Europas riesengroß ist. Ein Sommermärchen 2.0 sozusagen. Es wäre für Stuttgart eine neuerliche Chance, sich als herzlicher Gastgeber zu zeigen. Man kann durchaus mit den Besuchern feiern, sich am Fußball freuen – und Kritik am Gebaren der Funktionäre äußern. Das sollten die Amtsträger nicht den Fans überlassen, da wäre mehr Klartext wünschenswert. Eines ist aber letztlich klar. Es ist ein Geschäft. Tausche Geld gegen zumindest europaweite Aufmerksamkeit. Einen Handel, den sich Stuttgart anders als andere von der Pleite bedrohte Städte leisten kann. Man kann Schlechteres mit seinem Geld anfangen, als ein kleines Stück vom Glück zu kaufen.

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