Den Euroländern fehlt in der Krise die Balance zwischen Sparen und Wachstum, meint Christopher Ziedler, der Brüssel-Korrespondent der Stuttgarter Zeitung.

Brüssel - Mit der trügerischen, aber doch angenehmen Ruhe ist es erst einmal vorbei. Auch in Spanien erweisen sich selbst magere Wachstumsvorhersagen noch als zu optimistisch, weil zugleich der Haushalt gekürzt wird. Madrids Kreditwürdigkeit ist beschädigt – mit der Folge, dass sich das Land wohl nur zu höheren Kosten finanzieren kann. Und in den Niederlanden ist in der Nacht auf Freitag zwar doch noch ein Sparpaket vereinbart worden, mit dem die EU-Vorgaben erfüllt werden, aber die Debatte darüber, ob der harte Sparkurs wirklich das ist, was das Land und Europa brauchen, tobt längst auch dort. Bald werden die Nachbarn bei vorgezogenen Neuwahlen darüber abstimmen.

 

Das demokratische Restrisiko, mit dem der Kurs behaftet ist, den Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Kassenwart Wolfgang Schäuble in der Eurokrise vorgegeben haben, kann sich jedoch schon früher bemerkbar machen. Sollten am Sonntag in acht Tagen in Frankreich der Sozialist François Hollande und in Griechenland politische Kräfte das Rennen machen, die sich gegen das Spardiktat der Geldgeber aussprechen, sind die deutschen Planungen obsolet. Dann werden die Karten in der Eurokrise neu gemischt.

Läuft der Fiskalpakt am Ende doch ins Leere?

Tatsächlich stehen bei diesen europäischen Richtungswahlen Fragen zur Beantwortung an, die unseren Kontinent auf absehbare Zeit prägen werden: Wählt Athen doch noch den Austritt aus der Eurozone? Wird ein neuer starker Mann im Élysée-Palast auf schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen bestehen und damit Merkels politische Antwort auf die Krise, den Fiskalpakt, ins Leere laufen lassen? Und wird das die spanische Regierung dann ermutigen, vom strikten Konsolidierungskurs zu lassen? Hollande kann zwar nicht gegen den Marktdruck handeln, die politischen Gewichte verschieben kann er aber schon.

Es ist kein Wunder, dass die rigorose Etatdisziplin nun immer heftiger hinterfragt wird. Ihre Resultate lassen schlicht zu wünschen übrig. Die Eurozone insgesamt ist dadurch in eine milde, manch eines ihrer Mitglieder aber in eine tiefe Rezession gerutscht. Und in einem Punkt hat François Hollande durchaus recht: Europas amtierende Staatenlenker können noch so lange behaupten, sie kümmerten sich längst ums Wachstum – das Engagement dafür ist nicht halb so leidenschaftlich und konkret wie beim Sparen. Die richtige Mischung hat Europa noch nicht gefunden. Schäubles ewiger Vergleich, auch Deutschland sei trotz Sparmaßnahmen gewachsen, hinkt, da andere nicht über die industrielle Basis verfügen, die Grundlage des exportbasierten Aufschwungs hierzulande ist. Investitionen sind nötig – in Infrastrukturen und Ideen.

Wachstums-Abendessen in Brüssel

Stattdessen scheint die EU-Politik eine Art Schockstarre befallen zu haben. Oder ist es ob mehrerer umgesetzter Krisenmaßnahmen gar Selbstzufriedenheit? Vom Reformfeuerwerk, mit der die durch die Marktintervention der Europäischen Zentralbank gekaufte Zeit genutzt werden sollte, ist jedenfalls nichts zu spüren. Dass es Handlungsbedarf gibt, hat auch EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy erkannt. In einem am Freitag veröffentlichten Brief beklagt er die mangelnde Kompromissbereitschaft bei den vielen kleinen laufenden Reformprojekten und lädt zu einem Wachstums-Abendessen nach Brüssel.

Der vorübergehenden Ruhe muss jetzt nicht zwangsläufig ein Sturm folgen. Doch ist zumindest das Bewusstsein dafür wieder zurück, dass es mehr bedarf als eines Knopfdrucks in der Frankfurter EZB-Zentrale, um die Krise hinter sich zu lassen. Die Politik bleibt gefordert. Auch Angela Merkel sollte ihre viermonatige Auszeit von der Brüsseler Bühne bis zum nächsten Gipfel Ende Juni nicht voll ausschöpfen, denn die EU muss jetzt Resultate produzieren. Die Märkte warten darauf, vor allem aber die Menschen in Europa.