An diesem Freitag tagt der Lenkungskreis von Stuttgart 21 zum 20. Mal. Im Gremium aus Vertretern von Bahn, Land, Stadt und Region treffen unterschiedlichste Interessen aufeinander. Trotzdem hat man sich halbwegs zusammengerauft. Was ist da bloß passiert?

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Der Arbeitsauftrag ist eigentlich unmissverständlich formuliert: „Der Lenkungskreis soll das Projekt Stuttgart 21 und dessen zeit-, kosten- und qualitätsgerechte Inbetriebnahme (gemeinsam mit der Inbetriebnahme der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm) sicherstellen. Die Mitglieder des Lenkungskreises werden zur Erreichung dieses Ziels vertrauensvoll zusammenarbeiten.“ So lautet die Präambel der Geschäftsordnung des S-21-Spitzengremiums, das am Freitag zu seiner mittlerweile 20. Sitzung seit seiner Gründung im Jahr 2008 zusammenkommt. Bahninfrastrukturvorstand Ronald Pofalla, Landesverkehrsminister Winfried Hermann, Oberbürgermeister Fritz Kuhn sowie Regionaldirektorin Nicola Schelling tauschen sich über den neuesten Stand der Dinge bei dem Großprojekt aus.

 

Gemessen an den Zeilen des Vorworts müsste die Runde anlässlich des kleinen Jubiläums in eine Sinnkrise stürzen. Der milliardenschwere Umbau des Stuttgarter Bahnknotens ist weit davon entfernt, der in der Präambel festgeschriebenen zeit- und kostengerechten Inbetriebnahme entgegenzugehen. Immerhin: Mit dem Nachsatz des vertrauensvollen Zusammenarbeitens scheint es zu klappen.

Über den Lenkungskreis sprechen mag kaum einer

Das bestätigen die wenigen, die überhaupt über die Treffen reden wollen, zumindest hinter vorgehaltener Hand. So viel es hinter verschlossenen Türen zu besprechen gab und gibt, so verschwiegen zeigen sich die Teilnehmer vor der Jubiläumssitzung an diesem Freitag. Bei den Beteiligten winkt man ab. Nein, offiziell wolle man nichts zum Lenkungskreis, zur Atmosphäre und dem Mit- oder womöglich Gegeneinander bei den Treffen sagen. Manche reagieren auch gar nicht auf entsprechende Fragen. Aus dem Stuttgarter Rathaus immerhin gibt es eine formulierte Erwartungshaltung an die aktuelle Sitzung: Dort wolle man „die zuletzt im Aufsichtsrat bekannt gewordene Kostenprognose der Bahn“ diskutieren. Zudem setze die Stadt darauf, „dass die Bahn S 21 zügig baut, damit die Stadt die Gleisflächen für den Städtebau nutzen kann“.

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Damit ist eine Problemstellung der Lenkungskreistreffen umrissen. In dem Gremium sitzen Vertreter sehr unterschiedlicher Interessenlagen an einem Tisch. Die Stadt legt den Fokus auf die städtebaulichen Möglichkeiten, die sich auf dem Gleisareal ergeben könnten, und dringt zudem darauf, Lärm und Dreck der Baustellen für die Bewohner und Besucher der Stadt auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Das Land wiederum setzt auf ein Mehr an Regionalverkehr durch die neue Schieneninfrastruktur in der Stadt und auf den Fildern. Die Region hält die Fahne des S-Bahnverkehrs hoch – und die Bahn baut das alles.

Aus ehemaligen Kontrahenten werden Verhandlungspartner

So heterogen die Interessenlage ist, so vielfältig sind die Menschen, die bei den Sitzungen, vor allem aber in jener Runde aufeinandertreffen, die dem eigentlichen Lenkungskreis zuarbeiten muss. Dieser Arbeitskreis Baden-Württemberg tagt viermal im Jahr und soll die Beratungen der Spitzenkräfte vorbereiten. Dabei müssen Experten miteinander Lösungen finden, die sich in gleicher Rolle, aber auf verschiedenen Seiten bei der Schlichtung zu Stuttgart 21 im Jahr 2010 vor den Augen der interessierten Öffentlichkeit beharkten. Das ist zwar eine der vielen Skurrilitäten von Stuttgart 21, aber wohl keineswegs ein Erschwernis. Bei den von S-21-Risikomanager Peter Sturm und Gerd Hickmann, Leiter der Abteilung für öffentlichen Verkehr des Verkehrsministeriums, geleiteten Arbeitstreffen herrsche eine „fast schon herzliche Atmosphäre“, heißt es von einem Teilnehmer. Das liege auch an der „hohen Kongruenz im Hinblick auf den Projektnutzen“. Im Klartext: Das Ob steht schon lange nicht mehr zur Debatte.

Diese Harmonie scheint sich bis in die eigentlichen Lenkungskreissitzungen hinüberretten zu lassen. Von „einem großen Grad an Verlässlichkeit“ spricht ein Gremiumsmitglied. Man lasse sich nicht gegenseitig auflaufen, stattdessen seien die Treffen von „großem Wert für das Gesamtverständnis“ des Vorhabens. Dem konnte offensichtlich auch der Umstand nichts anhaben, dass sich im Lenkungskreis eben nicht nur die Projektpartner von Stuttgart 21 versammeln, sondern seit Ende 2016 auch juristische Streitparteien. Zu diesem Zeitpunkt reichte die Bahn Klage gegen die übrigen Projektbeteiligten ein mit dem Ziel, diese auf eine Beteiligung an den Mehrkosten zu verpflichten. Jüngsten Prognosen zufolge wird der neue Bahnknoten mit bis zu 8,2 Milliarden Euro zu Buche schlagen, im Finanzierungsvertrag von 2009 ist die Verteilung der Kosten von 4,5 Milliarden Euro geregelt. Doch auch das juristische Vorgehen der Bahn habe dem konstruktiven Miteinander im Lenkungskreis keinen Abbruch getan. Womöglich ist es aber auch ein Grund für noch mehr gegenseitiges Verständnis: Querschüsse könnten vor Gericht als Beleg dafür herangezogen werden, dass nicht alle Partner ihrer Projektförderpflicht nachgekommen sind. Und das könnte teuer werden.

Klare Worte von den S-21-Kritikern

Kein gutes Haar lassen dagegen die Kritiker von Stuttgart 21 an der Arbeit des Spitzengremiums. Das sei ein „Ab-Lenkungskreis“ hieß es in der Vergangenheit mit einem Sinn für Wortwitz. Eisenhart von Loeper, der Sprecher des Aktionsbündnisses gegen S 21, nimmt vor allem die Projektpartner in die Pflicht: „Der Lenkungskreis ist das Gremium, in dem sich Stadt und Land mit routinierter Regelmäßigkeit über den Tisch ziehen lassen.“ Sie würden „zu allem Ja und Amen sagen, zu Kostenexplosionen, Zeitverzögerungen, Anhydritrisiken oder fehlendem Brandschutz“, so von Loeper. Dessen vernichtendes Zeugnis: „Der Lenkungskreis ist weder genügend transparent noch effizient, er hat in seiner Lenkungsaufgabe versagt.“

Was die Transparenz angeht, kann jeder, der das möchte, im Nachgang zu den Sitzungen die dort gezeigten Präsentationen im Internet nachlesen. Dass es diese Möglichkeit just seit Herbst 2011 gibt, dürfte kein Zufall sein. Damals zogen die Grünen erstmals in die Landesregierung ein und nahmen infolgedessen auch am Lenkungskreistisch Platz. Nach dem Geschmack von Stuttgarts OB Fritz Kuhn wären durchaus auch noch weitere Stühle frei, auf denen nach Vorstellung des Rathauschefs alsbald Vertreter des Bundes sitzen sollten. Der mache sich bei Stuttgart 21 einen schlanken Fuß, klagte Kuhn wiederholt in der Vergangenheit und forderte, der Bundesverkehrsminister möge seine Emissäre nach Stuttgart schicken.

Damit ist aber nicht zu rechnen. So werden am Freitag nach absolvierter Sitzung Ronald Pofalla, Winfried Hermann, Fritz Kuhn und Nicola Schelling der Öffentlichkeit ihre Sicht der Dinge mitteilen. So will es das Lenkungskreisritual. „Und dass da Entscheider mit großer Verbindlichkeit berichten, das hat doch einen besonderen Wert“, findet ein Teilnehmer der Runden.