Der Abzweig von der Neubaustrecke Stuttgart-Ulm Richtung Tübingen bekommt ein zweites Gleis. Landesverkehrsminister Winfried Hermann und Bahnvorstand Pofalla haben den Finanzierungsvertrag unterzeichnet. Für das Land ist das nicht ohne Risiko.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Die Verbindung von der Neubaustrecke Stuttgart-Ulm zur Neckartalbahn Richtung Reutlingen und Tübingen bekommt ein zweites Gleis. Die Finanzierungsvereinbarung für den Bau dieser sogenannten Großen Wendlinger Kurve (GWK) haben Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) und Bahninfrastrukturvorstand Ronald Pofalla im Anschluss an die 22. Sitzung des Stuttgart-21-Lenkungskreises am Freitag im Rathaus unterzeichnet. „Eine der besten Unterschriften, die ich seit Langem geleistet habe“, sagte ein sichtlich zufriedener Winfried Hermann. Der Grüne hatte in der bislang geplanten Variante mit nur einem Gleis einen Engpass ausgemacht und schon seit Längerem auf den Bau der großen Variante gedrungen.

 

Kostensteigerungen könnten am Land hängen bleiben

Für die geht das Land nun ins Risiko. Das Vorhaben ist auf 100 Millionen Euro taxiert. 55 Millionen Euro kommen vom Bund, der wie bereits im Juli vergangenen Jahres zusagt, das Land über die Anpassung der Nahverkehrsanteile nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) bei Stuttgart 21 zu entlasten, mit der Maßgabe, diesen Spielraum für die Realisierung der GWK zu nutzen. Die verbleibenden 45 Millionen Euro bringen das Land sowie Regionalverbände von Stuttgart und Neckar-Alb auf, die zusammen 22,5 Millionen Euro beisteuern – sofern die zuständigen Gremien dies beschließen. Etwaige Kostensteigerungen blieben beim Land hängen. Dass das Land noch vor rund zwei Jahren Kosten von 75 Millionen Euro in den Umlauf brachte, nannte Hermann „den Fluch der ersten Zahl“. Nun lägen belastbare Planungen vor. Zudem hätten sich die Baupreise in der Zwischenzeit deutlich erhöht. Das Risiko fürs Land hält Hermann dennoch für überschaubar. „In dem Betrag ist noch ein Puffer drin. Wer etwas erreichen will, muss auch mal etwas riskieren.“

Regionaldirektorin Nicola Schelling verwies auf den großen Nutzen, den die nun beschlossene Lösung für den S-Bahnverkehr mit sich bringe. Sie erlaube einen perspektivischen Ausbau, um eine direkte Verbindung vom Flughafen nach Kirchheim/Teck einerseits und eine S-Bahnanbindung von Nürtingen andererseits zu schaffen.

Änderungen sollen sich nicht aufs Inbetriebnahmedatum auswirken

Die geänderten Pläne für den Anschlussbereich bei Wendlingen hatte das Eisenbahn-Bundesamt Ende vergangener Woche genehmigt (wir berichteten). Die Bahn hatte ihrerseits bereits damit begonnen, die Verträge mit den beauftragten Firmen den neuen Gegebenheiten anzupassen. S-21-Chef Manfred Leger zeigte sich beim Lenkungskreis zuversichtlich, dass mit den Arbeiten an der GWK im kommenden Jahr begonnen werden könne. Die für 2022 anvisierte Inbetriebnahme der neuen Strecke zwischen Wendlingen und Ulm würde sich dadurch nicht verschieben.

Pofalla zeigte sich mit dem im Neckartal Erreichten zufrieden. Seit er vor zweieinhalb Jahren bei der Bahn die Verantwortung für das Projekt übernommen habe, habe man sich „auf zwei substanzielle Verbesserungen einigen können“. Neben der GWK ist das für Pofalla auch die Entscheidung, den gesamten Stuttgarter Bahnknoten mit der digitalen Sicherungstechnik ETCS (European Train Control System) auszurüsten. Die in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes bis 2023 vorgesehenen 570 Millionen Euro kämen neben S 21 auch der Schnellfahrstrecke zwischen Köln und Frankfurt sowie den deutschen Abschnitten des europäischen Güterverkehrskorridors Skandinavien-Mittelmeer zugute. Trotz dieser breiten Streuung der Mittel zeigte sich Pofalla zuversichtlich, dass das Geld für die digitale Ausstattung von Stuttgart 21 reiche – und dass der Bund auch noch die Schatulle öffnet, um die Ausrüstung der Fahrzeuge zu bezuschussen.

Kuhn und Hermann sehen Bund in der Pflicht

Stuttgarts OB Fritz Kuhn und sein Parteifreund Hermann bekräftigten, der Bund müsse einsehen, dass mit ETCS ein Teil des Infrastrukturausbaus in die Fahrzeuge verlagert werde und damit von Berlin zu bezahlen sei. Pofalla verwies darauf, dass damit die Region zwar Testfeld sei aber eben auch einen Vorsprung vor anderen Ballungsräumen bekomme. „Das Glas ist jetzt zu 75 Prozent voll. Bitte sehen Sie nicht nur die noch fehlenden 25 Prozent“, lautete sein Appell.