Die Zahl der infizierten Bauarbeiter auf der Baustelle von Stuttgart 21 steigt. Die Arbeiten gehen aber weiter. Der Lenkungskreis der Projektpartner hat beschlossen, den Bahnknoten mit digitaler Sicherungstechnik auszustatten.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Die Corona-Pandemie ist auch an der jüngsten Sitzung des S-21-Lenkungskreises nicht spurlos vorübergegangen. Zum einen tagte das Spitzengremium wegen der Kontaktbeschränkungen zweieinhalb Stunden lang erstmals in Form einer Videokonferenz. Und zum anderen gab es im Nachgang der Zusammenkunft zahlreiche Fragen zum Gesundheitsschutz auf den Baustellen in Zeiten der um sich greifenden Pandemie. Noch während der Sitzung meldete die Stadt, 43 Männer, die auf S-21-Baustellen arbeiteten, seien in eine Schutzunterkunft gebracht worden. Sie waren unter Quarantäne gestanden, da sie Kontakt zu den sechs Erkrankten hatten, über die unsere Zeitung vor einer Woche erstmals berichtete.

 

Die 43 Männer waren zum Ende ihrer Quarantänezeit hin vom Gesundheitsamt der Stadt getestet worden, wiewohl sie symptomfrei waren. „Diese Testungen waren in 19 Fällen positiv“, erklärt Florian Hölzl, stellvertretender Leiter des Gesundheitsamts. OB Fritz Kuhn sagte im Nachgang zur Sitzung, dass 62 Personen, die Kontakt zu den 19 positiv Getesteten hatten, nun ihrerseits in Quarantäne geschickt worden sein.

Bahn verweist auf unterdurchschnittliche Krankenraten

Jens Bergmann, Vorstand Großprojekte und Netzplanung bei der DB Netz AG, sieht keine Auswirkungen der Erkrankungen auf den Zeitplan von S 21. Bergmann verwies darauf, dass auf den zahlreichen Baustellen der Bahn die Krankenrate unter dem Bundesdurchschnitt liege. In dem Stuttgarter Fall hätten die vorgesehenen Abläufe gegriffen. Projektkritiker fordern, die Baustelle müsse stillgelegt werden, bis die Pandemie abgeebbt sei.

Die Virus-Folgen haben bei der Sitzung nicht im Mittelpunkt gestanden. Dort ging es vielmehr um ein vom Lenkungskreis beschlossenes Zusatzprojekt. Statt herkömmlicher Signale soll digitale Sicherungstechnik bei Stuttgart 21 verbaut werden. Davon verspricht man sich mehr Kapazität und einen robusteren Bahnverkehr. Diese Entscheidung sei „von herausragender Bedeutung für Stuttgart 21, aber auch weit darüber hinaus“, sagte Ronald Pofalla. Das Vorhaben in Stuttgart leiste „einen wesentlichen Beitrag zur Digitalisierung des Schienenverkehrs in Deutschland“. Die Entscheidung für die European Train Control System (ETCS) genannte Technologie sei eine „sehr gute Nachricht für die Menschen in Stuttgart und in der Region“, befand OB Fritz Kuhn. Es sei richtig, die „intelligenteste und zukunftsweisendste Technologie“ zu verbauen. Regionalpräsident Thomas Bopp erkannte einen „Quantensprung für den Schienenverkehr in der Region“. Er erinnerte daran, dass der Regionalverband mit der Bestellung von weiteren S-Bahn-Zügen sowie dem jüngst beschlossenen weiteren Ausbau des S-Bahn-Netzes erheblich in Vorleistung gegangen sei.

Hermann will ausgiebige Testphase

Landesverkehrsminister Winfried Hermann bedankte sich zwar bei Ronald Pofalla für dessen Einsatz in Sachen ETCS, gab aber auch den Mahner. „So ein Pilotprojekt beinhaltet ja auch immer Risiken.“ Man benötige auf alle Fälle eine Testphase, sagte Hermann und erinnerte in diesem Zusammenhang an die alles andere als reibungslos verlaufene Inbetriebnahme der neuen Zugflotte des Landes für den Regionalverkehr. Dass sich der Bund finanziell an deren Umrüstung für ETCS beteiligt, hat die Zustimmung des Landes zu dem Vorhaben erleichtert.

In einem ersten Schritt sollen bis 2025 alle im Zuge von Stuttgart 21 entstehenden Strecken mit dem System ausgerüstet sein und zusätzlich die S-Bahn-Strecken zwischen Feuerbach, Bad Cannstatt, Sommerrain, Untertürkheim, Goldberg (Landkreis Böblingen) sowie Bernhausen (Landkreis Esslingen). Der Rest des S-Bahn-Netzes soll bis 2030 folgen.

Gänzlich in trockenen Tüchern ist der Wechsel zur neuen Technologie noch nicht. Zwar stehen die gut 160 Millionen Euro, die im Finanzierungsvertrag von Stuttgart 21 für die Signaltechnik vorgesehen waren, für das Pilotprojekt zur Verfügung. Für die darüber hinaus gehenden Kosten wollen die Deutsche Bahn und der Bund eine Finanzierungsvereinbarung schließen. Das Geld sei im Bundeshaushalt veranschlagt, so Pofalla. Der Infrastrukturvorstand will die Vereinbarung bis Herbst unter Dach und Fach haben. Wie hoch die Rechnung ausfällt, lasse sich heute allerdings noch nicht beziffern, hieß es am Freitag.