Die Verleihung des Stuttgarter Besens 2018 ist im Kasten: Sieger des Kabarettwettbewerbs ist der Berliner Musikkabarettist Lennart Schilgen, der mit seinen charmant-witzigen Liedern überzeugte. Herr Schröder gewinnt den silbernen, Tahnee den hölzernen Besen.

Stuttgart - Auf der Bühne des Renitenztheaters prangern Künstlerinnen und Künstler den Perfektionismus, die Gefallsucht großer Teile unserer Gesellschaft an. Neben der Bühne muss auf Anweisung der Regie die Krawatte von Florian Schröder zurechtgefriemelt und eine minimal verkicherte Anmoderation neu aufgenommen werden, damit später im SWR Fernsehen ja nicht der Verdacht entsteht, es handle sich beim Moderator um einen Menschen. Sei’s drum: Das Publikum ist’s gewöhnt, es hat vom wiederholten Showklatschen der letzten Jahre ausreichend Hornhaut an den Handinnenflächen. Die Verleihung des Stuttgarter Besens 2018 ist im Kasten! Die Vergabe des von der Stadt Stuttgart gestifteten Kehrutensils stellt in jedem Jahr den Höhepunkt des Stuttgarter Kabarettfestivals dar. Am Dienstag rangen acht Bühnenkünstler mit ihren Kurzauftritten um den mit 3000 Euro dotierten ersten Platz.

 

Über den dritten, also den hölzernen Besen im Wert von 1500 Euro, freute sich die lediglich unter ihrem Vornamen auftretende Tahnee Schaffarczyk. Überzeugt hatte sie die Jury um die Vorsitzende Sissi Perlinger mit diversen Anekdoten. Weil die 26-Jährige etwa mit einer Frau persischer Abstammung liiert ist beziehungsweise weil es Idioten gibt, höre sie mitunter Sprüche wie: „Typisch Flüchtlinge, jetzt nehmen die uns auch noch die Lesben weg!“

Herr Schröders „World of Lehrkraft“

Nach den Darbietungen richtete Moderator Florian Schröder wie auch in den vergangenen Jahren je drei, vier Fragen an die Kandidaten. Warum sie den Preis verdient hätte, weiß die rothaarige Tahnee schlagfertig zu beantworten: „Eine rote Hexe mit ’nem Besen – das hat schon was!“ Der silberne Feger (2000 Euro) ging indes an einen Mann, der auf der Bühne wiederum nur seinen Familiennamen angibt: Herr Schröder. „So sieht eine Verkettung von Fehlentscheidungen aus“, sagt der „Beamte mit Frustrationshintergrund“ über sich selbst. Zwölf Jahre war er als Lehrer in Offenburg tätig. Ein Dutzend Schulkalenderdurchgänge, die nicht nur ihn, sondern auch sein am kommenden Dienstag im Renitenztheater zu sehendes Programm „World of Lehrkraft“ prägten.

Zum Sieger des Abends avancierte der 1988 in Berlin geborene Lennart Schilgen. „Dann kann man’s auf die Gitarre schieben“, flachste der dreißigjährige Musikkabarettist, als Schröder ihn nach den Argumenten für eine Prämierung seines Schaffens fragte. Er habe schon Gitarre gespielt, bevor er sich für Mädchen interessierte. Tatsächlich hat Schilgen aber mehr als eine Gitarre: Eine äußerst kraftvolle Stimme zum Beispiel, mit der er charmant-witzige, wenngleich harmlose Verse singt. Sein erstes Soloprogramm „Engelszungenbrecher“ stellte er anno 2015 vor. Schilgen steht allerdings nicht nur allein auf der Bühne, sondern tourt bisweilen auch mit seiner Rock-’n’-Roll-Kabarettband Tonträger. Sein „Entschlossenheitslied“ ist ein Plädoyer für die Entscheidungsschwäche, welcher seiner Generation nachgesagt wird. „Erhebt die Faust gegen die Entschlossenheit, zögert mit Zuversicht!“ Denn: „Wahrer Mut ist Wankelmut!“

Tan Caglar gewinnt den Publikumspreis

Während die Juroren den Saal zwecks Beratung verlassen hatten, entschied sich das Publikum für keinen der von der Jury favorisierten Künstler. Den mittels Applauslautstärke ermittelten Gerhard-Woyda-Preis erhielt Tan Caglar. Der im Rollstuhl sitzende Türke bezeichnet sich selbst als „Schweizer Taschenmesser der Minderheiten“ und fragt nach der Existenz von Baumarktmitarbeitern – man solle ja nur an das glauben, was man schon mal mit eigenen Augen gesehen hat.

Aficionados des politischen Kabaretts dürften in diesem Jahr allerdings enttäuscht worden sein. Im Grunde beschäftigten sich alle Teilnehmer hauptsächlich mit sich selbst. Sissi Perlinger lobte dies am Ende als einzigen Weg, mit der kriselnden Weltlage umzugehen. Auf die Idee, dass ebendiese Egozentrik auch Ursache gegenwärtiger Missstände sein könnte, kam sie nicht. Freilich ist die Flucht ins Private aber per se nicht verwerflich. Zudem befand die in Leopardenmuster gehüllte Perlinger, Kabarettisten sollten nicht länger aussehen wie ihre „Fressfeinde“, also nicht länger Anzüge tragen wie Politiker und Banker. Denen hätte der launige Abend bestimmt gefallen.