Der große Dichter und Songwriter Leonard Cohen wird am Sonntag achtzig Jahre alt. Sich und die Welt beschenkt er aus diesem Anlass mit einem neuen Album, das seiner beeindruckenden Diskografie einen weiteren glänzenden Farbtupfer hinzufügt.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Geht es nach seiner Plattenfirma, dann hat Leonard Cohen einen langen Anlauf genommen. Sein vor zwei Jahren erschienenes Album „Old Ideas“, heißt es von der Firma Sony Music, sei das erfolgreichste Werk seiner Karriere gewesen. Fragt sich nur, wie sein 42 Jahre zuvor erschienenes Debüt „Songs of Leonard Cohen“ mit den Liedern „Suzanne“, „So long, Marianne“ und „Sisters of Mercy“, sein 1984 veröffentlichtes Album „Various Positions“ mit dem Stück „Hallelujah“ oder das 1988er Werk „I’m your Man“ mit dem Song „First we take Manhattan“ einzuordnen wären. Als Flops?

 

Natürlich nicht. Die Plattenfirma hebt nicht auf den künstlerischen, sondern den wirtschaftlichen Erfolg ab. Ein Stück weit recht hat sie da immerhin auch, „Old Ideas“ landete auf Platz vier der deutschen Albumcharts, in acht anderen Ländern sogar auf Rang eins und in achtzehn weiteren unter den Top Five. Und überhaupt, um jetzt noch einmal ein halbes Jahrhundert zurückzuspringen: hat nicht Cohen selber einst nur deshalb eine Musikerlaufbahn eingeschlagen, um schnell Geld zu verdienen und sich wieder seiner Bestimmung als Dichter widmen zu können?

Der Meister übertrifft sich noch einmal selbst

Ja, das hat er. Und er hat auch schnell eingesehen, dass er mit Musik größere Erfolge als mit Dichtkunst einheimsen kann, wenngleich er seinerzeit auch im literarischen Fach bereits ein sehr beachteter Mann war. Sein Erstling „Let us compare Mythologies“, erschienen vor nun schon bald sechzig Jahren, ist noch heute ein in verschiedenen künstlerischen Genres viel zitiertes Werk, der Nachfolger „Spice Box of Earth“ machte ihn bereits in Europa bekannt, wo er sich anschließend auf der griechischen Insel Hydra ja auch niederlassen sollte. Und nochmals ja: es war immerhin der Produzent John Hammond von der heutigen Sony-Tochter Columbia Records, der Cohen 1967 vom Fleck weg bei seinem Sängerdebüt beim Newport Folk Festival verpflichtete, weswegen man der Plattenfirma, der Leonard Cohen bis heute die Treue hält, sogar dankbar sein darf.

Vielleicht darf sie ihre Erfolgseinschätzung sogar noch einmal überarbeiten. Denn Leonard Cohens an diesem Freitag erscheinendes aktuelles Album „Popular Problems“ ist von einer so hohen Güte, dass man ihm alle nur denkbaren Erfolge wünschen möchte und sich sehr gut vorstellen kann, dass er mit ihm abermals Charterfolge feiert. Nur zwei Jahre nach den bereits vorzüglichen „Old Ideas“ übertrifft Cohen sich hier nämlich noch einmal selbst. Sein tiefer Bass legt sich in den neun Songs über etwas, was man als Südstaatensoulfunk in Zeitlupe bezeichnen könnte. Perkussiv und mit einem sachten Bass grundiert, schmiegen sich milde Hammond- und Rhodestastenklänge zu ein paar sanften Streichern und den Backgroundsängerinnen.

Abermalige künstlerische Häutung

Zunächst geschieht dies mit programmatischen Titeln wie „Samson in New Orleans“ und „Almost like the Blues“. Flotter wird es dann in der zweiten Hälfte des Albums, beim fast schon poppigen „My oh My“ und dem regelrecht funkigen und ganz starken „Nevermind“, das sogar mit orientalischem Einschlag aufwartet, ehe das Album mit dem Spiritual „Born in Chains“ und dem Epilog „You got me singing“ so glorios verklingt, wie es begonnen hat.

Leonard Cohen fügt mit diesem Album seiner beeindruckenden Diskografie einen weiteren glänzenden Farbtupfer hinzu. Und er vollführt eine abermalige künstlerische Häutung – nach dem tieftraurigen Werk „Songs of Love and Hate“, der orchestralen Wucht von „New Skin for the old Ceremony“, dem von Phil Spector verabreichten Breitwandsound auf „Death of a Ladies’ Man“ und der erneute Hinwendung zum Folk auf „Recent Songs“, allesamt in den Siebzigern veröffentlicht. Nach missmutiger Misanthropie in den Neunzigern, dem sieben Jahre währenden selbst gewählten Eremitendasein im Kloster, dem Comeback im neuen Jahrtausend mit den „Ten New Songs“ (2001), dem plötzlich bläsersatten „Dear Heather“ von 2004, und der – nach fünfzehnjähriger Abstinenz – umjubelten Rückkehr 2008 auf die Konzertbühnen, die sich mittlerweile zu einer nahezu rastlosen „Never ending Tour“ mit stets ausufernd üppigen Auftritten ausgewachsen hat.


Schon toll das alles, und da man für die Aufzählung aller Coverversionen (unter anderem haben Joe Cocker, R.E.M., Johnny Cash, John Cale sowie Bon Jovi seine Stücke interpretiert) und Tribute-Alben allein eine Sonderseite bräuchte, sei hier lediglich die bis dato letzte Annäherung genannt, das ebenfalls an diesem Freitag erscheinende Album „Poem“, auf dem eine illustre Riege von Peter Maffay über Nina Hagen, von den Fehlfarben bis zu Manfred Maurenbrecher Cohen-Songs auf Deutsch interpretiert.

Dem deutschen Liedermacher Maurenbrecher wird die Ehre zuteil, in der Oktoberausgabe des Fachblatts „Rolling Stone“ die Hommage an den in Montreal am 21. September 1934 in eine jüdische Mittelstandsfamilie hineingeborenen kanadischen Songwriter zu schreiben. In seinem klugen Aufsatz ruft er noch einmal Joni Mitchells schönes Bonmot in Erinnerung, dass Cohen das Patent auf den Ausdruck „Naked Body“ habe, weil der in jedem seiner Lieder vorkäme; woraufhin Maurenbrecher trefflich repliziert: „Wer solch eine Stimme hat, muss einfach schreiben und singen, was mit Liebe zu tun hat.“

Vorstufe der Apokalypse

Fürwahr, die Ausdruckskraft, sie ist neben der überlegenen Güte der Musik und der Sorgsamkeit, mit der Cohen seine Stücke teils jahrzehntelang er- und bearbeitet (am erwähnten Stück „Born in Chains“ auf „Popular Problems“ hat Cohen laut einem Interview im britischen „Guardian“ seit vierzig Jahren geschrieben und ist trotzdem noch immer nicht zufrieden mit ihm), das herausstechende Qualitätsmerkmal seiner Lieder. Er ist ein großer Melancholiker, aber er ist auch ein – wenngleich sinistrer – Romantiker. Er schreibt über Ängste und Verlustängste, über Vereinsamung und Einsamkeit, über existenzielle Fragen und eine Existenz, die er matt lächelnd ohnehin nur als Vorstufe der Apokalypse begreift.

Es ist Musik, die, um nochmals Maurenbrecher zu zitieren, „das Pumpen und Pulsen des kleinen Motors ist, der aus den Studios wie aus perfekten Einbauküchen in Patchwork-Reihenhäusern der reichsten Länder hinaus auf die namenlosen Schlachtfelder tuckert, die diese Länder beheizen und von deren Existenz wir immer erst hören, wenn die Leichen schon verkohlt sind“ Angesichts dieser düsteren Vorzeichen wäre Cohens immenser Erfolg eigentlich unerklärlich – doch da ist ja noch das warme Herz, der unterschwellige Glaube an mögliche Veränderung, die eigentlichen Triebfedern im Cohen’schen Schaffen, die in seinen Texten all das Elend zwar spürbar, aber immerhin fast schon verschmerzbar machen.

Auch seine literarischen Arbeiten lohnen sich

Ach ja, schreiben nur um des Schreibens willen tut dieser begnadete Versdrechsler zwar nicht mehr so emsig wie in seiner frühen Postgraduiertenzeit, aber natürlich immer noch. Zuletzt erschien 2006 sein „Buch der Sehnsüchte“, das Gedichte, Zeichnungen und Storys versammelt, auch das sehr lesenswert.

Cohen selber übrigens hält nicht etwa einen seiner frühen großen Hits oder ein Stück aus seinem Spätwerk für seinen besten Song, sondern das sanftmütig gesungene, 1984 veröffentlichte und sehr religiös angehauchte „ If it be your Will“. Wenn der Mann, der an diesem Sonntag achtzig Jahre alt wird, mit der gleichen Intensität weitermacht, kann man sich nur von Herzen wünschen, dass sein Wille geschehen möge.