Die Einrichtung wird zur Zeitkapsel – über die Geschichte des Gebietes zwischen Blosenberg und Engelberg.

Leonberg - Im Berthold-Graf-Saal des Samariterstiftes herrscht reges Treiben. Der Leonberger Ulrich Strauß zeichnet mehrere Jahrhunderte Zeitgeschehen aus dem Gebiet vom Fuße des Engelberges bis rund um den Blosenberg nach. Der Vortrag findet im Rahmen der Nachbarschaftsarbeit statt, und die Quartierkoordinatorin Magdalena Heinrichs freut sich über die vielen Teilnehmer. Strauß beginnt mit einem Zitat von Albert Einstein – allerdings auf Schwäbisch: „Was nix koschd, des taugt au nix.“ Mit diesem humorvollen Einstieg will er dafür werben, dass sein Vortrag zwar kostenlos, aber für die Zuschauer hoffentlich von Wert ist.

 

Um die Geschicke der Stadt Leonberg geschichtlich etwas genauer zu beleuchten, führt Strauß zuerst weiter in die Vergangenheit zurück und erzählt: „Unser Graf Ulrich, der I. von Württemberg, war ein ganz schön schlimmer Finger.“ Strauß lässt gekonnt die Kriege und den immerwährenden Kampf um Ländereien, Macht und Reichtum noch einmal lebendig werden. 1248/49 gründete der Graf (1226-1265) das strategisch günstig liegende „Levinberch“.

Damals wurden noch abends die Stadttore geschlossen

Strauß nimmt seine Zuschauer mit in die Zeit, als im damals rundherum befestigten Leonberg noch jeden Abend das obere und untere Stadttor geschlossen wurden. „Wer zu spät kam, musste außerhalb der Stadtmauern übernachten. Dafür gab es damals Herbergen. Meistens mit ebenerdigen Pferdeställen, der Schankstube in der Mitte und Schlafzimmern im Obergeschoss“, erklärt Strauß. In der Fantasie hört man währenddessen die Rufe der Wachen, das Rattern der Kutschräder und Klappern der Pferdehufe. Heute steht am ehemaligen oberen Stadttor das Graf-Ulrich-Haus.

Strauß spannt den zeitlichen Bogen weiter bis ins Jahr 1771. Ein Dia zeigt eine Karte aus diesem Jahr und was auf den ersten Blick ins Auge fällt, ist die Leere und Weite, die vielen noch unbebauten Flächen rund um den Blosenberg. Dieser große Gegensatz zum heute stark bebauten Gebiet lässt die bildliche Vorstellung wachsen, wie anders das Leben und die Landschaft im 18. Jahrhundert ausgesehen haben. Untermalt mit zahlreichen weiteren Lichtbildern durchwandert der Vortrag die Zeiten, als die Seestraße noch Barwiesenweg hieß, die Barquelle den längst verschwundenen Feuersee speiste und es den Seegarten noch gab.

Heute steht dort das Seedammcenter. Es bedurfte großer Anstrengungen, um den Grund und Boden für den Bau des Gebäudes vorzubereiten. Eines der Dias zeigt eine nostalgische Postkutsche mit zwei Pferden, die ihre letzte Fahrt 1927 unternahm, bevor die moderneren Postbusse zum Einsatz kamen. Schließlich öffnet Strauß ein wichtiges, wenn auch dunkles Kapitel in der Geschichte der Stadt Leonberg und des Blosenbergviertels. 1935 begann der Bau des alten Engelbergtunnels und brachte die Barquelle zum Versiegen. Eigentlich als erster Reichsautobahntunnel Deutschlands geplant, mussten hier Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg Tragflächen für Kampfflieger produzieren.

Ein Zeitzeuge meldet sich zu Wort: Frowin Junker

Zeitzeuge und Autor Frowin Junker meldet sich während des Vortrages zu Wort: „Jeden Abend in der Dämmerung kamen riesige Lkws mit Teilen der Tragflächen aus dem Tunnel gefahren. Sie fuhren immer so spät, damit die Abwehrjäger keine gute Sicht mehr hatten.“ Strauß zeigt auch eindrückliche Lichtbilder des ehemaligen Margarethenheimes, einer Fürsorgeeinrichtung für „gefallene Mädchen“. „1944 wurde das Gebäude zwangsgeräumt, dort entstand ein Konzentrationslager“, erzählt Strauß und zeigt weitere Dias dazu. Der Weg der Erinnerung und mehrere Gedenkstätten erinnern bis heute an diese Zeit, die am Blosenberg unauslöschliche Spuren hinterließ. Auf einem Lichtbild ist ein Plan des Geländes und der beiden KZ-Gebäude zu sehen. Ein seltsamer Haken in einem der langgestreckten Häuser wirft Fragen auf. „Das war der Galgen, der stand einfach mittendrin“, klärt Strauß auf. Betretene Stille und ein kollektiver Schauder breiten sich aus.

Natürlich möchten die Anwesenden gerne noch mehr über das heutige Samariterstift wissen. Auch hier weiß Strauß über den weiteren Verlauf der Geschichte genau Bescheid. „Nach Kriegsende wollte der Heimträger natürlich das Gelände zurück. Das gestaltete sich nicht so einfach. Die amerikanische Besatzung machte es zur Auflage, dass innerhalb eines Jahres ein Altenheim gebaut werden muss.“ 1948 entstand so das evangelische Altenheim Leonberg, das heutige Samariterstift.

Weitere Bilder zeigen die Entstehung der Blosenbergkirche. Frowin Junker erinnert sich: „Das Kirchendach wurde innerhalb eines Tages fertiggestellt und besteht übrigens aus einem einzigen Betonguss.“ Mit einem Lichtbild, auf dem ein grandioser Rundblick über das heutige Blosenbergviertel zu sehen ist, endet der Vortrag. Ulrich Strauß schließt seine interessante Zeitreise, wie er sie begonnen hat – mit einem Witz, der ihm die Lacher seiner zufriedenen Zuschauer sichert.