Volker Herzig hat die größte Giftsammlung der Welt. Um Bio-Insektizide und Medizin daraus zu entwickeln, zapft er Tausenden von Achtbeinern und sogar Skorpionen ihre toxische Flüssigkeit ab und reist dafür regelmäßig von Australien in die Heimat.

Leonberg - Dass man Kühe, Ziegen und Schafe melken kann, ist wohl jedem klar. Auch das Melken von Pferden und Eseln klingt noch halbwegs einleuchtend. Dass das aber auch bei Spinnen und Skorpionen möglich ist, erscheint den meisten Menschen doch sehr fragwürdig.

 

Doch genau das ist Volker Herzigs Spezialgebiet. Der in Höfingen aufgewachsene Spinnen-Forscher hat bereits mehr als 5500 Spinnen und einige Hundert Skorpione „gemolken“. Er hat sich darauf spezialisiert Spinnen- und Skorpiongifte für pharmazeutische, medizinische und landwirtschaftliche Zwecke zu erforschen. Herzig hat mit insgesamt 516 Spinnen- und 131 Skorpionarten die weltgrößte Arachnidengiftkollektion aufgebaut.

Beim Melken packt er die Spinnentiere mit einem speziellen Spinnengriff und stößt ihre beiden Beißklauen durch die feine Membran eines Plastikröhrchens. In dieses Röhrchen entlässt die Spinne ihr Gift, dazu gezwungen durch leichte Stromstöße von 9 bis 15 Volt – je nach Größe des Tieres. „Der Strom schadet den Spinnen überhaupt nicht“, versichert Herzig. Skorpione dagegen werden ohne Elektrizität gemolken. Sie werden lediglich ein wenig gereizt. Volker Herzig lässt sie dann in eine Membran stechen, von der er mittels einer Pipette die Gifttropfen aufsaugen kann.

Seit der Kindheit von Spinnentieren fasziniert

Seit seiner Kindheit faszinieren den Höfinger die Tiere mit den acht Beinen. An seinem Elternhaus hat Herzig oft Kreuzspinnen gefüttert und beim Fressen beobachtet. Als Jugendlicher beschäftigte er sich dann näher mit Vogelspinnen. „Ich brauchte zwei Jahre, um meine Eltern davon zu überzeugen, dass Vogelspinnen keine gefährlichen Haustiere sind“, erzählt Herzig grinsend. Während eines zehnmonatigen Auslandstudiums in Brasilien hat er angefangen, wissenschaftlich mit Spinnengiften zu arbeiten. Die Ergebnisse bildeten die Grundlage seiner Diplomarbeit. Promoviert hat der 42-Jährige in Tübingen. „Mit einem Australienaufenthalt hat sich für mich die Möglichkeit ergeben,   mein Hobby zu meinem Beruf zu machen und damit auch noch Geld zu verdienen“, erzählt Herzig.

In Deutschland wird nur wenig an tierischen Giften geforscht, deswegen lebt und arbeitet der Spinnen-Forscher seit 2005 in Australien. Zuerst war er an der Monash Universität in Melbourne tätig, seit 2008 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am „Institute for Molecular Bioscience“ an der Universität von Queensland in Brisbane. „Leider konnte ich von meinen Spinnen, die ich in Deutschland gehalten habe, keine mit nach Australien nehmen, denn die Einfuhrbestimmungen sind hier sehr streng und lebende Spinnen dürfen nicht eingeführt werden“, erklärt der Wissenschaftler.

Außerdem ist Herzig Gründungsmitglied der Deutschen Arachnologischen Gesellschaft. Ohne die Unterstützung der vielen anderen Mitglieder wäre seine einzigartige Giftsammlung nicht möglich gewesen, sagt er. Alle ein bis zwei Jahre reist er nach Deutschland, um das Gift von Spinnen und Skorpionen von Privatbesitzern abzuzapfen und es anschließend mit nach Australien zu nehmen.

Ist denn die Arbeit mit giftigen Spinnen nicht gefährlich? „Bisher wurde ich nur ein einziges Mal von einer Kreuzspinne gebissen“, erläutert der Experte: Damals noch in der Grundschule reizte er das Tier in einem Glas mit dem Finger, das ihn dann in die Fingerkuppe biss, so Herzig. Beim „Melken“ ist er seitdem etwas vorsichtiger. Selbst nach tausendfachem Abzapfen von Vogelspinnen, Mausspinnen, Trichternetzspinnen und Kammspinnen ist er von weiteren Bisserfahrungen verschont geblieben.

„Schatztruhe der Natur für neue Medikamente“

Warum tut Volker Herzig das? Ziel seiner Arbeit ist es, neue Toxine mit interessanten Eigenschaften zu entdecken und die Erkenntnisse dann in Fachjournalen zu veröffentlichen. Dafür untersucht er gewonnene Rohgifte und wertet die Ergebnisse am Computer aus. Diese werden auf insektenvernichtende und das Nervensystem schädigende Wirkungen geprüft. Die insektiziden Eigenschaften der Spinnengifte testet Herzig, indem er verschiedene Giftkonzentrationen in Fliegen oder Heimchen injiziert und deren Verhalten anschließend beobachtet. Die neurotoxischen Eigenschaften, also deren Wirkung auf das Nervensystem, werden zum Beispiel an den Nackenmuskeln von Hühnchen getestet. „Spinnengift“, sagt Herzig, „ist eine Schatztruhe der Natur für neue Medikamente und Bio-Insektizide.“ Viele Insekten verursachen massive Schäden in der Landwirtschaft und können auch Überträger von Krankheiten sein. Da die Spinne ein natürlicher Feind der Insekten ist, enthält ihr Gift wirksame Bestandteile gegen Schädlinge. Laut dem Wissenschaftler gehören Spinnen zu den erfolgreichsten Insektenjägern überhaupt.

Nach einem Sprichwort sollen Spinnen angeblich Glück bringen. Ob das wirklich so ist, lässt sich nur schwerlich bestimmen. Aber sicher ist jedenfalls eines: Sie sind aus Wissenschaft und Forschung kaum mehr wegzudenken.