Geraubte und nach Deutschland verschleppte Kinder – ihr bewegendes Schicksal zeigt eine Ausstellung im Haus der Begegnung. Die KZ-Gedenkstätteninitiative und die evangelische Erwachsenenbildung haben sie nach Leonberg geholt.

Leonberg - Die Bilder sind nur schwer zu ertragen: Kinder umringt von Nazi-Schergen wie Heinrich Himmler, ausgemergelte kleine Körper und Kinder jeden Alters, getötet auf dem Boden liegend. Sie alle sind Opfer eines schrecklichen Krieges und einer Ideologie, die den arischen Übermenschen züchten wollte.

 

„Es ist ein großes Verbrechen, das die Nazis begangen haben“, sagt Christoph Schwarz bei der Eröffnung der Ausstellung im voll besetzten Saal im Haus der Begegnung. „Man muss sich den Schmerz der Eltern und Angehörigen vorstellen.“ Der Lehrer aus Freiburg meint damit die vielen tausend geraubten Kinder, die während des Zweiten Weltkriegs aus besetzten Ländern wie Polen, der Ukraine oder Slowenien nach Deutschland verschleppt wurden. Der Grund: Sie waren blond und blauäugig, sahen also „arisch“ aus und sollten – so die Vorstellung der Nazi-Ideologen – die germanische Rasse erweitern.

Ein Zeitzeuge berichtet aus seinem Leben

Hermann Lüdeking ist eines dieser Kinder. Er erzählt als Zeitzeuge mit ruhiger Stimme von seinem Leben. Geboren wurde er als Roman Roszatowski, wahrscheinlich im polnischen Lodz. Denn dort wurde er von der SS aus einem Waisenhaus geholt und nach Deutschland verschleppt. Da war er etwa sechs Jahre alt. Sein genaues Alter kennt er nicht, denn seine Herkunftsdaten wurden im Laufe seiner „Germanisierung“ verschleiert. Der alte Herr konnte jedoch später zumindest einen Teil seiner Herkunft recherchieren. Er weiß, dass er 1942 in das „Gaukinderheim Bruckau“ und von dort in das „Lebensbornheim“ Kohren-Sahlis bei Leipzig kam, wo im Zuge der Umerziehung Gewalt gegen die Kinder an der Tagesordnung war. Seine deutschen Pflegeeltern übernahmen ihn dann dort mit einer neuen Identität.

Jahre später, so erzählt Hermann Lüdeking, der heute in Bad Dürrheim lebt, fand er Unterlagen zu seiner eigentlichen Herkunft. Als er von seiner Pflegemutter Aufklärung darüber verlangte, brach sie mit ihm. Noch heute, so berichtet er, leidet er unter der Ungewissheit, welches seine eigentlichen Wurzeln sind. Denn diese konnte er trotz umfangreicher Recherchen nicht mehr ausfindig machen. „Doch ich bleibe dran, ich versuche es weiter“, sagt Hermann Lüdeking am Freitagabend im Haus der Begegnung.

Die Forderung nach Entschädigung

Umfangreich hat auch Christoph Schwarz, der Gründer und Vorstandssprecher des Vereins Geraubte Kinder - vergessene Opfer, recherchiert. Der 41-Jährige, dessen Großmutter als Halbjüdin Zwangsarbeit leisten musste, arbeitet seit 15 Jahren an diesem Thema und gründete 2013 den als gemeinnützig anerkannten Verein. Schwarz, der auch Geschichte unterrichtet, will nicht nur die Erinnerung an die während der NS-Zeit verschleppten Kinder wachhalten. „Wir wollen, dass sie wie andere NS-Opfer auch eine Entschädigung erhalten.“ Denn diese sei bisher in fast allen Fällen verwehrt worden.

Erst 2016 hat der Bundestag mit Stimmenmehrheit eine entsprechende Petition abgelehnt, nicht zuletzt mit dem Hinweis darauf, dass die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ die von Schwarz ins Leben gerufene Ausstellung finanziell unterstützt habe. Es könne doch nicht sein, sagt Schwarz, der viele Gespräche mit Zeitzeugen führte und gerade ein Buch zum Thema schreibt, dass die Opfer, die schon als Kinder oftmals massive körperliche und psychische Gewalt erlebt hätten, nichts bekämen. Noch nicht einmal eine Entschuldigung von offizieller Seite, während die Täter heute noch Rente beziehen.

So ist Christoph Schwarz mit seiner Wanderausstellung, die viele bewegende Schicksale zeigt, weiter unterwegs. Leonberg ist die neunte Station. Im März geht die Ausstellung an einen der Orte des grausamen Geschehens, nach Kohren-Sahlis bei Leipzig, wo Hermann Lüdeking alias Roman Roszatowski aus Lodz im NS-Lebensbornheim „Sonnenwiese“ das Deutschsein eingebläut wurde.

Die Ausstellung