„Ein altes Haus aus dem Dornröschenschlaf zu erwecken ist spannend“, findet die Besitzerin des Gebäudes Marktplatz 30. Die historischen Mauern steckten voller Überraschungen. Der Leonberger Bauunternehmer Matthias Haag leitet die Sanierung.

Leonberg - Ein Mal war ich so weit, dass ich am liebsten ein Netz darüber gezogen und alles vergessen hätte“, blickt Bettina Wünning zurück. „Doch ein altes Haus aus dem Dornröschenschlaf zu erwecken ist spannend“, findet die Besitzerin des Gebäudes Marktplatz 30. Die historischen Mauern steckten voller Überraschungen. „Diese haben uns erfreuliche und böse zuhauf geliefert“, sagt der Leonberger Bauunternehmer Matthias Haag im Rückblick, der die Sanierungen leitet.

 

Fast 20 Jahre lang hat das eher unscheinbare, zum Teil efeubehangene Haus am Übergang vom Marktplatzes zur Graf-Ulrich-Straße den Laden „Bücherwurm“ beherbergt. Als es Bettina und Joachim Wünning 2010 von der Buchhändlerin Lore Molly gekauft haben, hatte es 415 Jahre auf dem Buckel – die erhebliche Spuren hinterlassen haben, wie sich später zeigen sollte.

„Unsere Familie mag alte Häuser, wir wohnen selbst in einem“, sagt Bettina Wünning. Deshalb habe sie sich für das denkmalgeschützte Gebäude in der Altstadt begeistert. „Als wir die Arbeiten in Angriff genommen haben, hatten wir oft den Eindruck, dass es uns unter den Händen zusammenfällt. Doch dann wurde die Sanierung ein spannendes Hobby“, sagt die Unternehmergattin. Der Ehemann Joachim Georg Wünning und sein Vater Joachim Alfred Wünning sind die Inhaber der Renninger Firma „WS Wärmeprozesstechnik“.

Belegt sei, dass das Haus 1595 erbaut wurde, sagt Bettina Wünning. „Ursprünglich wurde es als Sichtfachwerk mit großen Eichenständern auf einem imposanten Keller erstellt, und beherbergte einen kleinen Handwerksbetrieb“, hat Haag aus den Gebäudeteilen analysiert, denn das Haus hat schon einige Umbauten erlebt.

Die gewaltige Kellertreppe hatte einen direkten Zugang zur Straße. „Diese Treppe ist eine der freudigen Überraschungen gewesen“, erzählt Bettina Wünning. Sie sei zugeschüttet und hinter einem Berg von Schutt verborgen gewesen. „Nur als dieser eimerweise hochgetragen wurde, kam das gute Stück zum Vorschein.“ Äußerst merkwürdig sei an dieser mächtigen Steintreppe die große Höhe der Tritte. „Das konnten wir nur mit einer neuen Metalltreppe überbrücken“, erläutert Baufachmann Haag. „Doch die wirklich große Überraschung kam zu Tage, als die rechte Wand der Kellertreppe freigelegt wurde – es ist ein Steinfenster“, freut sich Bettina Wünning. „So etwas ist mir in Leonberg und Umgebung noch nicht untergekommen“, sagt auch Matthias Haag. In einem aus Steinen gebauten Fensterrahmen kann in einer Fuge eine mehrere Zentimeter dicke Steinplatte hin und her geschoben werden, und so das Tageslicht eingelassen und abends die Fensteröffnung verschlossen werden. Überhaupt haben Fenster in der Historie dieses Hauses ein große Rolle gespielt, denn der größte Umbau fand in der Barockzeit im frühen 18. Jahrhundert statt. Das Haus wurde „modernisiert“. Angelehnt an die fürstlichen Prachtbauten wollte jeder viele Fenster haben. Um diese unterbringen zu können, mussten Streben und Bänder des Fachwerkes wegfallen. Auch wurde die Fassade verputzt, um es als Steinhaus erscheinen zu lassen. Wohlhabende Stadtbürger wollten keine armseligen Holzfachwerkhäuser mehr ihr Eigen nennen.

Zu den interessanten Fundstücken zählt ein aus der Bauzeit erhaltenes, kleines Schiebfensterchen, das im Giebel untergebracht war und das ganz ohne Metallnägel gefertigt ist. „Das ist das Größte, was damals an Glasscheiben machbar war“, erläutert Haag und zeigt auf die postkartengroßen Gläser. „Was größer ausgewalzt wurde, ist beim Abkühlen zerborsten.“ Die wenigsten der zwölf Scheiben sind durchsichtig, und alle haben einen anderen Farbstich. „Das kommt von den Zutaten in dem geschmolzenen Sand“, weiß Haag.

Aus der ursprünglichen Bauzeit stammt eine heute seltene Keilstufentreppe, die unters Dach führt. Sie lässt sich als „Urtyp einer Treppe“ begreifen. Sie ist mit ihren zwei Tragbalken und den grob gehauenen, quer eingepassten Stufen eigentlich mit einer hölzernen Leiter vergleichbar. Der Dachstuhl ist im Originalzustand, und besteht aus handbehauenen, rußgeschwärzten Eichenstämmen. Das deutet darauf hin, dass es in den ersten 200 Jahren keine Kamine gab, und der Rauch über eine Esse direkt in den Dachstuhl gelassen wurde. Das hat zwar das Holz gut konserviert, war aber auch stets eine große Brandgefahr.

Rauch hat es in diesem Haus schon immer gegeben, denn in den vergangenen 200 Jahren haben viele Handwerker darin gelebt. Zunächst wohnte 1808 der Bürgermeister Christian Josenhans dort. 1844 hat es der Kaufmann Gustav Zeller erworben, bevor es von 1872 an fast 100 Jahre einer Reihe von Konditoren und Bäckern gehört hat. 1972 zog der Kaufmann Martin Kleinfelder ein und 1982 Lore Molly und Sabine Bayer mit dem „Bücherwurm“. Und nun wartet das Haus auf neue Bewohner.