Unser Redakteur Henning Maak verbringt mehrere Stunden beim Kriminaldauerdienst der Polizei. Er darf dabei sein, wenn ein Beamter eine Leiche obduziert.

Leonberg - Zu den am wenigsten bekannten Einheiten der Polizei gehört der so genannte Kriminaldauerdienst (KDD) in Leonberg. Auch mir ist nicht klar, was die Beamten dort genau machen, obwohl ich   einige Folgen der gleichnamigen ZDF-Serie im Fernsehen gesehen habe. Deshalb frage ich mit nicht allzu hohen Erwartungen an, ob es möglich ist, die Polizisten bei ihren Einsätzen zu begleiten. Die Zusage kommt schnell und unkompliziert.

 

KDD-Leiter Peter Lechner empfängt mich und gibt mir eine theoretische Einführung in die Arbeit seiner Dienststelle in der Gerhart-Hauptmann-Straße. „Was Sie heute erleben werden, hängt davon ab, was heute passiert“, sagt er.

Es stellt sich heraus, dass dies ein arbeitsreicher Tag für die KDD-Beamten wird: Gleich vier Todesfälle gibt es, die genauer untersucht werden müssen. Die Kriminalhauptkommissare Lothar Wunderlich und Peter Wengerek, die um 20 Uhr zur Nachtschicht antreten, nehmen mich mit nach Freiberg. Dort hat der sogenannte Leichen beschauende Arzt einen unklaren Todesfall diagnostiziert. „Der Mann, der 1960 geboren ist, lebt seit vielen Jahren mit seinem Bruder zusammen in einer Wohnung“, erklärt mir der Schichtleiter Lothar Wunderlich. Als dieser Bruder von der Arbeit nach Hause gekommen sei, habe er ihn tot vorgefunden.

Ein Leichnam lügt nie

Es dämmert bereits, als Peter Wengerek die schwarze Limousine vor dem Gebäude in einer ruhigen Straße parkt und sich seine große Tasche mit der Ausrüstung schnappt. Der Bruder des Toten öffnet die Tür. „Es gibt schönere Tage als heute“, ist das erste,  das er zur Begrüßung sagt. Ich habe das Gefühl, ein Eindringling zu sein, der irgendwie nicht an diesen Ort gehört. In der Wohnung riecht es leicht muffig.

Für Lothar Wunderlich und Peter Wengerek sind solche Orte Routine. Ich entdecke erst nach Minuten, dass der Leichnam in der Toilette liegt, nur die Füße ragen in den Flur.

Die beiden KDD-Beamten streifen sich giftgrüne Handschuhe über und legen den Toten, bei dem die Leichenstarre schon großteils ausgeprägt ist, in den Flur. Dann teilen sie sich auf: Wengerek untersucht den Leichnam, Wunderlich vernimmt den Bruder und einen Bekannten, den dieser angerufen hatte.

„Ein Leichnam lügt nie“, erklärt Wengerek, der 13 Jahre lang bei der Kriminalpolizei in Stuttgart in der Abteilung für Kapitalverbrechen gearbeitet hat. Als er die Wohnung mit den Augen abscannt, fallen ihm gleich die zahlreichen herumstehenden Weinflaschen auf. „Erhöhter Alkoholkonsum dürfte in diesem Fall eine Rolle spielen“, glaubt er. Da der Tote mehrfach Blut gespuckt hatte, vermutet er, dass so genannte Ösophagusvarizen – Krampfadern in der Speiseröhre – geplatzt sind und zum Tod geführt haben.

Die Beamten zeigen viel Anteilnahme

Zunächst klopft Wengerek den Leichnam ab, dann entkleidet er ihn, indem er die Kleidungsstücke mit einer Schere zerschneidet. „Die Untersuchung geht immer von oben nach unten“, erklärt er. Mit einer Taschenlampe leuchtet er dem Toten in die Augen und prüft, ob Einblutungen zu sehen sind. Das könnte auf Würgen oder Erdrosseln hinweisen – was sogar ich als regelmäßiger Tatort-Zuschauer weiß. Mir fällt auf, dass der Kriminalhauptkommissar sehr umsichtig, fast sogar zärtlich mit der Leiche umgeht. Sogar im Tod respektiert er noch die Würde des Lebens.

Als er fertig ist, deckt er den Leichnam im Flur mit einem Betttuch ab. „Sein Bruder braucht ihn so nicht zu sehen“, sagt er voller Anteilnahme. Wir gehen zu Lothar Wunderlich, der mit dem Bruder den Tagesablauf des Toten rekonstruiert hat.

Die Polizisten bleiben, bis die Bestatter kommen. Nachdem diese die Leiche in ihren Wagen gebracht haben, verabschieden sich die beiden Beamten. Auch hier zeigen sie sehr viel Anteilnahme, ihr Beileid wirkt warm und echt. Als wir wieder im Auto sitzen, bin ich erleichtert und tief beeindruckt von der Professionalität und Menschlichkeit der beiden KDD’ler. Sie werden die Nacht nutzen, um ihren Bericht zu schreiben – sofern sie nicht zu einem neuen Einsatzort gerufen werden.