Kacheln sprangen von der Wand, das Laminat zerriss. Rüdiger Brauns Haus ist nach einer Erdwärme-Bohrung abgesackt - nun lebt er in einer Ruine.

Leonberg - Mit der Nachtruhe ist es für Rüdiger Braun nicht weit her gewesen. Urplötzlich habe sich mit lautem Knarren und Krachen das Haus bewegt, berichtet Braun: Kacheln sprangen von der Wand, das Laminat im Wohnzimmer zerriss, den Rissen in der Wand habe man beim Wachsen zusehen können. "Es hat richtige Schläge getan", sagt der Mann aus Leonberg-Eltingen (Kreis Böblingen). Braun ist nicht der Einzige, dessen Haus beschädigt ist. Innerhalb von zwei Tagen sind Ende Juli erhebliche Gebäudeschäden in der Thomas-Mann-Straße entstanden. Für die geschädigten Bewohner liegt die Ursache auf der Hand: Schuld seien die Bohrmaschinen auf dem Grundstück eines nahe gelegenen Hauses. Dort war nach Erdwärme gesucht worden.

 

Vor rund zwei Wochen rückte eine riesige Spezialbohrmaschine in der Thomas-Mann-Straße an. Drei Tage später wurden die Nachbarn jäh aus dem Schlaf gerissen, in den darauffolgenden Tagen sackte die Erde um mehrere Zentimeter ab, im besten Fall neigten sich Häuser wenige Zentimeter, im schlimmsten Fall durchziehen Risse die Häuser vom Keller bis zum Dachstock und gefährden die Statik. Der Schaden könnte in die Millionen gehen. Inzwischen haben sich 24 betroffene Hausbesitzer gemeldet.

Entsetzt und verwundert

Das Landratsamt Böblingen hatte die Erdbohrung einer Renninger Spezialfirma genehmigt. Sie ist auf rund 80 Meter Tiefe begrenzt und sei die erste von bisher rund 700 im Kreis, bei der "unmittelbar danach solche Schäden auftreten", teilte die Behörde mit. Auch für die Bohrfirma, die seit 1974 Erdbohrungen für Geothermie-Anlagen anbietet, hat es noch nie Probleme gegeben. Der Geschäftsführer Sebastiano Ragusa ist entsetzt und verwundert: So etwas sei der Firma, noch nie passiert. Zur möglichen Ursache will der Geschäftsführer nichts sagen, bevor Gutachter zu einem Urteil gekommen sind.

Auf deren Expertise wartet nun auch das Landratsamt. Bevor sie nicht vorliege, könne weder die Ursache noch die Haftung bestimmt werden, so das offizielle Statement der Behörde, die eben jene Gutachter eingeschaltet hat. Auch das Landesbergamt in Freiburg hat Fachleute in die Eltinger Thomas-Mann-Straße entsandt. Die Behörde hätte eigentlich erst bei einer Bohrung, die tiefer als 100 Meter geht, eingeschaltet müssen. Doch weil in Leonberg offenbar einiges schiefgelaufen ist, sind die Freiburger trotzdem mit dem Vorfall betraut. Für den Stadtrat Bernd Mörk ist die Sache hingegen längst klar: "Die Schäden hätten vermieden werden können, hätten dort keine Sondenbohrungen stattgefunden", sagt der scheidende Fraktionschef der Neuen Liste.

Bohrverbot für Leonberger Untergrund


Er fordert denn auch, dass per Satzung ein generelles "Bohrverbot" für den heiklen Leonberger Untergrund erlassen wird. Die Tatsache, dass Leonberg wegen geologischer Gegebenheiten schwierige Verhältnisse im Untergrund aufweise, mache es notwendig, zum Schutze der Bürger solche Bohrungen für die Zukunft generell zu untersagen, schreibt Mörk in seinem Antrag.

Unterdessen ist das Bohrloch in der Thomas-Mann-Straße mit Zement verfüllt worden, und die Baustelle ruht bis auf Weiteres-wie die Erde. Für Rüdiger Braun und seine Nachbarn bedeutet das einen kleinen Trost. Offensichtlich hat der Bohrtrupp keinen Anhydrit, den berüchtigten Gipskeuper, erwischt, sondern einen Hohlraum unter der Straße. Nur so ist wohl zu erklären, dass die Senkungen nachgelassen haben. Anhydrit hingegen bewegt und quillt so lange, wie Wasser in das gipsähnliche Gestein eindringt. Der Leonberger Engelberg-Basistunnel etwa wandert jährlich um mehr als zehn Zentimeter, weil Anhydrit auf die Betonröhren drückt.

Bohrungen in bis zu 200 Meter Tiefe

Unter Geothermie versteht man die unterhalb der Erdoberfläche gespeicherte Wärmeenergie (Erdwärme). Anders als Solar- und Windkraftanlagen ist diese erneuerbare Energie konstant verfügbar und von Jahreszeiten und Tageszeiten unabhängig. Mit ihr ließen sich schier endlose Mengen an Energie gewinnen - ohne dass der "Klimakiller" Kohlendioxid in der Atmosphäre freigesetzt wird.

Bei Bohrungen in bis zu 200 Meter Tiefe werden Sonden mit einem Durchschnitt bis zu 15 Zentimeter ins Erdreich eingelassen. Für Einfamilienhäuser sind jedoch Tiefen zwischen 60 und 100 Meter der Regelfall. Die bisher folgenschwerste Tiefen-Bohrung ereignete sich im südbadische Staufen. Dort war 2007 Grundwasser in eine gipshaltige Erdschicht gelaufen, die sich aufgebläht hatte. Der Boden hob sich und zog Hunderte Häuser in Mitleidenschaft. Auch die Stadt Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) beklagte 2009 ein ähnliches Phänomen.