Wenn alles glatt läuft, dauert eine Überfahrt mit einem motorisierten, aber meist seeuntüchtigen Schlauchboot gute zwei Stunden. Dafür verlangen die Schmuggler bis zu 1200 Dollar pro Person. „Wer nachts oder bei schlechtem Wetter fährt, zahlt meistens weniger“, erklärt ein Iraker, der sein gesamtes Leben in einem Müllsack hinter sich herschleppt. Zum Vergleich: Touristen müssen für die Fahrt mit der Fähre schlappe 15 Euro berappen. Die türkische Küstenwache schaut meistens weg und wenn nicht, dann kassiert sie Bestechungsgelder.

 

Die genaue Position der Boote können die Helfer am Handy verfolgen. Sobald die Flüchtlinge aufbrechen, geben sie per GPS ihren exakten Standort in eigens dafür erstellten Whats-App-Gruppen ein. Ist ein Boot in Reichweite, rückt die spanische Rettungsorganisation „ProActiva Open Arms“ aus und begleitet die Flüchtlinge sicher zur Küste. Übrigens: die Schwimmwesten der Flüchtlinge bieten keinerlei Schutz – sie sind billige Imitate, die sich bei Kontakt mit Wasser in kürzester Zeit voll saugen.

Was nicht abreißt, ist auch die Hilfsbereitschaft unter den Freiwilligen. Die ehrenamtlichen Helfer, die sich den Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) vor Ort anschließen und ihren Aufenthalt selbst finanzieren, kommen aus der ganzen Welt. Während sich die Politik wegduckt, sind sie die Helden von Lesbos. Die Stephen-Hawking-Schule in Neckargemünd hat sogar zwei Physiotherapeuten freigestellt und für vier Wochen auf die Insel geschickt. „Im Mai kommen wir wieder“, verspricht Christoph Fehn, der auf seiner Rettungsjacke ein Deutschland-Emblem trägt, darunter der Name in Dari, das in Afghanistan gesprochen wird. „Das weckt Vertrauen“, befindet der Therapeut.

Jeder hat seinen besonderen Moment, den er mit anderen teilen will und der ihn darin bestärkt, wiederzukommen. „Meine rührendste Geschichte?“, fragt Ola Johansson, ein Grafikdesigner aus Schweden und erzählt: „Eines Tages kam ein Boot an und noch bevor die Flüchtlinge ausstiegen, rief einer mit ganzer Kraft: ‚Ich bin schwul!’“ Daraufhin habe ein Helfer freudestrahlend erwidert: „Ich auch!“ Doch es gibt auch Geschichten, die an der Menschlichkeit zweifeln lassen. „Einmal hat die türkische Küstenwache ein Kabel ins Wasser geworfen“, erzählt Monica Skilbrei aus Norwegen. „Die Menschen im Boot hielten es für ein Seil und griffen zu. Doch dann stand das Kabel plötzlich unter Strom und die Flüchtlinge kamen mit verbrannten Händen bei uns an“, erinnert sich die Helferin.