Nach drei Monaten ist mit dem Mittagstisch in der Paulskirche erst einmal Schluss.

Leonberg - Ich stehe hier heute mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, sagt der katholische Pastoralreferent Jürgen Oettel. Er spricht beim letzten Mittagstisch der Leonberger Vesperkirche im Jahr 2018. Der Raum in der methodistischen Paulskirche ist voll besetzt. Gut 100 Gäste essen ihre Maultaschen und lauschen Oettels Worten: „Das Weinende, weil wir uns in dieser Runde erst nächstes Jahr wiedersehen. Es war mir und dem Team eine große Freude, sie seit Januar jede Woche hier zu treffen“, spricht er weiter. „Das Lachende, weil es auch einmal gut sein muss, gerade für all die ehrenamtlichen Mitarbeiter.“

 

Hinter den Vesperkirchen steckt die Idee, dass bedürftige Menschen in den kalten Monaten gemeinsam mit anderen eine warme Mahlzeit bekommen, für die sie weniger zahlen müssen als die Normalverdiener. Die Idee stammt aus Stuttgart, wo 1995 in der Leonhardskirche erstmals zum gemeinsamen Essen eingeladen wurde. Mittlerweile gibt es sie über Landes- und Konfessionsgrenzen hinweg.

Menschen aller sozialen Schichten

Auch die Mittagstische in der Paulskirche haben schon Tradition. Bereits seit neun Jahren finden sich dort zwischen Januar und Ostern jeden Mittwoch Menschen aller sozialen Schichten zum Essen ein. Pastor Thomas Schmückle freut sich, dass er auch dieses Jahr wieder viele Gäste begrüßen durfte – Stammkunden wie neue Gesichter, betont er. Schmückle sitzt bei jedem Mittagstisch bei den Gästen, unterhält sich, bietet Ratschläge oder einfach nur netten Smalltalk an. „Ich freue mich jedes Jahr auf die Gespräche. Es begeistert mich, wie offen die Gäste von Anfang an mit uns reden“, freut sich Schmückle.

„Unser Angebot richtet sich zwar an alle – aber vor allem an die ärmeren Menschen. Und arm sind nicht nur die mit wenig Geld, sondern auch die, die wenig am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können“, ergänzt Pastoralreferent Oettel. Viele Gäste kämen her, weil sie zu Hause einsam sind und Kontakt suchen. In Trauergesprächen würde Oettel immer auf das Angebot hinweisen.

Ein Mann am Tisch bestätigt das. Er wäre nach dem Tod seiner Frau das erste Mal hergekommen und seitdem immer wieder hier. Ein Ehepaar am Tisch mischt sich ebenfalls in das Gespräch ein. Günter und Elisabeth kämen schon seit vier Jahren regelmäßig zum Mittagstisch, erzählen sie. „Es ist einfach das Gesamtpaket. Das Essen schmeckt besser als in so mancher Wirtschaft, es gibt nette Menschen und Gespräche. Dazu kann man noch einen guten Zweck unterstützen“, so die beiden. Deshalb würden sie auch immer mehr als den normalen Preis zahlen, damit andere ihr Essen kostenlos bekommen können.

Pastor Schmückle und Pastoralreferent Oettel freuen sich über Menschen wie Günter und Elisabeth. Einerseits über ihre Kontaktfreude, andererseits über ihre Solidarität. „Ohne Rückhalt und Unterstützung aus der Gesellschaft würde dieses Modell nicht funktionieren“, erklärt Oettel.

Die Kassen sind knapp – aber es läuft

Nur ein Teil könne über die Einnahmen finanziert werden, der Rest müsse über Spenden kompensiert werden. „Unsere Finanzierung ist eine Mischkalkulation mit viel Vertrauen auf den Heiligen Geist“, sagt Oettel lachend. „Ein Gast hat mal gesagt, das hier müsse gesegnet sein, sonst könnte es nicht funktionieren“, fügt Schmückle an. Und tatsächlich hätte man noch nie Miese gemacht. Die beiden schwärmen noch ein wenig von der vorbildlichen Ökumene. Jürgen Oettel sagt: „Die Methodisten sind so gastfreundlich und haben eine super Lage hier.“ Und Thomas Schmückle freut sich, dass seine kleine Gemeinde durch die evangelische und katholische Kirche unterstützt und im Ernstfall auch finanziell gedeckt wird.

Doch trotz des sehr positiven Jahresfazits hat auch der Mittagstisch mit Problemen zu kämpfen: „Ich würde mir wünschen, dass sich noch mehr junge Menschen engagieren würden. Unser Team ist im Durchschnitt älter als 70 Jahre, da können diese drei Monate anstrengend werden“, sagt Schmückle. Und auch Oettel gibt zu bedenken: „Dass wir nächstes Jahr unser zehntes Jubiläum feiern, sollte uns Sorgen um den Sozialstaat machen. Ich würde mir wünschen, wir könnten guten Gewissens aufhören.“