Abstand halten? Für Mitarbeiter von ambulanten Pflegediensten ist das kaum möglich. Doch es fehlt Schutzmaterial.

Leonberg - Zu Tränen gerührt war Melitta Brekner, als vergangene Woche die Mail bei ihr in der Sozialstation Renningen eingetroffen ist. Kindergärtnerinnen hatten sich gemeldet und Desinfektionsmittel als Spende angeboten. Die Kindergärten sind derzeit ohnehin geschlossen, ob die Sozialstation Bedarf habe? „Das ist eine sehr tolle Geste – gerade in dieser Zeit mit all den schlechten Nachrichten“, sagt Melitta Brekner, die Pflegedienstleiterin der Renninger Sozialstation.

 

Schwierig und herausfordernd ist die Arbeit in ihrer Sparte zurzeit. Es gilt zwar ein allgemeines Abstandsgebot. Die Mitarbeiter der Pflegedienste, die zu älteren und pflegebedürftigen Menschen nach Hause kommen, müssen aber nach wie vor direkt mit den Menschen arbeiten. Hilfe beim Duschen, Unterstützung beim Essen und das Verabreichen von Spritzen geht nicht aus zwei Metern Entfernung. Und sich abschotten und zumachen, wie derzeit die stationären Pflegeheime, geht in diesem Bereich auch nicht.

Selbst gebastelte Papierbekleidung

Und zu allem Überfluss plagen die Mitarbeiter der Sozialstationen Sorgen wegen fehlendem Schutzmaterial. Reinhard Ernst, der Geschäftsführer des Pflegeverbunds Strohgäu-Glems, zu dem die Sozialstationen Leonberg, Gerlingen und Weilimdorf gehören, schlägt Alarm: „Der Spätdienst am Mittwochabend hatte noch Material“, sagt er. „Seit Donnerstag sind unsere Mitarbeiter mit selbst gebastelter Papierbekleidung unterwegs.“ Am Mittwoch sei zwar eine Lieferung mit Nachschub angekündigt gewesen. „Die kam nicht“, muss Ernst berichten. „Nachschub an Schutzbekleidung ist momentan unser größtes Problem.“

Das sagt auch seine Renninger Kollegin Melitta Brekner: „Ich habe den Eindruck, wir in der ambulanten Pflege werden in der öffentlichen Diskussion manchmal etwas vergessen.“ Viel werde derzeit über die Situation in Pflegeheimen gesprochen. „Aber wir in der ambulanten Pflege sind dem Risiko genauso ausgesetzt.“

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Auch ihre Arbeit selbst ändert sich in Corona-Zeiten. Noch intensiver benutzen die Pflegekräfte zum Beispiel die Mittel zur Händedesinfektion. Melitta Brekner spricht von einem Materialbedarf in allen Bereichen, der doppelt so hoch ist wie in normalen Zeiten. Deshalb ist sie besonders dankbar für die Spende der Kindergärten, die Marcello Lallo, der Fachbereichsleiter Bürger und Recht der Renninger Stadtverwaltung, übergeben hat.

Unsicherheit bei den Senioren

Auch die älteren Senioren, die von den Pflegekräften der Sozialstationen betreut werden, spüren die Unsicherheiten dieser besonderen Zeit. „Wir erleben alles – von Aggressionen bis hin zu großem Verständnis“, sagt Melitta Brekner. Oft sind die Pflegekräfte die einzigen Menschen, zu denen die Senioren Kontakt haben.

„Da ist es natürlich schon schwierig, wenn wir dann auch noch vermummt mit Mundschutz reinkommen“, berichtet die Chefin von 23 Mitarbeitern, die in Renningen 150 Patienten betreuen. Teilweise sei die Angst so groß, dass Angehörige den Dienst der Sozialstation abbestellt haben und jetzt selbst pflegen.

Das stellt auch Reinhard Ernst in Leonberg fest. „Vor allem den Bereich Hilfe in der Hauswirtschaft haben viele abgesagt, weil sie Angst haben“, sagt er. Aber auch die Mitarbeiter ändern die Dienste von sich aus. Während sie einst zusammen mit den Senioren einkaufen gegangen sind, um sie für den Alltag zu mobilisieren, gehen sie jetzt für die Senioren einkaufen. Zentrale Betreuungsangebote, den Mittagstisch, Begegnungen und die Tagespflege sind generell abgesagt.

Um sich und andere zu schützen, hat die Sozialstation Leonberg seit Donnerstag die Maßnahmen zudem verschärft. „Wir teilen jetzt auch an die Patienten Stoffmasken aus, die sie tragen sollen“, sagt der Geschäftsführer Reinhard Ernst. Dann sind nicht nur die Pflegekräfte, sondern auch die Senioren selbst maskiert.

800 Stoffmasken – selbst genäht

Weil diese Stoffmasken am Markt aber natürlich nicht verfügbar waren, sind die Mitarbeiter zusammen mit einigen Helfern selbst aktiv geworden. 800 Stoffmasken haben sie in den vergangenen Tagen genäht – alles ehrenamtlich. Ununterbrochen rattern die Nähmaschinen im Aufenthaltsraum der Geschäftsstelle der Leonberger Sozialstation.

All das soll schützen. Denn die Angst ist groß, dass sich zum Beispiel ein Pfleger ansteckt und das Virus dann unbemerkt von Wohnung zu Wohnung trägt. In Renningen ist schon einer der Senioren, die die Sozialstation betreut, an Covid-19 erkrankt. Noch ist der Patient im Krankenhaus. „Natürlich betreuen wir ihn auch, wenn er nach Hause kommt“, sagt Pflegedienstleiterin Melitta Brekner. „Das bedarf aber einer großen Umorganisation.“ Zum Beispiel werde ein Mitarbeiter für diesen Patienten abgestellt, der dann keinen Kontakt zu anderen Patienten aufnimmt.

Auch in Leonberg bereitet sich Reinhard Ernst für den Tag X vor. Dort gibt es noch keine Ansteckung. Zum Beispiel versucht er, Schutzkleidung zu bevorraten, von der die Mitarbeiter noch viel mehr benötigen, wenn sie zu infizierten Senioren gehen müssen. „Wenn wir einen Corona-Patienten bekommen, reicht das Schutzmaterial“, sagt Ernst. „Aber bei 20 Infizierten reicht es nicht mehr.“