Ohne Ampel soll man in etwa zehn Jahren über die B 295 von Leonberg-West nach Böblingen-Hulb kommen. Dafür wird die Kreuzung mit der Leonberger Straße in Renningen umgebaut. Aber wie?

Leonberg/Renningen - Tomas Mauch hat dann doch noch eine Frage. „Warum kann man es eigentlich nicht so belassen, wie es ist?“, will der SPD-Stadtrat wissen. „Der Verkehr funktioniert dort doch gar nicht so schlecht.“ Mauch spricht damit aus, was manch einer hier im Bürgerhaus Renningen denkt.

 

Alle Stühle sind besetzt, sogar die Wand zum Nebenraum hat man öffnen müssen für diese Bürgerinfo-Veranstaltung zum Lückenschluss am Dienstagabend. „Wir sind überrascht, wie groß das Interesse ist“, sagt die Moderatorin des Regierungspräsidiums. An diesem Abend geht es vor allem um die Kreuzung der B 295 mit der Leonberger Straße. Teil des Lückenschlusses ist es, diese Kreuzung so umzubauen, dass man künftig ohne Ampel von Leonberg kommend durchfahren kann. Dafür braucht es entweder eine große Brücke oder eine Unterführung. Mehr Lärm und die Verschandelung der Landschaft befürchten viele. Aber muss man überhaupt was ändern, fragt sich nicht nur der Renninger Thomas Mauch. Zur Bürgerinfo Veranstaltung gekommen ist Jürgen Holzwarth, der Leiter des Referats Straßenplanung beim Regierungspräsidium Stuttgart und seit mehr als zehn Jahren der verantwortliche Planer für den Lückenschluss.

Wie wäre es mit einer Ampel?

„Eine Ampel an dieser Stelle kommt nicht in Frage“, stellt Holzwarth mehrfach klar. „Eine Ampel an einer dreispurigen Straße birgt sehr hohe Sicherheitsrisiken.“ Seit 2012 verbiete außerdem eine Richtlinie Ampeln an solch stark befahrenen, außerörtlichen Straßen.

40 000 Autos fahren an der Stelle jeden Tag über die B 295 und quälen sich über diese Kreuzung. Ein paar hundert Meter weiter teilt sich dann der Verkehrsstrom. Etwas weniger als die Hälfte davon bleibt auf der Bundesstraße  295, um nach Weil der Stadt und Calw zu kommen. Die anderen Autos aber fahren rüber, auf die B 464, nach Böblingen und Sindelfingen. Ziel des Lückenschlusses ist es, an dieser Hauptachse von der Autobahnanschlussstelle Leo-West über Renningen nach Böblingen-Hulb alle Ampeln, Kreisverkehre und Kreuzungen zu entfernen, um den Verkehr fließender zu machen. Auch die kleine Straße aus Warmbronn wird dafür von der B 295 abgekoppelt.

Ein Vergleicht zeit: Überführung hat Vorteile

Und eben die Ampel bei der Leonberger Straße, wo die Autos heute an provisorisch aufgestellten Warnbaken vorbeifahren. Der ursprüngliche Plan des Regierungspräsidiums sah eine Brücke vor, samt einem bis zu vier Meter hohen aufgeschütteten Erdwall für die Auf- und Abfahrt. Eine ähnliche Auf- und Abfahrt auf die B 295 gibt es heute schon beim Naturtheater. Dagegen hatten Bürger und auch die „Interessengemeinschaft Burg-Hummelbaum-Kindelberg“ (IG) mobil gemacht. Das sei ein Riesenklotz, der die Frischluft abschneidet, und von dem viel Lärm in die Stadt ausstrahlt, wenn dort viele Autos in vier Metern Höhe fahren. Die IG fordert daher eine Unterführung. Um die Bedenken ernst zu nehmen, hatte das Regierungspräsidium nun beide Varianten überprüft und miteinander verglichen. Diese Ergebnisse waren nun am Dienstag bei der Bürgerinfo-Veranstaltung erstmals zu erfahren.

Die Unterführung ist ebenfalls untersucht worden. Sie kostet 6,5 Millionen Euro. Foto: Optify GmbH
Die Kurzzusammenfassung lautet: Die Überführung hat gegenüber der Unterführung viele Vorteile. Und das selbst beim Lärmschutz. „Maßgeblich für den Lärm ist die B 295, denn dort fließt zehnmal so viel Verkehr als auf der Überführung und der Lastwagen-Anteil ist viel höher“, erklärt Anja Schröck, die Straßenplanerin beim Regierungspräsidium. Die wenigen Autos, die über die Rampe fahren, seien vernachlässigbar. Dafür aber dämmt der Damm den vielen Lärm der Bundesstraße – ein Schutz, der bei der Unterführung fehlt.

Jürgen Holzwarth, der Chefplaner, hält aber auch diese Überlegung für gar nicht so entscheidend. „Am Ende haben Sie ohnehin die gleichen Lärmverhältnisse, weil es die Verordnung so vorschreibt“, sagt er. Es gebe später einen Rechtsanspruch der Anwohner, dass es nachts in jedem Fall 49 Dezibel ruhig ist – bei beiden Varianten.

Kommt ein Lärmschutzwall?

Wenn also die Unterführung gebaut würde, könnte es am Ende sein, dass man trotzdem einen Wall aufschütten muss, nämlich einen Lärmschutzwall. Das betrifft einen zweiten Kritikpunkt der IG: das Landschaftsbild. Man wolle einen ungehinderten Blick auf den Renninger See.

„Als Wanderer in der Natur sind vier Meter ganz schön hoch“, sagt etwa Wilhelm Schumm, einer der IG-Mitstreiter, bei der Infoveranstaltung. Dafür aber, betonen die Experten des Regierungspräsidiums, muss man bei der Unterführung ins Grundwasser eingreifen. Fläche spare man auch kaum. Für die Unterführung braucht es 2,5 Hektar, für die Überführung nur 0,3 Hektar mehr.

Heute wird der Verkehr an der Kreuzung per Ampel geregelt. Foto: factum
Das zeigt sich auch an den Kosten. 1,2 Millionen Euro kostet die Überführung. 6,5 Millionen Euro sind für die Unterführung nötig. Das Straßenprojekt bezahlt der Bund, die Entscheidung treffen daher am Ende der Bund und das Regierungspräsidium. Eine Entscheidung für eine Variante gibt es noch nicht, aber angesichts der Argumente und der Kosten läuft es wohl auf die Überführung hinaus. „Wenn Renningen unbedingt die Unterführung will, ist es natürlich denkbar, dass die Stadt die zusätzlichen Kosten dafür übernimmt“, sagt Jürgen Holzwarth. Aufgrund des aufwendigeren Unterhalts und der Folgekosten müsse die Stadt aber mindestens neun Millionen Euro berappen.

Die IG Burg-Hummelbaum-Kindelberg jedenfalls ist auch nach der Veranstaltung von der Überführung nicht überzeugt. „Jetzt ist der Gemeinderat an der Reihe“, heißt es am Mittwoch auf deren Facebook-Seite. „Wir hoffen sehr, dass er den Wunsch der Bürger ernst nimmt und sich gegenüber dem Bund für die Unterführungslösung einsetzt.“ Ob und wann das Thema im Gemeinderat behandelt wird, steht noch nicht fest.

Wann rollen die Bagger

Seit April 2017 ist schon bekannt, dass die Bauarbeiten so oder so frühestens 2026 beginnen. Denn erst voraussichtlich dann ist der sechsstreifige Ausbau der Autobahn  81 zwischen Böblingen-Hulb und dem Kreuz Stuttgart fertig. Und weil die Verbindung B 295/B 464 die Ausweichroute ist, will das Verkehrsministerium nicht an beiden Straßen gleichzeitig bauen.

Bis Ende November kann der Gemeinderat von Renningen seine Meinung zum Thema Über- oder Unterführung der Leonberger Straße abgeben. Bis Ende 2020 wird das Regierungspräsidium Stuttgart sich dann zusammen mit dem Bund, der das Projekt Lückenschluss bezahlt, für eine der beiden Variante entscheiden und die Planungen weiter vorantreiben. Bis 2026 will man dann die Arbeiten soweit vorbereiten, dass sie sofort im Anschluss an die Autobahnbaustelle beginnen.

Kommentar: Der Verkehr und die Kehrtseite

Kommentar von Florian Mader:

„Junge Leute finden schnell einen Arbeitsplatz, Bürger haben viele Möglichkeiten zum Einkaufen, sind aber auch schnell per Bahn oder Auto in der Stuttgarter Großstadt oder auf dem Flughafen oder vom nahe gelegenen Autobahnkreuz aus in allen anderen Richtungen im Ländle. Und die Stadt selbst boomt, kann sich schöne Dinge wie eine neue Sporthalle oder ein Freibad leisten.

Wer in Renningen wohnt, hat viele Vorteile. Dass in und neben der Stadt dann aber auch mehr Verkehr rollt als am Ende eines Schwarzwaldtales, ist die lästige, aber logische Kehrseite dieser Medaille. Zum Beispiel über die Bundesstraße 295. Politiker, Behörden, Bürger und Bürgerinitiativen machen sich seit Jahrzehnten Gedanken über diese ganz früher mal tatsächlich als Autobahn geplante Verbindung von Leonberg nach Gärtringen.

Ein wichtiges Detail

Ob die Leonberger Straße einmal über oder unter der B 295 in dieselbe einfädelt, ist dabei nur ein Detail – aber ein wichtiges. Das Regierungspräsidium nimmt die Bedenken der Bürger ernst. Das zeigt die Tatsache, dass man die Unterführung geprüft hat, obwohl sich die Fachleute auf die Überführung quasi schon festgelegt hatten. Zur ernsthaften Diskussion gehört aber auch, dass Bürger und Bürgerinitiatoren umgekehrt die Fakten der Ingenieure zur Kenntnis nehmen – auch wenn sie überraschend und neu sind. Das ist die Erkenntnis, dass die Auffahrtsrampe der Überführung den Lärm eher abschirmt und deshalb die Überfahrt nicht nur billiger ist, sondern auch viele Vorteile hat.

Bürger und Politiker vor Ort müssen sich jetzt auf Schlachten konzentrieren, die es wirklich lohnt, auszufechten. Das große Ungemach kommt nämlich erst, wenn die Autobahnsanierung bei Böblingen beginnt und die Ausweich-Lawine in Renningen vorbeirollt. Man könnte, um ein Beispiel zu nennen, prüfen, ob man einzelne Maßnahmen beim Lärmschutz schon vorziehen kann.“