Bei der Jahreshauptversammlung des Eltinger Bürgervereins legt ein Experte den Finger in die Wunde.

Leonberg - „Die Stadtverwaltung lässt grüßen“ – was der Vorsitzende Klaus Hettler den Mitgliedern des Eltinger Bürgervereins zum Auftakt der Jahresversammlung mit schmalem Lächeln ausrichtete, entbehrte nicht einer gewissen Süffisanz. Denn OB Schuler und Baubürgermeister Brenner ließen sich entschuldigen. Vertreter des Gemeinderats dagegen sind zahlreich vertreten. Sie wollten den Vereinsrückblick und den Vortrag von Ulrich Reuter vom Stuttgarter Amt für Umweltschutz und Leiter der Abteilung Stadtklimatologie über Luftschadstoffe, Grenzwerte, Verursacher und Reduzierungsmöglichkeiten nicht versäumen.

 

Reuter packt gleich zu Beginn seines Vortrags ein heißes Eisen an: Die eingestellten Feinstaubmessungen in der Grabenstraße. „Der Feinstaub wird nicht mehr gemessen, weil sich die Werte unterhalb der festgelegten EU-Werte eingependelt haben“, und deshalb nicht mehr relevant seien, erklärt er. Das sieht Ewald Thoma, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Verkehrslärm Leonberg (AGVL), kritisch: „Die Grenzwerte sind politisch festgelegt, da interessiert nur, dass keine Strafe bei Überschreitung gezahlt werden muss“, schimpft er, „die Weltgesundheitsorganisation WHO nennt für Feinstaub ganz andere Werte.“ Nämlich bei der üblicherweise gemessenen Klasse PM 10 im Jahresmittel den Wert von 20 Mikrogramm je Kubikmeter Luft, also die Hälfte der EU-Festsetzung. Reuter sieht das entspannter und lenkt das Augenmerk auf das größere Problem: „Stickstoffdioxid (NO2) ist die kritische Komponente. Da liegt der Grenzwert bei 40 Mikrogramm je Kubikmeter. In der Grabenstraße werden hier 47 Mikrogramm je Kubikmeter gemessen“, weiß er. NO2-Emissionen werden zu 70 bis 75 Prozent durch den Autoverkehr verursacht und können Kopfschmerzen, Schwindel, Atemnot und Lungenödeme auslösen.

Was hilft, was nicht?

Um die Werte zu senken, stünden verschiedene Mittel zur Verfügung. Doch auch hier ist ein kritischer Verstand gefragt. Sperrzonen für Lkw? Die Hoffnung auf die blaue Plakette, den sinnvollen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, der jetzt schon an der Grenze der Belastbarkeit ist, oder die Besinnung auf Eigenverantwortung seitens der Automobilindustrie? Fakt sei, auch das haben die in Stuttgart seit 1965 kontinuierlich durchgeführten Messungen Reuter zufolge klar ergeben: „Mit den entsprechenden Maßnahmen können die Werte effektiv gesenkt werden.“ Er nennt als Beispiel die Senkung der Schwefeldioxid-Emissionen um 70 Prozent seit den 80er Jahren, auch wenn diese nicht durch Autoabgase, sondern hauptsächlich durch Industrieanlagen verursacht werden.

Doch Fakt sei auch, dass die Belastungen durch permanent überlastete Verkehrsadern A 8 und A 81 vor der Haustür enorm stiegen. Und was passiert, wenn der Engelbergtunnel saniert wird? Der Experte kann nicht glauben, was die Eltinger fürchten und was bei Stau ja schon heute der Fall ist: Die Grabenstraße wird als Umleitung für den Autobahnverkehr dienen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Stadt, die einen Luftreinhalteplan hat, das ernsthaft plant“, sagt Reuter irritiert.

„Gut, aber nicht sonderlich effektiv“

Der Unmut der Bürger ist spürbar, der Landtagsabgeordnete Bernd Murschel fragt nach konkreten Vorschlägen für einen sinnvollen Luftreinhalteplan. „Es gibt vieles, was gut, aber nicht sonderlich effektiv ist“, gibt Reuter zu bedenken. Was am besten funktioniert, ist tatsächlich ein Tempolimit und die Verstetigung des Verkehrsflusses. Doch ein für die Luftreinhaltung sinnvolles Tempolimit ließ sich beim Regierungspräsidium nicht durchsetzen, und stetig fließender Verkehr bleibt in und um Leonberg mit den geplanten Baumaßnahmen wohl auf Jahre hinaus Utopie.

Bleibt das Stichwort Regionalkonzept: „Meiner Meinung nach ist eine wirklich sinnvolle Maßnahme ein großflächiges Regionalkonzept anstelle eines Stadtkonzepts“, da sind sich Reuter und AGVL-Sprecher Thoma einig. Reuter setzt gelichzeitig auf die Verbesserung der Werte durch den kontinuierlichen Austausch alter gegen neue Fahrzeuge. „Das wird wirken. Denken Sie positiv!“ Ob das reicht?

Bevor der Fachmann seine Fakten präsentierte, ließ Hettler das vergangene Jahr Revue passieren. Der Verein feierte sein 50-Jahr-Jubiläum und stemmte zehn Veranstaltungen, von der Putzaktion-Kutterschaufel bis zu den Möriketagen. Dass der Bürgerverein sehr rührig ist, machte auch Michael Kast von der Umweltgruppe deutlich. 35 000 Arbeitsstunden haben die „Schlammbrüder“ seit ihrer Gründung 1981 schon abgeleistet. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, immer mehr seltene Tier- und Insektenarten werden in Leonbergs Umgebung wieder heimisch.